In der Europazentrale der Publikumsfonds sind das keine gute Nachrichten: Knappe elf Prozent der Europäer haben Geld in einem Fonds angelegt. So stellte es eine vom Branchenverband Alfi in Auftrag gegebene Studie der Firma Mackay Williams fest, die vergangenen September veröffentlicht wurde. Die Europäische Investmentfondsbranche hat sich von der Anlegerflucht, die auf dem Höhepunkt der Finanzkrise ausgebrochen war, erholt, stellt die Studie fest. Zumindest in Bezug auf das verwaltete Vermögen: Die Einbußen von 25 Prozent zwischen 2006 und 2011 seien wieder wettgemacht.
Doch hinter den nackten Zahlen verstecke sich eine andere Evolution, meint Mackay Williams. Während die Kleinanleger die Fonds verlassen haben, haben ihre Stelle institutionelle Anleger und sehr vermögende Kunden eingenommen. Die Kleinanleger haben ihr Geld aufs Sparkonto getragen. Denn während das Vermögen der Haushalte in der Eurozone insgesamt leicht zugenommen hat, die Investitionen in Investmentfonds abgenommen haben, sind die Spareinlagen gestiegen. Ein Trend, der auch in Luxemburg zu beobachten ist, wo die Bareinlagen der Haushalte bei den Banken laut Finanzstabilitätsbericht der BCL von 2013 Anfang des Jahres mit 27 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreichten. Über 40 Prozent des Konsumentenvermögens in der Eurozone steht in Form von Bargeld auf Bankkonten, nur acht Prozent davon sind in einem Investmentfonds angelegt. Was heißt, dass die nach EU-Auflagen streng reglementierten Ucits-Fonds – Ucits steht für undertakings in collective investments – vom Publikum, für das sie vor mehr als 25 Jahren geschaffen wurden, kaum gekauft werden.
„Dabei“, sagt Marc Saluzzi, Partner bei PWC und Präsident der Alfi, „ist das Problem weniger, dass der Fondsanteil in den vergangenen Jahren von zwölf auf acht Prozent gefallen ist. Das Problem ist eher, dass er historisch noch nie besonders hoch war und nicht bei 40 oder 50 oder gar 80 Prozent liegt, wie das beispielsweise in einigen skandinavischen Ländern der Fall ist.“
Wenn die Alfi eine solche Studie in Auftrag gibt, hat sie natürlich den Ausbau der Aktivitäten ihrer Mitglieder im Blick, die das Zentrum des grenzüberschreitenden Fondsvertrieb in Europa darstellen. Und dieses ungenutzte Potenzial an europäischen Bargeldeinlagen ist enorm: vier Billionen Euro, also eine vier mit zwölf Nullen dahinter. Doch Mackay Williams hat versucht, zu berechnen, was den bargeldverliebten europäischen Anlegern an Rendite durch die Lappen geht. Zum Beispiel im Vergleich zur US-amerikanischen Anlegerschaft, die deutlich weniger Bargeld auf dem Konto hält. Über einen Zeitraum von zehn Jahren, so das Ergebnis, wirft das Anlagevermögen der Amerikaner 13 Prozent mehr ab.
Weshalb belassen die Europäer ihr Erspartes trotz der niedrigen Zinsen lieber auf dem Bankkonto, anstatt zu versuchen, es gewinnbringender anzulegen? Mackay Williams identifiziert drei verschiedene Investoren-Typen: die Konvertierten, die Desillusionierten und die Verwirrten. Zur ersten Gruppe zählen die Experten die Baby-Boomer, die kurz vor der Pensionierung stehen, schon in Fonds investiert haben und dadurch ihr Renteneinkommen steigern wollen. Zur zweiten Kategorie gehören die, die ebenfalls schon in Fonds investiert haben, Verluste hinnehmen mussten oder darauf warten, dass sich der Nettoinventar ihrer Fonds erholt, um sie dann zu verkaufen. Bleiben die Verwirrten: „Savers who are not currently invested in funds, probably regarding them as too dangerous, too confusing and genrally part of the financial crisis. They are likely to have low levels of trust in the financial community (...).“ Kategorie zwei und drei gehören laut Mackay Williams 2,6 Billionen Euro, die nicht aktiv verwaltet werden.
Dass die Anleger desillusioniert und verwirrt sind, wundert Marc Saluzzi nicht. „Die Finanzmärkte haben sich in den vergangenen fünf Jahren extrem erratisch verhalten. Und Fonds haben nun mal zum Ziel, die Anleger am Finanzmarkt zu beteiligen, das ermutigt die Anleger natürlich nicht“, so Saluzzi. Dass bei der Konzeption der Publikumsfonds Schutzmaßnahmen eingebaut würden, das gehe bei der allgemeinen Nachrichtenlage meist unter, obwohl es genau diese Schutzmaßnahmen seien, die Sicherheit, die Ucits-Fonds böten, welche die superreichen und institutionellen, die so genannten „informierten“ Investoren anlocke.
Dass viele Kleinanleger auf dem Höhepunkt der Krise ihre Fondsanteile – sehr wahrscheinlich unter Verlusten – verkauften, dafür macht die Fondsbranche auch die Banken verantwortlich. Die hätten ihren Kunden aus Eigennutz zum Ausstieg aus den Fonds und zum Wechsel zu einem Bargelddepot geraten, sagt Mackay Williams. Marc Saluzzi schließt sich an. „Das ist ganz eindeutig das, was passiert ist“, so der Alfi-Präsident. „Nach der Krise haben die Kontrollbehörden von den Banken eine völlig andere Kapital- und Einlagenstruktur verlangt. Die einfachste Art, diesen Anforderungen gerecht zu werden, war, die Depotbasis zu erweitern.“ Deswegen hätten sie die Kunden ermuntert, ihre Fonds- in Bargeldeinlagen umzuwandeln.
Hauptursache für das mangelnde Interesse des europäischen Publikums an den für sie gedachten Fonds ist allerdings das europäische Wohlfahrtssystem selbst, genauer die gesetzliche Rentenversicherung. Dass die Amerikaner und die Schweden so viel in Fonds investieren, liegt vor allem daran, dass sie über Pensionsfonds privat auf ihre Rente sparen. Vor allem die Schweden haben auf diesem Weg die Scheu vor Investmentfonds verloren, berichtet Mackay Williams. 1980 war weniger als ein Prozent des Privatvermögens in Fonds investiert, 2008 war der Anteil auf 27 Prozent angestiegen. Vergangenes Jahr investierten 76 Prozent der Schweden in Investmentfonds, sogar 60 Prozent der Kinder „sparen“ über Fonds. Die logische Schlussfolgerung: Dass andere Europäer Fonds mehrheitlich fern bleiben liegt daran, dass sie keine Fonds für die Altersvorsorge brauchen.
Ob Fonds für sie ein geeignetes Mittel wären, um andere Sparziele zu erreichen? Denn angesichts der niedrigen Zinsen knabbert die Inflation auf Dauer ihr Erspartes an. Dass die europäischen Anleger dennoch auf Publikumsfonds verzichten, führen Mackay Williams wie Saluzzi auf die mangelnde Finanzerziehung zurück. „Die ist quasi inexistent“, sagt Saluzzi. „Wenn es noch ein gewisses Bewusstsein dafür gibt, dass man sparen muss, um ein Haus zu kaufen, ist die Notion des Sparens und der Wertsteigerung dieses Vermögens etwas, was dem europäischen Durchschnittsanleger vollkommen fremd ist.“ Auch seine eigenen Kinder im Teenager-Alter wüssten nicht, was eine Aktie, eine Anleihe, ein Zinssatz sei oder dass sich besonders ihre Generation um die Altervorsorge bemühen müsse, gesteht Saluzzi. Hier sieht er großen Handlungsbedarf. Im Sekundarschulalter, findet er, müssten in den Schulen die Grundlagen vermittelt werden. Neben dem Staat, sieht er auch die Branche selbst in der Verantwortung, was die „formation continue“ der Investoren betreffe. Dass die misstrauischen Anleger kaum auf Aufklärungsangebote einer Branche eingehen würden, der sie ohnehin nicht vertrauen, sieht er ein. Dennoch glaubt Saluzzi, die Branche müsse einen Beitrag zur Finanzierung einer besseren Finanzerziehung leisten. „Bei der Gestaltung der Wissensvermittlung gibt es noch viel zu innovieren“, räumt er ein. Er kann sich beispielsweise Kooperationen mit Konsumentenschutzorganisationen vorstellen.
Wenn die Anleger nur begrenztes Verständnis der Finanzmärkte haben, hilft es nicht, dass sich unter dem Label Ucits kaum jemand etwas vorstellen kann. „The industry talks prosaically about the Ucits brand but unfortunately the concept only has meaning for industry insiders“, schreibt Mackay Williams. Hinzu kommen zwei Schwierigkeiten: erstens die Kostentransparenz und zweitens das Überangebot.
Über die Aufschlüsselung und die Bereitstellung der Kosteninformationen hat es schon in der Vergangenheit viele Diskussionen gegeben. Was mit den Vertriebsstrukturen zusammenhängt. Im Zentrum steht die Frage, wie der Kunde wissen kann, weshalb ihm der Berater, der ihm einen Fonds verkauft, ihm genau dieses Produkt anrät. Tut der Berater das, weil der Fonds gut zum Kundenprofil, seinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht? Tut er es, weil der Fonds von seinem Arbeitgeber entworfen und aufgelegt wurde? Oder, wenn er die Produkte von Dritten verkauft, weil er dafür eine Verkaufsprovision kassiert? Um letztes Szenario einen Riegel vorzuschieben, sieht die EU-Kommission in der Vorlage für die Reform der Mifid-Richtlinie vor, solche Verkaufskommissionen vollständig zu verbieten. Aber das, warnen Saluzzi und die Alfi, könnte im Endeffekt negative Folgen für die Anleger haben. „Ein Vertriebsnetz muss irgendwie finanziert werden“, erklärt der Alfi-Präsident. Wenn das die Fondsmanager nicht mehr machten, müsse der Kunde selbst seinen Finanzberater für die Beratungsaktivität bezahlen, so Saluzzi. Dadurch aber riskierten Kleinanleger, die bescheidene Summen investieren, für die Berater uninteressant zu werden und dadurch den Zugang zur Beratung zu verlieren, erklärt er. Außerdem, das lasse sich in Großbritannien beobachten, wo ein solches Kommissionsverbot bereits bestehe, führt Saluzzi aus, seien viele Anleger unwillig, die Beratungsaktivität zu bezahlen. Deswegen ist die Alfi gegen ein Kommissionsverbot und für eine größere Informationspflicht in Bezug auf die Verkaufsprovisionen, damit sich die Anleger selbst ein Bild machen können.
Das ist bei der Vielfalt von Fonds im Angebot ohnehin schwer genug. Aktuell gibt es rund 35 000 Fonds in Europa, mit mehr oder weniger unterschiedlichen Anlagepolitiken und jeweils mehr oder weniger aussagekräftigen Namen. Wie soll der Kunde wissen, welcher Fonds gut ist? Und können sie überhaupt alle gut sein? Dass die Branche die Lancierung eines neuen Fonds nutzt, um auf Kundenfang zu gehen, stellt auch Mackay Williams fest. Deswegen verschwindet eine große Anzahl von Fonds irgendwann wieder in der Versenkung. Werden sie geschlossen, müssen sich die Investoren nach einer neuen Anlage umsehen. Und wenn sie nicht geschlossen werden, wie viel Energie wird dann noch von den Fondsgesellschaften in diese „Altlasten“ gesteckt? Konzentrieren sie sich nicht eher auf die Konzeption und Kommerzialisierung der neuen Produkte? Mackay Williams vergleicht das Verhalten mit dem der Modebranche, die immer neue Trends hervorbringt. Dass es ein Überangebot gibt, gibt auch Marc Saluzzi ohne Umschweife zu. Doch durch die steigenden Auflagen der Kontrollbehörden und die damit verbundenen Kosten, glaubt er, wird es zu einer Konsolidierungsbewegung kommen. „Nur die großen Fonds werden über die kritische Masse verfügen, diese Kosten zu absorbieren und umzulegen“, erklärt er. Deswegen werde die Zahl der Fonds in Europa zurückgehen.