Ein junger Mann hängt an einer Stellwand wie ein Gecko. Wenig später wird er jäh herabfallen. Vier Tänzer schwenken ihn in die Luft, bevor sie jeder für sich beginnen, sich abzukämpfen als wäre es ihr Alltag. Routiniert verrichten sie ihre Dinge und halten nur inne, um anderen zu helfen.
Jean-Guillaume Weis hat mit A bucketful of dreams eine sinnlich-fließende Choreografie geschaffen. Sieben TänzerInnen, gänzlich eigenständige Persönlichkeiten unterschiedlicher Nationalitäten, schaffen in seinem Tanztheaterstück mit ihren Körpersprachen magische Bilder: verzaubern und entzaubern, schaffen Illusionen, um diese wieder und wieder zu brechen.
Ein Paar dreht sich im Kreis und richtet sich gegenseitig auf. Eine Stütze, die bei ihr nicht lange hält, bis sie zusammenfällt wie eine Puppe und irgendwann an den Armen hochgezogen wird wie ein trauriger Vogel ... Untermalt durch die live gespielten düsteren Violoncello-Klänge André Mergenthalers stellen sich Momente ein, die einen erschaudern lassen und sich melancholisch über die Choreografie legen.
Von 1994 bis 1997 war Jean-Guillaume Weis beim Tanztheater Pina Bauschs eingebunden – sein Stück trägt deutliche Spuren der Wuppertaler Schule. Mit A bucketful of dreams scheint er sich ganz und gar dieser Tradition verschrieben zu haben. Nichts scheint hier unmöglich.
Das Bühnenbild (Trixi Weis) trägt Züge einer hippen 70er-Jahre-Wohnung: ein Wohnzimmer, eine Garderobe, ein Kühlschrank, ein schrill orangener Sessel. Ausgefallen auch die Kostüme. Es fallen Satzfetzen auf Englisch, Portugiesisch, Französisch. Begriffe werden in den Raum gerufen, hängen in der Luft und werden durch die Tänzer versinnbildlicht.
Ein Travestie-Moment kommt durch Sergio Mel hereingeweht: Mit nackten Oberkörper mimt er kokett eine Frau und springt beschwingt durch die Lüfte. „My name is Giovanni, she left me for a richer man“, erklärt ein junger Tänzer lakonisch und fällt zusammen, während die Kumpanen heraneilen und ihn stützen werden. Eine taumelnde Frau wird von anderen auf ihren Geliebten geworfen und wieder zurückgezogen; kurzzeitig suchen die beiden Zuflucht beieinander, um ihre Sehnsucht zu stillen. Aber der Halt währt nicht lange und zerplatzt wie eine Seifenblase. Wann können wir uns fallen lassen? Wann wirklich so sein, wie wir wollen? Wann werden wir schon verstanden?
Es sind haufenweise Wunschträume, die Weis auf die Bühne bringt. Man verliert sich in ihnen, wenngleich diese Momente nicht endlos sind. Die zauberhafte Stimmung wird so etwa gebrochen durch eine Tänzerin, die ihren Wahnvorstellungen erliegt und ihr Gedächtnis verliert. Und während sich die junge Frau unter Krämpfen windet, eilt ein Tänzer heran und zerpflückt eine Blume. Die Tänzerinnen werden mit den Blumen im Mund balancieren und kleine Zauberkunststücke vollführen ... Dann befreiende Schreie, Ausbruch-Sprünge. Es scheint, als wollte Weis uns sagen: Brecht aus!
Machismo ist auch hier omnipräsent. Da hilft nur Humor: Während ein Mann am Rande der Bühne kauert und an einer Dauerwurst schnuppert, wird ein anderer am Ende der Bühne diagonal zu ihm paschahaft im weißen Bademantel auf einem Hochstuhl thronen und mit Bierdosen Muskelspiele betreiben. Aufgezwungene westliche Schönheitsideale spiegeln sich wider in einer Frau in Unterwäsche, die sich abmagert und die wenigen Stellen an ihrem Körper, an denen noch Fettpölsterchen sind, mit Wäscheklammern abklemmt, während ein Tänzer ihr grellroten Lippenstift verpasst und schließlich mit Klammern ein verzerrtes Grinsen ins Gesicht schneidet. Klischees bleiben in Weis’ Solidarität beschwörender Choreografie nicht ganz aus.
Von dem tänzerisch ausdrucksstarken Abend bleiben Bilder der Solidarität zurück: Die ergreifendsten Momente sind die, wenn einer aus der Gruppe am Abgrund steht und die anderen ihn auffangen. Ach wäre es doch so! Jean-Guillaume Weis’ Tanztheaterstück schafft es, den Zuschauer gut eineinhalb Stunden wegzutragen in eine magische Welt, in der die Menschen sich nicht nur um ihre eigene Achse drehen, sondern sich (unter-)stützen. – Ein sinnlicher Tanztheaterabend, der von einer besseren Welt träumen lässt.