Aus Anlass des 125-jährigen Bestehens der Socié-té des naturalistes luxembourgeois im Jahr 2015 hat das Nationalmuseum für Naturgeschichte eine aufschlussreiche Ausstellung über luxemburgische Naturforscher in Lateinamerika organisiert. Ist ein Teil des Museums wegen Neugestaltung der Dauerausstellungen geschlossen, so bietet die aktuelle Schau Von Orchideen, Kakao und Kolibris – Luxemburger Naturforscher und Pflanzenjäger in Lateinamerika eine gute Gelegenheit, in der Zeit zurückzureisen und mit luxemburgischen Botanikern und so genannten Pflanzenjägern, aber auch Jesuiten und Armeeangehörigen in Mittel- und Südamerika auf Entdeckungsreise zu gehen.
Ausgehend von Tierpräparaten aus der eigenen Sammlung und einer umfassenden Recherche des Historikers Claude Wey zeichnet das Museum einzelne Expeditionen nach und erläutert ihre sozialpolitischen Hintergründe. Welche Motivation trieb die Luxemburger dazu, diese nicht wenig gefährlichen Reisen auf sich zu nehmen? Über welche schulische Ausbildung verfügten sie und was waren ihre berufliche Identität und Perspektive? Welche Rolle spielte die Gesellschaft (der Besitz von „exotischen“ Pflanzen, im besonderen Maße Orchideen, war ein Modephänomen unter den Aristokraten des 19. Jahrhunderts) und nahmen Auftraggeber (wie der Stahlproduzent Arbed und die von ihm gegründete „Companhia siderúrgica Belgo-Mineira“) oder Förderer (wie Jean-Pierre Pescatore, einer der bekanntesten Orchideen-Sammler im Europa des 19. Jahrhunderts) ein?
Die Ausstellung setzt sich aus dicht zusammengetragenen Exponaten und Texten zusammen: ausgestopfte Tiere, eine Kolonie lebender Blattschneiderameisen, richtige und künstliche Pflanzen, Transportkisten, deren Fächer man öffnen kann, sowie Erläuterungstexte, Exemplare einer Zeitung mit weiteren Informationen und historischen Fotografien, Zitate aus Briefen und Auszüge aus damals verfassten Texten. Stehen meist die Expeditionen und die Reisenden selbst im Fokus, wird an anderer Stelle der Zeitgeist des 19. Jahrhunderts wiedergegeben oder es werden die damaligen Reise- und Transportbedingungen erläutert.
Die Funde und Verdienste der Forscher und Erkunder sind teilweise verblüffend. Der in Lintgen geborene João Felipe Bettendorf (1625–1698) reiste schon 1661 ins Amazonas-Gebiet und gilt heute als einer der wichtigsten Jesuiten, die seinerzeit im nördlichen Südamerika missionierten. Ihm wird die erste wissenschaftliche Beschreibung der Gua-raná-Pflanze zugeschrieben; er förderte darüber hinaus den Kakaoanbau und -export in Brasilien. Der Luxemburger Guillermo Dupaix (1746–1818), Mitglied der spanischen Armee, unternahm im Auftrag Spaniens drei Expeditionen in die „Neue Welt“. Er soll als erste Person zwischen 1791 und 1794 in Mexiko ein Verzeichnis antiker Monumente angeordnet haben.
Zu den bekanntesten Entdeckungsreisenden zählen Jean Linden (1817–1898) und Nicolas Funck (1816–1896), die gemeinsam mit dem Belgier Auguste Ghiesbreght (1810–1893) eine Reise nach Brasilien und eine zweite Expedition nach Kuba, Mexiko, Belize und Guatemala (1837–1841) unternahmen. Während den Vorbereitungen ihrer dritten Reise (1841–1844), diesmal nach Venezuela und Kolumbien und in Begleitung von Louis-Joseph Schlim (1819–1863), begegneten Linden und Funck in Paris dem deutschen Naturforscher und Wissenschaftler Alexander von Humboldt (1769–1859), der 1803 in Mexiko den 24 Jahre älteren Guillermo Dupaix getroffen hatte und von dessen Aufzeichnungen inspiriert wurde.
Die sehr detaillierten und zwischen 1909 und 1916 in der Revue Ons Hémecht publizierten Reise-Erinnerungen von Nicolas Funk sind zum Teil in der Ausstellung reproduziert und erlauben einen wertvollen Einblick in die Gedankenwelt eines Entdeckers. Jean Linden hingegen ging in die Geschichte ein durch die Entdeckung von unter anderem der Phragmipedium lindenii und der Eröffnung seines eigenen „Etablissement zur Einführung neuer Pflanzen“ in Belgien. Er engagierte selbst Pflanzenjäger, die ihn mit „exotischen“ Arten belieferten.
Neben der Route und den Funden der Pflanzenjäger und Steinsucher erläutert die Ausstellung auch das spätere Wirken der Entdeckungsreisenden. Der Pflanzenjäger Lambert Picard (1826–1891) kehrte so nach einer ersten Expedition (1846–1849) nach Südbrasilien zurück, um sich dort wenig später als Gärtnerei-Unternehmer und schließlich als Arzt niederzulassen. Weniger Glück hatte Robert Becker (1871–1921), der zuerst bei der Gründung einer kurzlebigen luxemburgischen Siedlung in Brasilien (San Antonio de Iraola) mitwirkte und später auf der Suche nach Steinen in Argentinien und Brasilien unterwegs war. Becker ließ sich, genauso wie viele „Steinsucher“ aus Idar-Oberstein, in Brejinho das Ametistas nieder, wo er 1921 aus bislang noch nicht geklärter Ursache starb.
Auch die Kolonialgeschichte und ihre Auswirkungen werden in der Ausstellung thematisiert. Am Beispiel von Eduard Conzemius (1892–1931), der hauptberuflich für eine Bank und später für eine Handelsfirma arbeitete, werden die ethnologische Forschung und das Interesse an der indigenen Bevölkerung beleuchtet. Während seines Aufenthalts in Honduras und Nikaragua (1916–1922) widmete Conzemius sich der Studie der Miskito-, Paya-, Rama- und Sumu-Indianer; seine Beobachtungen wurden ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht. Andererseits hatten die Kolonialisierung und der europäische ökonomische Imperialismus zur Folge, dass der Ex- und Import von einheimischen Pflanzen, wie dem Kautschukbaum, sich für das Ursprungsland oft verheerend auf dem Markt auswirkte.
Im Allgemeinen ist die Ausstellung gut recherchiert, sehr informativ und ansprechend. Die ausgestellten Exponate haben teilweise keinen unmittelbaren Bezug zu den beschriebenen Expeditionen, stammen aber aus Lateinamerika und dienen der gut inszenierten Atmosphäre. Dank der Fülle an Exponaten und Dekorationsobjekten überkommt den Besucher, oder Erkunder, dieses überwältigende Gefühl einer überbordenden Natur, wie sie auch die Expeditionsreisende erlebt haben. Die Ausstellung bietet sich als spannende Familientour an; wer alle Informationen lesen will, sollte jedoch genug Zeit einkalkulieren.