Mersch ist grün. Schön grün. Wer ein Fleckchen Erde in Luxemburg sucht, auf dem sich städtische Infrastruktur und ländliche Gemütlichkeit verbinden, ist in Mersch bestens aufgehoben. Der große Park hinterm Fußballfeld lädt zum Radfahren und Spazieren ein, am neuen Kiosk am kleinen Weiher kann, wer mag, Kaffee trinken und Schwäne beobachten. Auch sonst gibt es viel Grünes: Wald und Wiesen flankieren die Kantonalhauptstadt, die zwischen drei Flüssen liegt und in deren neun Dörfern insgesamt rund 8 100 Einwohner leben. Züge im 20-Minutentakt und drei Nationalstraßen sorgen für die ideale Anbindung an die Hauptstadt. Den alltäglichen Pendlerstau und die leidige Parkplatzsuche einmal ausgeklammert. Aber die soll jetzt ja ein provisorischer Parkplatz lösen.
„Mersch ist grün“, findet auch der Merscher Gemeinderat Claude Adam, während er an seinem Rote-Beete-Salat aus Bioanbau kaut. Als Treffpunkt hat der schlaksige Politiker stilecht das Bio-Café Fabiana in der Hauptstadt gewählt. Der grüne Parlamentarier muss so etwas sagen. Denn das klingt optimistisch und entschlossen. Wer führen will, muss so rüberkommen. Adam hat sich ein hohes Ziel gesteckt. Zusammen mit seiner Partei will der ehemalige Schulinspektor einen vierten Sitz bei den Gemeindewahlen hinzugewinnen und so zum Zünglein an der Waage für die nächsten Koalitionsverhandlungen werden.
„Das ist ehrgeizig, ich weiß, aber machbar“, glaubt Adam. Seine Argumente: Die blau-schwarze Koalition habe in den vergangenen Jahren kaum etwas gemacht, wichtige Entwicklungen verschlafen und wenn sie etwas angepackt habe, „dann stammen die Ideen oft von uns“, behauptet Adam selbstbewusst. Als Slogan für die heiße Phase des Wahlkamps haben die Grünen das landesweite Motto übernommen: besser liewen. Für Mersch bedeute das, so Adam, vor allem bessere Infrastrukturen für die Kinderbetreuung, mehr bezahlbaren Wohnraum und eine bessere Lebensqualität durch eine „gezielte Energie- und Umweltpolitik“.
Dumm nur, dass die Grenzen zwischen den Parteien und Programmen auch auf lokaler Ebene immer mehr verschwimmen. Auf dem Internetauftritt der Merscher Liberalen steht außer der Kandidatenliste nicht viel, aber das Schlagwort Lebensqualität darf auch bei ihnen nicht fehlen. DP-Bürgermeister Albert Henkel, hemdsärmelig mit schnittiger Brille im Amtssitz im ersten Stock des wuchtigen Merscher Schlosses, ist sich sicher: „Das Match wird zwischen uns und den Grünen ausgetragen.“ Seiner Partei rechnet Henkel dabei gute Chancen aus: „Wir haben unsere Arbeit gemacht“, sagt der 59-Jährige und legt, wie zum Beweis, seine Hände auf den schwarzen Ordner vor ihm.
Außer einer ähnlichen Wählerschaft haben Liberale und Grüne noch etwas gemeinsam: Sie hoffen beide von einer Achillesferse der CSV profitieren zu können: Mit dem Schöffen Albert Lentz scheidet nach 36 Jahren eines der Urgesteine der Merscher Lokal- und Kantonalpolitik aus der aktiven Politik aus. Die neue Equipe um den Gemeinderat und Sportlehrer Michel Reiland, will jung und erfahren zugleich sein, aber mit dem Fortgang von Marco Schank und dem Abschied von Fernand Braun fehlen bekannte Gesichter für die Wahl am 9. Oktober, die sich weniger entlang von Programmen, sondern an Personen entscheidet.
So ist das Kopf-an-Kopf-Rennen programmiert: Die Grünen sind landesweit im Aufwind. Sie profitieren von einer sich stetig verjüngenden Bevölkerung, deren gut situierte und einigermaßen abgesicherte Mittelschicht unter einem besseren Leben ein Haus mit Garten, einen effizienten öffentlichen Transport und einen Kitaplatz für ihren Sprössling versteht. Das alles selbstverständlich umweltverträglich. Es waren die Merscher Grünen, die bei den Wahlen 2005 mit über 23 Prozent das landesweit beste Ergebnis für Déi Gréng einfahren konnten.
Das dynamische Bild wird nur getrübt durch eine gewisse Ideenarmut. Große Visionen fehlen nicht nur bei CSV, LSAP oder DP, wie Adam kritisiert. Der „größte Planungsfehler“, den Déi Gréng ihren politischen Gegnern vorwerfen, kann man ebenso gut ihnen vorhalten: Auch die blau-grüne Vorgängerregierung hatte das Kinderbetreuungsthema vernachlässigt. Als mit dem Maison relais-Gesetz von 2006 und den 2009 eingeführten Chèques service der landesweite Run auf Betreuungsplätze einsetzte, mussten in Mersch Leichtbau-Gebäude als provisorische Auffangstrukturen herhalten. „Wir haben alle Kinder unter Dach“, wehrt sich ein erboster Albert Lentz gegen den Vorwurf der Untätigkeit. Sein Koalitionskollege Henkel räumt versöhnlicher ein: „Das hätte man vielleicht besser machen können.“
Offenbar sitzt bei der CSV der Ärger über die geplatzten Koalitionsverhandlungen mit den Grünen vor sechs Jahren noch tief: Als das Gespräch auf das von Déi Gréng geforderte eigene Mierscher Lycée zu sprechen kommt, wirft Lentz Adam vor, „Schlagwörter“ zu benutzen, beim Stichwort Agrarzentrum ist esvorbei mit der Gelassenheit: „Es geht hier um Arbeitsplätze“, empört sich Lentz, der sich selbst als „grün angehaucht“ bezeichnet. Inzwischen ist die Option Mersch aber sowieso vom Tisch – vielleicht zum Glück für Déi Gréng, die mit ihrem kategorischen Nein vor allem die ländliche Bevölkerung verärgert haben dürfte.
Bei so viel Hakeleien und Spitzen verwundert umso mehr, dass ausgerechnet bei dem Thema, das die Zukunft der Kantonalhauptstadt entsheidend prägen wird, sämtliche Parteien wortkarg sind: das Entwicklungsprojekt Garer Quartier und der neue Plan d’aménagement.
Man sei dabei den Plan directeur zu erstellen, so Bürgermeister Albert Henkel, der sich an den „wilden Spekulationen“, wie das Quartier in zehn, 20 Jahren aussehen könnte, nicht beteiligen will. Er sagt nur: Das Megaprojekt könnte bis zu 1600 Menschen eine Wohnung bieten und etwa 500 Arbeitsplätze bringen. In der Consultation rémunerée, die Henkel aus seinem überbordenden Aktenschrank hervorkramt, und die Skizzen und bunte Entwicklungsszenarien umfasst, ist von 124 300 Quadratmetern Bruttogeschossfläche die Rede. „Wie sich diese aufteilen, steht noch in den Sternen“, betont Henkel. Ein Parkhaus ist angedacht, ebenso Geschäfte und Apartments. „Es wird ein ,quartier mixte urbaine’“, so viel verrät er.
Ein idealer Aufhänger eigentlich, um die Vorstellungskraft weitsichtiger Lokalpolitiker anzuregen und wohlklingenden Slogans von einem besseren Leben mit konkreten Vorschlägen zu unterfüttern. Aber in den Wahlbroschüren ist vom Entwicklungsprojekt kaum die Rede. Die Grünen werfen der Koalition vor, wenig transparent zu sein. Ein Seitenhieb gegen einen Bürgermeister, der seine Sporen bei einer größeren Baufirma verdient hat. „Ich schlafe nachts ruhig“, wehrt sich dieser, bei einem Projekt von einer solchen Größenordnung könne man nicht alle Fakten auf den Tisch legen.
Albert Lentz von der CSV scheint ebenfalls gut zu schlafen. Sorgen, Mersch könnte den Bevölkerungszuwachs von geschätzten ein bis zwei Prozent jährlich nicht verkraften, hat er keine. „Wir haben den ja auch in der Vergangenheit erfolgreich gesteuert“, sagt der ehemalige Bürgermeister selbstsicher. Albert Henkel will nichts von einer „rasanten Entwicklung“ wissen und betont lieber, dass die Umsetzung in Phasen vonstatten gehe werde. Als Zeitrahmen nennt er „bis 2030“.
Für Besucher wirkt der Kanton, von kleineren Bausünden und der Fehlplanung Rollingen einmal abgesehen, noch recht geschlossen. Mit rund 40 Prozent Einwohnern ohne luxemburgischen Pass ist die Bevölkerung im Merscher Kanton nicht grad so bunt wie in Larochette. Was nicht heißen muss, dass das Zusammenleben einfacher ist. Die CSV will von Problemen nichts wissen, aber Bürgermeister Henkel erinnert daran, wie ein alteingesessenes Ehepaar ihn empört zurechtwies. Er hatte in seiner Rede die Merscher aufgefordert, Integration nicht als Einbahnstraße zu verstehen. „Die waren gar nicht froh“, erzählt er. Vielleicht beschränkt sich die Zukunftsdiskussion auch deshalb weitestgehend auf das Bebauen von Baulücken, „etwas, das wir nicht geschafft haben“, wie Lentz und Henkel einräumen. Um schlummernde Konflikte nicht zu wecken.
Auch nicht zwischen heutigen und künftigen Koalitionspartnern. Beim Wohnungsbau war und ist die Haltung der blau-grünen Koalition ambivalent: Die CSV wollte dem von Wohnungsbauminister Marco Schank umworbenen Pakt zunächst nicht beitreten, aus Sorge, eines Tages Spekulanten mit einer Strafsteuer belegen zu müssen und so insbesondere ländlichen Grundstücksbesitzern – viele davon CSV-Wähler – vor den Kopf zu stoßen. Ausgerechnet der Liberale Henkel begrüßt die Steuerungsinstrumente, die der Pakt ihm an die Hand gebe. „Als Bürgermeister sehe ich manches anders, als die nationale Parteilinie vorgibt“, gibt er zu.
Die staatlichen Subventionen nahm der Schöffenrat nach einigem Zögern dann doch gerne. Mit zwölf Millionen Euro Schulden und bei einer Kredittilgungsrate von fünf Prozent des Gesamtbudgets steht Mersch finanziell einigermaßen solide da. Die Straftaxe kam nicht, ein Angriffspunkt für die politische Opposition, die es in den Gemeinden, in denen sie an der Führung ist, jedoch selbst nicht besser macht.
Die Merscher scheint das nicht zu stören. Wenn sie sich überhaupt von den wahltaktischen Manövern beeindrucken lassen. Achselzuckender Kommentar einer Merscher Bürgerin, die mit ihrem Hund beim Kiosk im Merscher Park ver-
schnauft, was sie sich von der zukünftigen Gemeindeführung erwarte: „Was besser machen? Ist doch alles schön grün hier!“