Sylvie Andrich-Duval ist Gemeinderätin in Düdelingen. Sie wohnt in Budersberg, dort, wo die Industriestadt Düdelingen am ländlichsten ist. Ab und zu kommen Trecker in den engen Gassen entgegen, haarscharf an den Blumenkästen voller Geranien vorbei. Das Kopfsteinpflaster an den Kreuzungen ist sauber und neu, Gemeindearbeiter installieren gerade eine stilvolle Straßenlaterne aus dem Katalog. Auf der anderen Seite der Landstraße stehen solide Villen mit Säuleneingängen und Doppelgaragen, dazwischen niedrige Apartmenthäuser mit zwei oder drei Stockwerken, ganz das Gegenteil der Arbeiterviertel Italien und Schmelz mit ihren engen Reihenhäusern, dem Blick auf die verbliebenen Anlagen der Stahlindustrie.
Hier muss ein Teil jener Wähler wohnen, die dafür sorgen, dass die CSV seit Jahrzehnten vier Vertreter in den Gemeinderat der LSAP-Hochburg schicken kann. Außer 1999, als die Sektion sich spaltete, und der LCGB-nahe Flügel mit einer eigenen Liste kandidierte. Aber das ist schon Geschichte.
Die Oppositionspolitikerin und Abgeordnete Andrich-Duval gibt sich realistisch. Die absolute Mehrheit der LSAP zu brechen, wäre schon ein schöner Erfolg. Um „etwas demokratischere Verhältnisse“ zu schaffen. Aber selbst daran glaubt sie nicht so recht. Denn mit elf von 17 Sitzen kann die LSAP sogar noch einen oder zwei Sitze verlieren, ohne auf einen Koalitionspartner angewiesen zu sein. Auch die Grünen mit ihren derzeit zwei Räten halten sich für den Fall bereit, dass die LSAP ihre absolute Mehrheit verlieren würde, und bieten sich als kleinen Koalitionspartner an. Um Abwechslung in die rote Einheitsfarbe des Schöffenrats zu bringen, wie es in ihrer Wahlkampfwerbung heißt.
Doch Bürgermeister Alex Bodry muss keine Sekunde überlegen, wenn er nach dem Ziel des Wahlgangs in einem Monat gefragt wird: „Die absolute Mehrheit, 50 plus X.“ Auch wenn er die „Traumergebnisse“ der letzten Zeit „außergewöhnlich“ und deshalb schwer wiederholbar nennt. Denn 2005 kam die LSAP in Düdelingen auf 60 Prozent der Stimmen, am Wahl[-]abend waren – überraschend für die viertgrößte Stadt des Landes – nur noch drei Parteien im Gemeinderat, LSAP, CSV und Grüne. Drei Parteien waren verschwunden: DP, ADR und die Neutral Diddelenger Lëscht.
LSAP-Präsident Bodry ist stolz auf seine Lokalsektion – mit 600 Mitgliedern eine der größten des Landes –, welche die Fußtruppen liefert, um bei Wahlen die LSAP-Hochburg zu verteidigen. Er selbst hat Opfer dafür gebracht, war eingesprungen, als sein Vorgänger Mars Di Bartolomeo Minister wurde und der lokale Thronprinz Marc Zanussi tödlich verunglückte. Dass die Partei im Laufe der Jahrzehnte mit der lokalen OGB-L-Sektionen, den kommunalen Vereinen und den über 400 Gemeindebeschäftigten zu einem effizienten Netzwerk verwachsen ist, nennt die CSV-Opposition „république des camarades“. Sie fragt sich aber, ob andere Parteien es in anderen Gemeinden nicht ähnlich treiben.
Erstaunlich scheint es auf den ersten Blick schon, dass die LSAP ausgerechnet in der stellenweise ländlichen Industriestadt Düdelingen ihre Hochburg hat und diese auch nach dem Ende der Stahlindustrie verteidigen konnte. Denn nach der als Tragödie beklagten Stilllegung des Steckels 1984 und der ziemlich sang- und klanglos erfolgten Schließung des als Ersatz gefeierten Kaltwalzwerks 2005 war Düdelingen der erste der fünf von der Stahltripartite garantierten Stahlstandorte im Land, der aufgegeben wurde.
Doch die Allmacht der LSAP kommt gerade daher, dass Düdelingen durch seine soziale Zusammensetzung die einzige der größeren Stahl- und Bergarbeitergemeinden ist, wo die Sozialisten praktisch seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine ernsthafte linke Konkurrenz hatten, mit der sie die Arbeiterstimmen teilen mussten. Anders als in Esch-Alzette, Differdingen oder Sassenheim sind die Kommunisten seit 1951 nicht mehr im Gemeinderat vertreten. Und anders als in diesen Städten kommt heute in Düdelingen keine Partei auf die Idee, soziale Probleme zu Wahlkampfthemen zu machen. Denn heute zähle Düdelingen weniger als 40 Prozent Arbeiter, so Alex Bodry, weniger Ausländer, mehr qualifizierte Beschäftigte und Beamte als Esch-Alzette oder Differdingen. Deshalb seien Arbeitslosigkeit und Armut weniger drückend als in den anderen großen Industriestädten.
Auch sonst scheint die Gemeinde nur mittelgroße Sorgen zu haben. Mehrheit und Opposition sind sich einig, dass die Finanzen solide sind. Gerade wird der Bau einer neuen Sporthalle mit Schwimmbad für 20 Millionen Euro ausgeschrieben. Die Prokopfverschuldung liegt unter 700 Euro. Obwohl Düdelingen sich durch die Verteilungskriterien der staatlichen Zuwendungen benachteiligt fühlt: „Wir haben wenige Betriebe, die große Gewerbesteuerzahler sind, durch den teilweise ländlichen Charakter der Gemeinde ist die Siedlungsdichte niedriger“, so der Bürgermeister.
Da hat Sylvie Andrich-Duval es nicht einfach, Oppositionspolitik zu machen. Immer wenn sie von den Kritiken der CSV an der Verkehrspolitik, der Kinderbetreuung, dem Wohnungsbau, der Wirtschaftsentwicklung spricht, räumt sie erst einmal fairerweise ein, dass es beileibe nicht so sei, als ob die LSAP-Mehrheit in diesen Angelegenheiten überhaupt nichts unternommen hätte. Zufrieden nennt Bürgermeister Bodry das „Politik im Konsens“, über 90 Prozent der Entscheidungen im Gemein[-]derat würden einstimmig getroffen.
Ein seit Jahren diskutiertes Problem sind allerdings, wie fast überall im Land, die Verkehrsstaus, insbesondere jene, die entstehen, wenn die Bahnschranken sich eine nach der anderen schließen und so die Stadt mit ihren vier Haltestellen in zwei teilen. Die Lösung soll nun eine Straßenbahn sein, die auf den Eisenbahngleisen fährt und nicht mehr durch Schranken, sondern durch Ampeln vom Autoverkehr getrennt wird. Bürgermeister Bodry betont, dass der Schöffenrat bereits Gespräche über ein solches Projekt mit der Eisenbahngesellschaft geführt habe, die nun die Machbarkeit prüfen wolle. Dann könnte rasch eine Testphase beginnen, verspricht er, wohl überzeugt, welche Auswirkung es auf den ausgeprägten Lokalpa[-]triotismus der Düdelinger hätte, wenn ihre Tram noch vor der hauptstädtischen führe.
Das müsste eigentlich die Grünen freuen. Die Schwerpunkte ihres Wahlkampfs sind auch in Düdelingen Kinderbetreuung, Erziehung, Verkehrsberuhigung und Umweltschutz. Damit wurden sie bei den vergangenen Wahlen drittstärkste Partei. Doch der Schöffenrat unter dem ehemaligen Umweltschutzminister Bodry überlässt ihnen die Themen nicht kampflos. Auch der Bürgermeister verspricht für den nächsten Schöffenrat ein großzügiges Programm zur Förderung alternativer Energiequellen, zur Sanierung öffentlicher Gebäude, er will den Durchgangsverkehr eindämmen, Fußgänger und Radler fördern. Auch wenn die CSV das „typische Ankündigungspolitik vor den Wahlen“ nennt.
Allerdings versuchen die Grünen, sich von der LSAP mit dem Wahlversprechen „eines kontrollierten Wachstums der Stadt Düdelingen, das nicht auf Kosten der sozialen Infrakstrukturen geht“, zu unterscheiden. Für Alex Bodry ist es nämlich klar, dass Düdelingen wachsen muss, um nicht ins Hintertreffen zu geraten, zur Schlafgemeinde zu werden.
Mit dem im Bau befindlichen Staatslabor, dem Logistikzentrum auf dem WSA-Gelände, dem Ausbau des Containerterminals von CFL Multimodal auf Düdelinger Gebiet, einem neuen Betrieb in den ehemaligen Husky-Anlagen und vielleicht Filmstudios sollen neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Neue Siedlungen sollen entstehen, etwa auf Lenkeschléi, wo gerade der PAP für über 200 Wohnungen vorbereitet wird. Aber es gibt auch Düdelinger, die „Angst vor Veränderung haben“, wie der Bürgermeister das nennt, die neue Unternehmen und neue Siedlungen vor allem als Bedrohung ihrer Lebensqualität sehen. Vielleicht gibt es da Stimmen für die grüne oder ADR-Opposition zu holen.
Der ADR ist es diese Woche gelungen, eine vollständige Kandidatenliste aufzustellen, nachdem sie auf der lokalen Braderie noch nach Kampfgefährten Ausschau gehalten hatte. Sie rechnet sich Chancen aus, nach der knappen Niederlage 2005 wieder in den Gemeinderat zu kommen. Die DP bringt dagegen möglicherweise keine Liste mehr zustande. Was in einer der größten Städte des Landes eher peinlich für eine Partei von nationaler Bedeutung ist. Eine Liste aufzustellen versucht auch déi Lénk, die bisher in der Gemeindepolitik nicht weiter aktiv war. Doch mit dem Fünftgewählten der Grünen und der Wut auf die Steuer- und Indexpolitik der Regierungspartei LSAP hofft sie nach einem halben Jahrhundert wieder auf einen Sitz links von der LSAP.