Am Montag waren zwei junge Männer zu einer öffentlichen Anhörung ins Parlament geladen worden. Sie sollten eine auf der Internet-Seite der Kammer verbreitete Petition zugunsten einer sechsten gesetzlichen Urlaubswoche erklären. Die Petition hatte schon binnen zwei Tagen die 4 500 Unterschriften erhalten, welche Anlass zu einer Anhörung geben. Am Ende der Unterzeichnungsfrist hatten 10 418 Leute unterschrieben, ein Rekord, der nur von den 14 702 Unterschriften übertroffen wurde, mit denen die Erhebung des Luxemburgischen zur Amtssprache verlangt worden war.
Der Erfolg der Petition hat sicher damit zu tun, dass der Initiator der Unterschriftensammlung eine sozialpolitische Forderung gestellt hatte, für die das Parlament seine Internet-Petitionen eigentlich nicht gedacht hatte. Deshalb war auch nur ein Dutzend Abgeordnete zur Anhörung erschienen, die DP als wichtigste Regierunspartei meldete sich gar nicht zu Wort. Das Interesse bei den Parlamentariern für das an sich einleuchtende Anliegen war deutlich geringer als für die folkloristische Petition über die Amtssprache, zu der doppelt so viele Deputierte erschienen waren. Doch weil immerhin Tausende von Wählern eine sechste Urlaubswoche verlangten, trauten sich weder die Regierung, noch die Abgeordneten, die Forderung offen abzublocken.
Stattdessen gaben sie sich lieber Mühe, das leider allzu einfache Anliegen so kompliziert zu machen, dass seine Verwirklichung am Ende nahezu unmöglich erscheinen musste: Der CSV-Abgeordnete und Gewerkschafter Aly Kaes sowie Marc Baum von déi Lénk schlugen vor, die kurzfristige Forderung in einer langfristigen Diskussion über die Lebensarbeitszeit zu ersaufen. Weil die Petitionäre ihre Forderung mit dem Hinweis auf die belastenden Arbeitsbedingungen rechtfertigten, wich die Abgeordnete Josée Lorsché, deren grüne Partei vor drei Wahlen noch die „35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich” versprach, auf den für Pfingsten versprochenen Gesetzentwurf gegen das Mobbing aus.
Obwohl der OGBL längst eine eigene Kampagne für eine sechste Urlaubswoche angekündigt hatte, wägte LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry noch einmal ab, ob kollektivvertragliche oder gesetzliche Arbeitszeitregelungen besser seien. Sein Parteikollege, Arbeitsminister Nicolas Schmit, gab zu, dass „in Luxemburg viel gearbeitet wird im Vergleich zu anderen europäischen Ländern“. Er hielt aber eine sechste gesetzliche Urlaubswoche für geradezu schädlich, weil sie „eine Mauer“ darstelle, die „andere Reflexionen“, zum Beispiel über die Zeitsouveränität, zu blockieren drohe.
Die beiden etwas verdutzten, aber höflichen jungen Männer wollten eigentlich keine Reflexionen über Mauern, Lebensarbeitszeit oder Zeitsouveränität anstellen, sondern bloß eine sechste Urlaubswoche für jene Wirtschaftszweige und Betriebe, in denen es keine Kollektivverträge und noch keine 30 Tage Urlaub gibt. Denn die Geschichte lehrt, dass Arbeitszeitsenkungen erst in einzelnen Branchen durchgesetzt und dann durch Gesetz verallgemeinert werden. Weil sie nicht darauf beharrten, dass eine sechste gesetzliche Urlaubswoche der von Wirtschaftsminister Etienne Schneider versprochenen Aufteilung von Produktivitätsgewinnen dienen soll, hielten sich die Abgeordneten ihrerseits mit Warnungen vor der Zerstörung der Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts zurück.
So führte die Anhörung erwartungsgemäß nicht zu dem von den Petitionären vielleicht erhofften großen sozialpolitischen Durchbruch. Aber die kompliziert getarnte Thermopylenschlacht eines Dutzends Volksvertreter gegen die Übermacht von 10 000 ein sehr simples Anliegen verteidigende Wahlberechtigte bot dafür einen umso interessanteren Anschauungsunterricht über die Grenzen des Parlamentarismus als, laut der deutschen Bundeskanzlerin, „marktkonforme Demokratie“.