Michel Majerus 1967-2002

Nothing is permanent

d'Lëtzebuerger Land du 23.09.2010

Es sind bald schon acht Jahre her, dass Michel Majerus am 6. November 2002 bei dem Flugzeugabsturz in den Wiesen von Niederanven starb. Damals war er wohl nur wenigen kunstinteressierten Luxemburgern bekannt. Wenn man heute im Web seinen Namen eingibt, so kann man anhand der Fülle der Resultate feststellen, dass Majerus – zumindest aktuell – von allen Luxemburger Künstlern die weltweit größte Sichtbarkeit besitzt. Zur künstlerischen Relevanz schrieb der bekannte Ausstellungskustos Robert Fleck: „Das Werk von Michel Majerus ist buchstäblich abgerissen, erscheint aber rückblickend als eines der wichtigsten und persönlichsten Statements zur Malerei an der Schwelle des Jahrhunderts“.1

Auch von anderen Museumskuratoren und Kunstkritikern wurde Michel Majerus mit kunsthistorischen Superlativen belegt. Harald Fricke sprach von einer „Produktion im Akkord, die man bis jetzt nur bei Picasso und Warhol kannte“.2 Günter Engelhard fand Majerus sei „Andy Warhols Zauberlehrling“.3 Ronald Berg bezeichnete ihn als einen „Großmeister des Post-Pop“.4 Anne Prenzler statuierte: „Michel Majerus ist der Andy Warhol unserer Tage“.5 Belinda Grace Gardner hielt ihn für eine „Schlüsselfigur der jungen euro­päischen Malerei“.6

Mit der nationalen Zuordnung nahmen es aber manche Kunstrezensenten nicht so genau; so wurde der Künstler gelegentlich als Belgier oder Deutscher abgehandelt.

Michel Majerus wurde am 9. Juni 1967 in Esch-sur-Alzette geboren. In seiner Heimatstadt absolvierte er auch seine ganze Schulausbildung. Schon früh zeigte er sich musisch interessiert. Klassenkameraden wissen zu berichten, dass, wenn man ihn nach seinen Berufswünschen fragte, er ganz unbescheiden antwortete: „Ich möchte ein großer Künstler werden.“ Es war daher nur konsequent, dass er sein Abitur im Lycée de Garçons auch in der Ausrichtung Kunst machte. Von 1986 bis 1992 studierte Majerus an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Seine künstlerisch prominenten Lehrer waren unter anderen der amerikanische Konzeptkünstler Joseph Kosuth und K.R.H. Sonderborgh, ein Vertreter des deutschen Informel. Von Stutt­gart ging Majerus nach Berlin, wohl weil er sich bewusst war, dass man nur in der innovativen Kunstszene einer internationalen Weltstadt, sich weiterentwickeln konnte.

Seine erste wichtige Einzelausstellung hatte Majerus 1994 in der Berliner Galerie Neugerriemschneider; sie sollte ihn zeitlebens begleiten und sie vertritt auch noch heute sein Werk. Schon zwei Jahre danach erhielt er mit einer Installation in der hoch anerkannten Kunsthalle Basel erstmals die höheren Weihen. Sein Bekanntheitsgrad begann, stetig zu wachsen, und die internationale Kunstszene wurde auf ihn aufmerksam. Es folgten Gruppen- und Einzelausstellungen in den großen Kunsthäusern dieser Welt. Der Bogen ist weit gespannt: Von der Wiener Sezession über die Wolfsburger Kunsthalle bis zu den Biennalen von Taipeh und Venedig.

Der erfolgreiche Ausstellungsmacher Harald Szeeman hatte den Künstler 1999 nach Venedig eingeladen, um die Eingangsfront des italienischen Pavillons mit Wandmalereien zu gestalten. Im Kölnischen Kunstverein überraschte Majerus im Jahre 2000, indem er eine befahrbare Skateboardbahn, gleich einer Plastik, mit seinen Motiven und Texten bemalte. Der Titel If we are dead, so it is bekam nach dem tragischen Unfall einen visionären Charakter. Der Hamburger Kunstverein und die Londoner Delfina waren im Jahre 2000 zwei weitere wichtige Stationen im Ausstellungskarussel von Michel Majerus. Ein Stipendium erlaubte es dem Künstler ab November 2000, ein Jahr lang in Los Angeles zu leben und zu arbeiten. Er musste aber bis zum Sommer 2002 warten, bis eine Einzelausstellung im Ursprungsland des Pop-Arts stattfinden sollte; die New Yorker Galerie Friedrich Petzel zeigte eine Auswahl von Werken, die Majerus unter dem Titel Leuchtland zusammengestellt hatte.

Seine wahrscheinlich sichtbarste Installation – insbesondere wenn man das Fernsehen miteinbezieht – war 2002 in Berlin die Einkleidung des Brandenburger Tores. Anlässlich der Renovierung dieser geschichtsträchtigen Symbolarchitektur verhüllte der Künstler die Ostseite des Tores äußerst frech mit dem Foto einer heruntergekommenen DDR-Platten­bau­sied­lung aus Schöneberg und nannte das Ganze provozierend Sozialpalast. Seinen eigenen malerischen Ausdruck brachte Majerus ganz gezielt ein, indem er die beiden untersten Etagen mit Bildern im Graffiti-Stil gestaltete. Zu seiner sozialkritischen Positionierung sagte Majerus den Journalisten: „Ich möchte mit meinem Bild darauf hinweisen, dass man bestimmte Dinge einfach nicht ausblenden kann“.7 Vor dem fatalen Unglück im November 2002 arbeitete Majerus am Project space, eine geplante Ausstellung für die Tate Gallery Liverpool.

In den Tagen nach der Tragödie, wurde in der Presse darüber nachgedacht, was er der Kunst noch hätte bringen können. Solche unerfüllten Werkserwartungen wurden auch nach dem Tode Mozarts formuliert. Der berühmte Musiker starb wie Majerus im Alter von nur 35 Jahren. In demselben Kontext wurde Majerus von Journalisten mit den zeitnahen Malern Basquiat, ­Palermo, Kippenberger und dem Schauspieler James Dean in Verbindung gebracht. Alles Künstler, die in der Blüte des Lebens tragisch zu Tode kamen – deren Werk brutal unterbrochen wurde und irgendwie unvollendet blieb.

Nach dem Ableben des Künstlers, wuchs in der internationalen Kunstszene, das Bewusstsein für die wichtige Rolle, die Michel Majerus in der Kunst der Jahrtausendwende gespielt hatte. Es kommt von 2003 an zu einer Serie von großen monografischen Ausstellungen in Europas renommiertesten Hallen für zeitgenössische Kunst: Berlin, Liverpool, Hannover, Hamburg, Graz, Amsterdam, Luxemburg.

Zwar ist es noch zu früh, um eine definitive kunsthistorische Situierung des Werkes von Michel Majerus vorzunehmen, aber die Frage stellt sich, was konzeptuell und formal so singulär an seinem Oeuvre war – hat es doch international außergewöhnlich viel Anerkennung gefunden. Ingeborg Ruthe trifft sicherlich einen Teilaspekt wenn sie schreibt: „Sein Werk steht für die Wiederauferstehung und das muntere Fortleben der Malerei“.8 Majerus wagte es zu malen, als es in den 1990-er Jahren – angesichts des Aufkommens der neuen Medien – schick war, die Malerei für tot zu erklären. In dem Pressetext zur ihrer Gemeinschaftsausstellung Letzte Tage (2002) sprechen die beiden Künstler Michel Majerus und Hans Jörg Mayer selber vom „Ende der Malerei“.9

Die Aussage ist wohl eher eine Hinterfragung, die Majerus seine ganze Karriere beschäftigte. Jedenfalls zeugt sein Gesamtwerk davon, dass er den in manchen Kunstkreisen bedauerten „Tod der Malerei“ nie hingenommen hat. Durch seine gelungene Synthese von analoger Malerei und neuen digitalen Produktionsmitteln gab er dem Malerischen einen neuen Impetus. Majerus assoziierte locker die strengen Elemente der geometrischen Abstraktion eines Frank Stella mit den abstrakt expressionistischen Pinselspuren eines Willem de Koonings. Und er kontrapunktierte das Ganze mit ein paar Comic-Figuren, so als wären alle bildsyntaktisch gleichwertige Zeichen, die ganz partikular auf den eigenen kulturspezifischen „timecode“ verweisen.

Mit der Verkunstung von banalen Alltagsgegenständen steht Michel Majerus in der Tradition der Pop-Art und damit ergeben sich nicht nur besonders viele Parallelen zu Andy Warhol, sondern auch zu anderen Pop-Artisten wie Lichtenstein, Wesselmann, Rauschenberg, undsoweiter. Seine teilweise dekonstruktivistische Praxis zielte darauf, den Unterschied zwischen dem „high art“ der kunsthistorischen Tradition und dem „low art“ auf Basis von Produkten der Konsum­industrie aufzuheben. Majerus stellte fest: „Man kann keine Kunst mehr machen, die ausschließlich Kunst ist“.10

Ganz inspiriert von seinem Mentor Joseph Kosuth – dem Altmeister der Konzeptkunst – setzte Majerus gezielt Texte in Austellungstiteln, Bezeichnungen und Inhalten seiner Werke ein. Daraus wurden manchmal ironische Aphorismen zur vergangenen und aktuellen Kunstszene. Aber humorvolle Selbstbetrachtung – im Hinblick auf die Kritiker – war auch dabei: „avoid anything that looks like you‘ve tried too hard“. Einige Texte scheinen einen autobio­grafischen Charakter zu haben: „sein lieblingsthema war sicherheit seine these – es gibt sie nicht“ oder „demand the best don’t accept excuses“. Mit Infragestellungen wie „fuck the intention of the artist“ und „Die Absichten des Künstlers werden überbewertet.“, unterstützte er dekonstruktivistische Tendenzen in der Gegenwartskunst. Ganz im Sinn der Postmoderne entzauberte er den künstlerischen Schöpfungsprozess mit der Formel: „produce-reduce-reuse“. Publikum und Rezensenten wurden paradoxal bedacht: „fertiggestellt zur zufriedenheit aller, die bedenken haben“.

Michel Majerus war nicht nur ein hochkultivierter Bilderschöpfer, sondern er setzte sich auch geistig mit den zeitgenössischen Texten zur Kunsttheorie auseinander: Er spiegelte sie bildnerisch klug in einer für ihn adäquaten poietischen Form. Und wenn einmal etwas nicht so funktionierte wie gedacht, so war es ein „unexpected disaster“ (Werk­titel).

Indem Majerus mit intelligenter Unverschämtheit, Stilelemente anderer Künstler wie kunsthistorische Versatzstücke zusammenbaute und gleichzeitig die Wahrzeichen der gegenwärtigen populären Kultur darunter mischte, übertrug er eigentlich nur die musikalische Technik des „Samplings“ auf seine Kunst. „Sampeln“ heißt, Strukturteile von bestehenden Musikstücken neu zusammen zu mischen, um zu noch nie gehörten Klangbildern zu kommen. Wie ein DJ remixte er tradierte Kunst mit Produktlogos, Leuchtreklamen, und Chiffren aus der Techno-Rave Szene. Dazu gesellten sich Comicfiguren, Mangahelden und emblematische Gestalten aus der „Game Culture“: Super Mario, Donkey Kong und die Space Invaders gaben sich ein Stelldichein. Sie zeugen davon, dass Majerus selber ein begeisterter Computerspieler war. Auch die Teletubbies aus der beliebten TV Kinderserie, Woody, der Cowboy aus Disneys Toy Story und Roger Rabbit fanden nahtlos Eingang und wirkten doch gezielt irritierend. Günther Holler-Schuster sah in dem Künstler einen virtuosen visuellen Hacker11. Andere Rezensenten sprachen im positiven Sinne von einem „Bilderfresser“. Gleich einem Korollar war er für den Kunstkritiker Raimar Stange eine „Bilderaufbereitungsmaschine“,12 die sehr fleißig produzierte; so entstanden bis zu seinem frühen Tod etwa 2 500 Werke.

Das Zitieren fremder Bilder in der Kunst ist an sich nichts Neues, aber Majerus ist es sehr subtil gelungen, dem ikonischen Zitat als reines Zeichen eine neue bildsemiotische Dimension zu geben und den Modus der künstlerischen Appropriation gekonnt auf die Spitze zu treiben. Es war aber keineswegs eine respektlose Ausbeutung, sondern eine neue Sicht – eine Art Hommage an die Vorbilder – die diachron eine Entwicklung in der Kunst belegte. Majerus verstand das als eine Art „progressive æsthetics“ (Werktitel). Er war sich aber durchaus bewusst, dass auch die Kunst kurzlebigen Modephänomenen unterworfen ist: „What looks good today, may not look good tomorrow“ und „Nothing is permanent“ sind konzeptuelle Textbausteine in seinen Bildern.

Das raffinierte Spiel mit den Zeichen und Codes der zeitgenössischen Alltagskultur zeigt, dass es Majerus wichtig war, dass seine Werke synchron zu ihrer Zeit lesbar bleiben und neben der postmodernen Aufarbeitung von Kunststilen auch ein Stück angeeignete Gegenwart enthalten, die auf die Bilderwelten der medialen Wirklichkeit in den 1990-er Jahren verweist. Er dokumentierte implizit den Zeitgeist einer bestimmten Jugendkultur, an der er selber teilnahm.

Michel Majerus war ganz spezifisch ein Künstler seiner Zeit, der äußerst bewusst und konsequent verschiedene Kunstströmungen in Beziehung setzte, sodass bildnerisch ein selbstreferentieller Diskurs entstand, der Bestehendes ungewohnt interpretierte und gleichzeitig Neues plakatierte. Die innovativ geglückte Vereinigung mehrerer Individualstile bleibt sicherlich eine Art Markenzeichen des Künstlers. Seine gewagten Stilkombinationen verweisen auf eine fundamentale Fraktur in der Malerei und zeigen gleichzeitig neue Formen des malerisch Möglichen.

Der Autor ist Hauptdozent für Visuelle Kunst an der Universität Luxemburg und forscht aktuell über Michel Majerus.
Paul Dell
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