Ob Luxemburg tatsächlich ein Geschenk des Eisenerzes ist, wie Ägypten eins des Nils, so einer der Pioniere dieser Zeitung, darüber darf man streiten. Schließlich verdankte das Großherzogtum Anfang des 19. Jahrhunderts seine Eigenstaatlichkeit der Existenz seiner militärisch etwas zu bedeutsamen Festung. Aber wahr ist auch, dass die Landkarte jener Gemeinden, die im Referendum 2005 gegen den Europäi-schen Verfassungsentwurf gestimmt hatten, fast deckungsleich mit der geologischen Karte der Millionen Jahre alten Eisenerzvorkommen auf dem heutigen Staatsgebiet ist.
Denn die Förderung und Verhüttung der Minette schufen nicht bloß den viel zitierten Wohlstand im Land, für den auch 1 477 Bergleute ihr Leben lassen mussten. Erst sie machten die Industrialisierung hierzulande zur industriellen Revolution, entrissen die Bevölkerung „dem Idiotismus des Landlebens“, verwandelten das Auswanderer- in ein Einwanderland, ermöglichten die Entstehung der organisierten Arbeiterbewegung und damit die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts sowie des modernen Sozialstaats samt einer intensiven Sozialpartnerschaft.
So bildetete die Schwerindustrie nach der auch als wirtschaftliche Katastrophe empfundenen Schleifung der Festung für ein Jahrhundert die zweite strategische und wirtschaftliche Grundlage des kleinen Nationalstaats. Das Jahrhundert ist fast deckungsgleich mit dem Jahrhundert Arbed, das gestern in Belval gefeiert wurde. Während dieses Arbed-Jahrhunderts tröstete sich der kleine Staat über seinen nationalen Minderwertigkeitskomplex mit der Statistik hinweg, dass Luxemburg die höchste Prokopf-Stahlproduktion der Welt habe. Generationen von Arbeitern brachten es so nach dem Zweiten Weltkrieg zu kleinen Eigenheimen, Mittelklassewagen und Spa-nienurlaub, und Generationen von sich Beamten nennenden Angestellten glaubten, beinahe beim Staat zu arbeiten.
Gleichzeitig sah es immer so aus, als ob die Arbed ein Staat im Staate, wenn nicht gar zu groß für das kleine Land gewesen wäre. Deshalb galt, zumindest in der Stammtischlegende, ihr Generaldirektor neben dem Bischof, den Generalsekretären der CGFP und der Bauernzentrale, als einer der Drahtzieher des CSV-Staats. Deshalb war sie in der großen Krise vor fast 40 Jahren ein systemisches Risiko, „too big to fail“, wurde mit Hilfe der nationalen Solidarität und eines historischen Klassenkompromisses – Zuschüsse und sozialer Friede gegen Arbeitsplatz- und Standortgarantie – saniert, und die Arbed wurde zu einem Drittel tatsächlich ein Staatsbetrieb.
Dass dort, wo die Strahlindustrie gestern auf dem ehemaligen Arbed-Gelände feierte, inzwischen die Rockhal im Schatten einbalsamierter Hochöfen steht, verdeutlicht die Umbrüche, die sie inzwischen erlebt hat. Doch seit der Krise und mehr noch seit der Übernahme durch einen der reichsten Männer der Welt, hat sich das Verhältnis zwischen dem Staat und der Stahlindustrie verändert. Davon zeugt das Misstrauen, das die Regierung sogar bewog, politisch riskant den Wirtschaftsminister in den Verwaltungsrat des Konzerns zu schicken. Und das Premier Jean-Claude Juncker gestern „die neuen Leiter der Stahlindustrie“ ziemlich barsch an die „Solidarität“ erinnern ließ, die das Land in der Krise geübt hatte, und daran, dass sie die „Abmachungen, die waren und die sind“, einhalten sollten. Lakshmi Mittal versprach, dass „die Stahlindustrie in Luxemburg eine große Zukunft“ vor sich habe. Aber manch einer im Publikum dürfte sich gefragt haben, was nach den Feiern aus jenen Werken wird, die nicht die legendären Grey-Träger und Spundwände made in Luxembourg herstellen.