d'Land: 1987 wurde das Gesetz über die öffentlichen Forschungszentren verabschiedet. Man kann also sagen, dass Luxemburgs öffentliche Forschung dieses Jahr 25 wird. Ist das ein Grund zum Feiern für Sie, Herr Minister?
François Biltgen: Aber ja! Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen über den Gesetzentwurf. Ich war damals CSV-Fraktionssekretär, und zu den treibenden Kräften für eine strukturierte öffentliche Forschung gehörten verschiedene Abgeordnete, etwa der damalige CSV-Fraktionspräsident François Colling oder Ben Fayot von der LSAP. Sie machten Forschung in Luxemburg zum Thema.
Was sie bis dahin nicht war?
Das Land hatte keinen richtigen Bedarf danach gespürt, denn es gab eine Industrie, die von selber Forschung betrieb. Ein Forschungsministerium gab es auch nicht; damals kümmerten sich im Bildungsministerium zwei Leute um Forschung. Zwischen 1987 und 1999 herrschte Pionierzeit. Wenn ich bedenke, wo wir heute stehen, macht mich das stolz. Wir haben eine Universität seit 2003, wir haben die Forschungszentren, die dabei sind, sich neu auszurichten. Wir haben seit 1999 den Nationalen Forschungsfonds FNR, der künftig eine noch größere Rolle als Förderer wettbewerbsorientierter Forschung spielen wird. Wir haben die Innovationsagentur Luxinnovation und wir haben den Conseil supérieur pour la rercherche et l’innovation. Aus den Embryos von Ende der Achtzigerjahre ist etwas entstanden, das heute eine ganze Forschungslandschaft bildet.
Sie haben gesagt, die Forschung habe in den Betrieben stattgefunden. Die Centres de recherche publics wurden aber mit einem ganz klaren Bezug auf die Betriebe geschaffen.
Ja, sie sollten für Technologietransfer sorgen.
Weil die Betriebe weniger forschten?
Es gab damals wie heute ein paar ausgesprochen forschungsintensive Industriebetriebe. Die hätten nicht unbedingt ein CRP gebraucht. Aber die Idee war damals, über die unmittelbare Anwendung in einem Produktionsprozess hinaus in den CRPs Wissen anzulegen, das Jahre später in Innovationen münden könnte. Davon hätten auch kleinere, weniger forschungsintensive Betriebe profitieren können.
Haben die CRPs denn Technologietransfer gemacht?
Es gibt einige sehr gute Beispiele für die Zusammenarbeit mit Unternehmen, aber auch mit Ministerien und Verwaltungen. Dennoch würden wir, wenn wir heute vor derselben Aufgabe stünden wie 1987, sicherlich anders vorgehen. Wir würden ein einziges Zentrum schaffen und ihm Abteilungen geben. Viele der Diskussionen der letzten Jahre um das „Wer macht was?“ ergaben sich aus der unklaren Definition der Zuständigkeitsbereiche der CRP Henri Tudor und Gabriel Lippmann im 1987-er Forschungsrahmengesetz. Das Gesetz schloss die CRP ja an schon bestehende Einrichtungen an – an das Institut supérieur de Technologie und an das Centre universitaire. Der Gesetzgeber orientierte sich also an den Aktivitäten von IST und Cunlux. Die Forschungs-Portfolios entwickelten sich entsprechend, und das führte dazu, dass bestimmte Betriebe sich „ihr“ CRP aussuchten.
Da hat offenbar eine Konkurrenz gespielt. Ist Ihnen das nicht recht?
Luxemburg ist zu klein für Konkurrenz in der Forschung, wir brauchen Komplementarität. Die eigentliche Konkurrenz sitzt jenseits der Grenzen. Aber seit die OECD uns 2006 Empfehlungen für eine bessere Führung der öffentlichen Forschung gemacht hat, gehen wir in Richtung Komplementarität. Vorher war ich nicht abgeneigt, den CRP ihre Forschungsgebiete regelrecht vorzuschreiben. Die Berater der OECD rieten davon ab: Das würde der gesamten öffentlichen Forschung Dynamik nehmen. Der Einwand war berechtigt. Unser Ansatz heute – seit 2008, um genau zu sein – lautet „sanfter Druck“. Wir schließen mit den CRP Leistungsverträge ab, garantieren ihnen über drei Jahre eine Basisfinanzirung, damit sie ihre Forschungs-Kernkompetenzen entwickeln, und wir messen regelmäßig anhand von Indikatoren und externen Gutachten, welche Qualität die Forschung hat und wo wir im europäischen Vergleich stehen. Dass die Vorteile von Komplementarität und Arbeit im Verbund verstanden worden sind, sieht man nicht zuletzt am Fusionsvorhaben der CRP Tudor und Lippmann. Übrigens sind beide vor kurzem mit mir übereingekommen, ihr Zusammengehen zu beschleunigen. Statt zum 1. Januar 2016 soll es schon ein Jahr eher abgeschlossen sein. Die Initiative dazu geht von den Häusern selbst aus.
2004, die Universität war gerade gegründet und Sie waren Forschungsminister geworden, traten die Handelskammer und die Fedil dafür ein, alle CRP in die Uni zu integrieren und eventuell frei werdende Gelder in die Innovationsförderung zu stecken ...
Heute sagen sie das nicht mehr!
Die Handelskammer findet immer noch, die öffentliche Forschung sei nicht nah genug bei den Betrieben und Forschungsresultaten müsse schneller zur Marktreife verholfen werden.
Letztere Feststellung ist teilweise richtig. Das ist ein Punkt, den wir verstärkt angehen. Wir haben aber schon damit begonnen und gehen strukturell vor: Die Reform des FNR, für die der Gesetzentwurf in der Abgeordnetenkammer liegt, soll unter anderem dafür sorgen, dass der Fonds künftig Mittel für die Verwertung von Forschungsresultaten bereitstellen kann. Denn es kam schon vor, dass ein CRP eine interessante Lösung entwickelte, aber dann das Geld fehlte, um sie am Markt zu testen.
In Kürze werde ich auch einen Entwurf für die Reform des CRP-Gesetzes vorlegen. Das wird dieses Jahr das umfangreichste Reformvorhaben in der Forschungspolitik; es reicht weiter als die Reform des Uni-Gesetzes und des FNR-Gesetzes. Unter anderem will ich die Führung der CRP anpassen und ihnen mehr Autonomie verleihen. Bis auf einen Regierungskommissar, der lediglich aufpasst, dass die „Kirche im Dorf“ bleibt, sollen ihren Verwaltungsräten keine Staatsvertreter mehr angehören, nur noch Persönlichkeiten von außen. Also nicht zuletzt auch Wirtschaftsvertreter, wie es ja heute schon viel der Fall ist.
Dann wären die Wirtschaftskreise zufriedengestellt?
Forschung hat auch etwas mit der Bildung von Wissenskapazitäten zu tun. Man braucht sich nur zu vergegenwärtigen, wo Jules Hoffmann damals angefangen hat mit seiner Forschung an diesem Insekt. Hätte man ihm gesagt: Daraus entwickelst du mal eine Erkenntnis, die in der Medizin wichtig ist!, wäre das falsch gewesen. Aber indem er Grundlagenforschung gemacht hat, wurden später Anwendungen möglich. Das ist es, was für mich Forschung ist, wissenschaftliche Forschung: Sie ist langfristig orientiert und bildet Kapazitäten; dafür braucht man Labors, Teams, und es hat mit Risiko zu tun. Gegen die pauschale Forderung nach kurzfristigen Resultaten wehre ich mich.
Die Idee der Handelskammer von 2004 hatte aber auch etwas Rationales: Wären die CRP in die Uni integriert worden, hätte die Industrie ein eigenes Forschungsinstitut aufmachen können. In Deutschland zum Beispiel sind so die Fraunhofer-Institute entstanden. Wäre so etwas heute nicht vielleicht ganz nützlich, wenn Luxemburg von einer Deindustrialisierung bedroht ist?
Ein solches Institut könnte ich mir vorstellen, wenn unsere Industrie weniger heterogen wäre. In den Diskussionen mit der Fedil 2004 fragte ich: „Was könnte die Industrie denn in zehn Jahren von der Forschung brauchen?“ Das war die Gretchenfrage – darauf bekam ich keine Antwort. Kein Wunder, denn die Fedil kann ihren Mitgliedern keine gemeinsame Forschungsstrategie auferlegen. Jeder Versuch einer Cluster-Bildung bei uns stößt einerseits auf das Problem der großen Diversität der Betriebe, andererseits darauf, dass viele von den wichtigen keine Luxemburger Unternehmen sind, sondern Unternehmen in Luxemburg.
Am CRP Gabriel Lippmann wurde fünf Jahre lang versucht, ein Labor ganz auf den Bedarf der heimischen Automobilzulieferer auszurichten. 2011 wurden die Bemühungen eingestellt, denn es fand sich einfach kein gemeinsames Projekt der Branche. Ähnlich ging der Versuch aus, die Luxembourg School of Finance nicht nur zu einer akademischen Ausbildungsstätte, sondern auch zu einem Forschungsinstitut zu machen: Der FNR schrieb ein Programm für Forschungsvorhaben im Bankenwesen aus, doch nur sehr wenige Projekte wurden eingereicht. Denn die meisten am Finanzplatz vertretenen Häuser sind Filialen ausländischer Banken, und wenn die neue Produkte entwickeln, dann tun sie das oft nicht hier.
Das heißt, föderierende Impulse für die Innovation und die anwendungsorientierte Forschung müssen vom Staat kommen?
Zum Teil ja. Mit der Partnerschaft für Biotech und Systembiologie zum Beispiel gibt der Staat eine Richtung vor. Wir wollen diesen Sektor wirklich aufbauen und dort zur wirtschaftlichen Entwicklung beitragen. Andere Initiativen entstehen sehr wohl in den CRP mit den Betrieben, ebenso zwischen den Betrieben und der Universität. Das sind aber vergleichsweise kleinere Projekte.
Kann es dann sein, dass nicht nur die CRP in manchen Bereichen miteinander in Konkurrenz um Forschungsaufträge stehen, sondern auch die CRP und die Uni? Das interdisziplinäre Zentrum für IT-Sicherheit der Uni unter Professor Björn Ottersten zum Beispiel hat mehr als 50 Prozent Drittmitteleinkünfte. Das ist enorm und vielleicht auch Ausdruck einer Konkurrenz mit den IT-Abteilungen bei Tudor und Lippmann?
Nicht jeder Bereich an der Uni ist in der Auftragsforschung so stark. Aber die Uni hat recht viele Drittmittel, das ist schon richtig. Die wird sie aber auch konsolidieren müssen, also nutzen müssen, um etwas Neues zu lancieren. Das wird vor dem nächsten Vierjahresplan der Uni diskutiert werden müssen. Ich will weder eine Uni haben, die keine von den Betrieben finanzierten Lehrstühle annimmt und keine Auftragsforschung für sie macht, noch will ich angelsächsische Verhältnisse haben und eine Uni, die nur von der Wirtschaft finanziert wird.
Gibt es denn genug zu forschen in Luxemburg, damit einerseits die Universität und andererseits die CRP, ob zu einer größeren Struktur fusioniert oder nicht, jeweils für sich genug Forschungsaufträge akquirieren können?
Das ist eine Frage, die mich beschäftigt. Damit greife ich auch einen Gedanken des Conseil supérieur de l’innovation et de la recherche auf: Wie erreichen wir Komplementarität? Was viele meinen, die Uni macht Grundlagenforschung und die CRP das Angewandte – das funktioniert nicht. Stattdessen sollte an der Uni der Schwerpunkt auf der wissenschaftlichen Forschung liegen und zusätzlich auch Technologietransfer gemacht werden, während bei den CRP Letzterer dominieren muss und die angewandte Forschung so erfolgt, dass das Wissen an den Zentren dem State of the art entspricht, so dass die marktfähigen Entwicklungen und Technologien ebenfalls auf dem höchsten Stand sein können. Letztlich ist es eine Frage der Gewichtung.
Und wie könnten beide Seiten zu Komplementarität kommen?
Weil ich meine, dass die Politik dafür möglichst keine Vorgaben machen sollte, wird es der Uni und den Forschungszentren zu einem guten Teil selber überlassen sein, sich zu finden. Wofür das Ministerium sorgen wird, ist ein Konzertierungsorgan. Das wird in Belval angesiedelt, in der Cité des sciences, und dem Ministerium beratend zur Seite stehen.
Als 2010 die erste externe Evaluation der Forschungszentren mit Leistungsvertrag stattfand, wurden zweien besondere strategische Schwächen attestiert: dem Sozialforschungszentrum Ceps-Instead und dem Sassenheimer Centre virtuel de la connaissance sur l’Europe (CVCE). Was halten Sie von den beiden Häusern heute?
Das Ceps befindet sich mitten in der Neuorientierung. Ich meine, es hat als eigenständiges Zentrum auch weiterhin seinen Platz. Zum Beispiel in der Arbeitsmarktforschung und vor allem rund um die soziale Absicherung. Es wird darauf ankommen, zu einer sinnvollen Aufgabenteilung mit der Universität zu gelangen. Über das CVCE lassen wir derzeit eine gesonderte Evaluation erstellen. Sie soll nächstes Jahr vorliegen und die Frage beantworten, ob das CVCE hauptsächlich ein Forschungszentrum ist oder ein Publikationsinstitut.
Was meinen Sie?
Ich habe dazu keine vorgefasste Meinung. Letzten Endes muss die Antwort auch nicht lauten, das eine oder das andere. Ich arbeite lieber mit der Definition von Haupt- und von Zusatzaktivitäten. Zurzeit aber wissen wir nicht, wohin das CVCE orientiert werden könnte – eher in Richtung Publikation, was vielleicht einer Rolle als Kulturinstitut entspräche, oder in Richtung Forschung. Klar ist: Wie die Dinge derzeit liegen, ist es auch für das CVCE selber nicht gut. Da kommt es nie aus der Schusslinie. Nach dieser Studie ist eine Grundsatzentscheidung fällig, nach der man das CVCE weiter entwickeln muss.
Was hielten Sie von einem ganz langfristig orientierten Bekenntnis der Politik zur Forschung? Wenn man zum Beispiel sagen würde: 2050 soll Luxemburg in einem Atemzug mit den so und so viel besten Forschungsstandorten der Welt genannt werden.
Ich habe Probleme mit solchen Rankings. Oft honorieren sie, wie etwa das Shanghai Ranking, Masse. Da hätten wir schon als kleines Land immer Mühe, gut abzuschneiden. Zweitens sind sie fast ausschließlich auf Natur- und Technikwissenschaften orientiert und berücksichtigen die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht. Drittens ziehen sie ausschließlich Publikationen auf Englisch in Betracht – was ein kleineres Problem wäre –, und sie sind hauptsächlich auf Spitzenleistungen angelegt. Für unsere gesamte Forschungslandschaft hätte ein solches Bekenntnis daher keinen Sinn.
Luxemburg ist aber dabei, auf einzelnen Gebieten gut zu werden, und wenigstens in zweien könnte ich mir vorstellen, dass man sagt, wir wollen zu den Weltbesten gehören: in den Informationstechnologien, vor allem was deren Sicherheit betrifft, sowie in der Systembiologie und bestimmten Anwendungen davon.