Jeder CSV-Kongress seit der Regierungskrise ist immer auch ein Exorzismus, mit dem sich die Partei Jean-Claude Juncker austreibt, ihren langjährigen Star, der sie vor zwei Jahren bei seinem Sturz mit ins Unglück gerissen hatte. Am ordentlichen Kongress im März dieses Jahres in Grevemacher hatte der Präsident der Europäischen Kommission noch teilgenommen, um einem weiteren Dank- und Verabschiedungsritual beizuwohnen, so als ob sich die ängstliche Partei noch einmal mit Blumensträußen und Geschenken die Gewissheit erkaufen wollte, dass der politisch Untote auch wirklich nicht wiederkommt.
Zum außerordentlichen Parteitag der CSV am Samstag im hauptstädtischen Forum Geesseknäppchen war Jean-Claude Juncker nicht mehr erschienen. Auf der Tagesordnung stand die Verabschiedung einer Statutenreform, mit der die parteiinterne Funktionsweise demokratisiert und die Beteiligung der Mitglieder ausgeweitet werden sollte. Das heißt die Austreibung des Geistes von Jean-Claude Juncker, der als aufgeklärter Monarch lange die Parteilinie vorgab, bis am Ende die CSV nur noch die Zeichen des Orakels von der Cap zu deuten versuchte.
Zur Demokratisierung der Partei schreiben die Statuten nun vor, dass politisch wichtige Fragen in einem um die Kammerfraktion erweiterten Nationalkomitee beschlossen werden sollen. Auch die Delegiertenzahl der Nationalkongresse steigt, von 500 auf 800. Der nationale Spitzenkandidat wird durch das Plebiszit eines Konvents ernannt, in dem die über 2 000 Delegierten des National- und der vier Bezirkskongresse gemeinsam tagen. Fünf Prozent der Mitglieder der Gesamtpartei oder eines Parteibezirks können auf ihrer jeweiligen Parteiebene eine Mitgliederbefragung erwirken. Außerdem werden die Arbeit der Fach- und Arbeitsgruppen sowie die Schlichtungsprozeduren geregelt.
Alle diese Änderungen wurden am Samstag ohne Gegenstimmen und bei lediglich fünf Enthaltungen gutgeheißen. Sie waren seit dem Frühjahr von einer Statutenkommission vorbereitet worden, die von Generalsekretär Laurent Zeimet und der beigeordneten Generalsekretärin, Stéphanie Weydert, geleitet worden war. Zwar lagen dem Kongress am Samstag noch drei Dutzend Änderungsanträge vor, aber davon stammten zwei Dutzend vom Nationalvorstand und waren eher kosmetischer Natur. Ein halbes Dutzend Anträge von einem ehemaligen Präsidenten der Parteijugend, Charel Schmit, zur Schaffung eines parteiinternen Petitionsrechts, zu Postenausschreibungen für Mandatsbesetzungen oder der Schaffung einer Parteiakademie wurden ohne Diskussion abgelehnt.
Politisch heikler war der Änderungsantrag, den der Abgeordnete Serge Wilmes eingebracht hatte, damit der nationale Spitzenkandidat bei Kammerwahlen – das heißt der Juncker-Nachfolger – von allen Mitgliedern, die der CSV seit mindestens einem Jahr angehören, gewählt wird. Die Organisation solcher Vorwahlen, „Primaries“, wie sie die LSAP-Statuten erlauben, war eine Forderung der Parteijugend und aus der Öslinger CSJ stammender Reformer, die sich nach dem Vorbild der deutschen Liberalen Dreikönigsgruppe nennen. Die Parteileitung hatte schon auf dem März-Kongress mit einer diskreten Klausel in einem Resolutionsentwurf versucht, den Vorschlag abzublocken, musste die Entscheidung dann aber aufschieben, um eine öffentliche Kampfabstimmung zu vermeiden.
Serge Wilmes’ von CSJ-Präsident Charel Hurt unterstützter Antrag war aber nur noch ein Nachhutgefecht, denn sein Vorschlag hatte schon zuvor weder in der Programmkommission, noch im Nationalvorstand Gehör gefunden. Nationalvorstandsmitglied und ehemaliger Staatsrat Georges Pierret brachte die Skepsis der Parteiführung auf den Nenner, als er meinte, die CSV könne es sich nicht leisten, dass ein Jahr vor den Wahlen ihre zwei oder drei besten Leute sich öffentlich zerfleischten. Eine Direktwahl drohe auch zur Lagerbildung innerhalb der Partei zu führen und einen Spitzenkandidaten zu schwächen, der nur 65 Prozent der Stimmen erhalten habe. Der Antrag, der 66 Prozent der Delegiertenstimmen benötigt hatte, kam auf 28 Prozent der Stimmen – die Parteiführung behält 2018 die Kontrolle über die Bestimmung des Spitzenkandidaten und wahrscheinlich nächsten Regierungschefs.
Fast hätte die CSV so eine weitere Etappe auf ihrem Programm zur Rückkehr an die Macht zufrieden abhaken können, wäre sie nicht über die Frauenquoten gestolpert. Dabei hat die CSV, anders als LSAP und DP, seit 14 Jahren eine Geschlechterquote in ihren Statuten eingeschrieben, laut denen mindestens ein Drittel Frauen auf allen Kandidatenlisten stehen müssen. Die Statutenkommission und der Nationalvorstand hatten vorgeschlagen, die Quote für Kammer- und Europawahlen von 33 auf 40 Prozent zu erhöhen, auch weil die Regierungsmehrheit sowieso eine 40-prozentige Quote über das Parteienfinanzierungsgesetz vorschreiben will. Die 40 Prozent sollten landesweit gelten, so dass ein niedriger Frauenanteil in einem kleineren Wahlbezirk durch einen höheren im Süden oder Zentrum ausgeglichen werden könnte. Doch die Abgeordnete Martine Hansen brachte für den Vorstand des konservativen Nordbezirks einen Änderungsantrag ein, um aus der Mussformel eine Sollformel zu machen, um sich „nicht von Gambia erpressen zu lassen“ und deren Gesetzentwurf ablehnen zu können.
Martine Hansens Antrag verpasste die notwendige Zweidrittelmehrheit um drei Stimmen. Wäre da nicht der in gesellschaftspolitischen Fragen sehr konservative Parteipräsident Marc Spautz gewesen, der mitteilte, er habe bei dem knappen Abstimmungsergebnis „ein ungutes Gefühl im Bauch“, so dass man besser ein zweites Mal abstimmen sollte. Weder die alten, noch die neuen Statuten sehen vor, dass Abstimmungsergebnisse vom Bauch des Präsidenten abhängen, wie stattlich auch immer er ist. Trotzdem ließ der überforderte Kongressvorsitzende nach der unvermeidlichen Prozedurdiskussion erneut abstimmen, und eine Handvoll Delegierter kam Spautz’ impliziter Einladung nach, die Quotenerhöhung doch noch zu verwerfen. Die Zweidrittelmehrheit wurde um bloß fünf Stimmen übertroffen, aber da spürte der Präsident kein ungutes Gefühl mehr im Bauch.
Seit ihrer Wahlniederlage 2013 verfolgt die CSV konsequent ihr Programm, um zurück an die Macht zu kommen. 2014 gelang es ihr mit viel Glück, die Personalfragen zu klären. Jean-Claude Juncker wurde Präsident der Europäischen Kommission und zog sich aus der nationalen Politik zurück. Michel Wolter übernahm als Einziger die Verantwortung für die Niederlage und gab den Parteivorsitz auf. Thronprinz Luc Frieden zog sich in die Privatwirtschaft zurück und machte den Weg frei für Claude Wiseler.
2015 war dann das Jahr, in dem die schon durch das Ergebnis der Europawahlen und des Referendums ermutigten Parteimitglieder remobilisiert werden sollten. Die CSV führte ein internes Audit durch, bereitete eine Reform ihrer Statuten vor und verabschiedete sie nun am Wochenende. Das ist die erste größere Statutenreform seit 2001, nachdem die Partei bei den Wahlen von 1999 einen historischen Tiefpunkt erreicht hatte.
2016 sollen dann die politischen Inhalte angepasst werden. Am 19. März nächsten Jahres wird ein ordentlicher Parteitag ein neues Grundsatzprogramm verabschieden, das der von DP, LSAP und Grünen vorangetriebenen gesellschaftlichen Liberalisierung Rechnung trägt. Doch Präsident Marc Spautz betonte am Samstag noch einmal, dass das „C“ im Parteinamen auch in Zukunft „für Christlich und nicht für Centrum“ stehen werde.
Mit dem Grundsatzprogramm als Vorlage werden dann die Wahlprogramme verfasst. Denn ab 2017 stehen der Gemeindewahlkampf, 2018 der Legislativwahlkampf und 2019 der Europawahlkampf an.