Am morgigen Samstag reisen LSAP-Mitglieder in einer Art Sternfahrt aus dem ganzen Land nach Remich ins Fortbildungszentrum der Salariatskammer zur Sommerakademie ihrer Partei. Nach dem Vorbild der französischen Sozialisten hatte die LSAP vor zehn Jahren begonnen, jeweils zum Herbstbeginn eine Sommerakademie zu organisieren. Ziel der Veranstaltung ist es seither, sich einmal im Jahr über das Tagesgeschäft hinaus mit programmatischen und organisatorischen Fragen zu beschäftigen, das heißt, jene Basismilitanten zu Wort kommen zu lassen, die klagen, dass alle wichtigen Fragen von der Parteiführung im engsten Kreis entschieden würden.
Das Thema des diesjährigen Treffens lautet „Accéder à un logement, une question d’équité“. Jene Mitglieder, die nach den Debakeln bei den Europawahlen, dem Referendum und den Meinungsumfragen weiter über den Zustand der Partei diskutieren wollten, hatten Präsident Claude Haagen und Generalsekretär Yves Cruchten im Einladungsschreiben getröstet, dass schon voriges Jahr die interne Funktionsweise, die Kommunikationsstrategie und die politische Positionierung auf der Tagesordnung gestanden hätten.
Doch die politische Positionierung ist seither nicht einfacher geworden. Am Samstag wurde der linke Abgeordnete Jeremy Corbyn zum neuen Vorsitzenden der britischen Labour-Partei gewählt, ein in Ehren ergrauter Gewerkschafter, Radfahrer und Vegetarier, der immer so angezogen ist, als ob er gerade im Garten gearbeitet hätte. Am gleichen Tag erschien die neue Ausgabe des deutschen Magazins Der Spiegel mit einem Foto des stolz auf seinen Rolls Royce gelehnten LSAP-Vizepremiers Etienne Schneider. Wie will die LSAP in Zukunft aussehen?
Der LSAP laufen vor allem bei den entscheidenden Parlamentswahlen seit Jahrzehnten die Wähler davon. Bei den Europawahlen vergangenes Jahr erhielt sie sogar weniger Stimmen als die Grünen. Bei dem Referendum in diesem Jahr bekam die Partei mit ihren Vorschlägen eine Abfuhr von vier Fünfteln der Wähler. Nach den Anfang Juli von Tageblatt und TNS Ilres veröffentlichten Antworten auf die Sonntagsfrage verlöre die LSAP drei weitere Parlamentsmandate und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis seit 1922. Aus der Traum, als linke Volkspartei „auf Augenhöhe“ mit der CSV zu stehen, die fast dreimal so viele Sitze bekäme.
Als Antwort auf die Rückschläge will die Regierung, die angetreten war, die Fenster weit aufzureißen und den Mief des CSV-Staats zu beseitigen, eine „Reformpause“ einlegen. Denn sie ist überzeugt, dass die Koalition einen allzu rasanten Start hingelegt und damit die Wähler überfordert habe. Das Referendum habe gezeigt, dass man Reformen vorsichtig angehen und besser erklären müsse.
Daneben will die Regierung die für 2017 geplante Steuerreform nutzen, um sich nach der Mehrwertsteuererhöhung, der Haushaltsausgleichssteuer und den Kindergeldkürzungen wieder in die Herzen der Wähler einzukaufen. Dank des beeindruckenden Wirtschaftswachstums soll die Steuerreform nicht mehr durch allerlei Umschichtungen kostenneutral ausfallen, wie es in den Koalitionsverhandlungen heiß, sondern der Staat soll bis zu den nächsten Wahlen auch auf einige hundert Millionen Euro Einnahmen verzichten.
Das löst jedoch noch nicht alle Probleme der LSAP. Denn sie hatte sich in der rezenten Vergangenheit schon viel hin und her zu positionieren versucht. 1994 hatte sie hinter der deutschen Sozialdemokratie zum „ökologischen Umbau der Industriegesellschaft“ aufgerufen und war danach in Gerhard Schröders „neue Mitte“ gedrängt. Dort schwor sie als „LS@P“ 1999 nur noch auf „Innovation“ und verlor wenige Monate vor dem Platzen der New-Economy-Blase die Wahlen. In ihrem Wahlprogramm von 2009 hatte sie dann das „offenkundige Scheitern eines deregulierten Marktes“ festgestellt“ und „das Primat der Ökonomie durch die Rückkehr der Politik“ aufgekündigt. Zum Glück waren bei Wahlen die Kandidaten immer erfolgreicher als die Partei, die dem Panaschieren dankbarer sein müsste, als sie ist.
Wenn eine Partei keinen Rat mehr weiß, dann will sie sogar die Mitglieder mitdiskutieren lassen. Deshalb reformiert die CSV ihre Statuten im Dezember und eine Arbeitsgruppe in der LSAP bereitet eine Statutenreform für nächstes Jahr vor, immer mit dem hehren Ziel, die innerparteiliche Demokratie zu stärken. Nach dem Fiasko bei den Europawahlen legte die Fondation Robert Krieps vor einem Jahr zudem ein „Positionspapier“ unter dem Titel Krise und Aufbruch der LSAP vor. Schrittweise zu einem parteioffiziellen Dokument erklärt, strickt es an einer „neuen[n] sozialdemokratische[n] Erzählung“, um mit dem gesamten Wortmüll der Werbebranche die LSAP als eine linksliberale Modernisiererpartei mit Herz zu bestätigen. Dieses aus der Sicht der Parteinotabeln aus dem Zentrum verfasste Papier soll nicht nur einen Beitrag zur Statutenreform liefern, sondern könnte auch als Grundlage für einen „sozialistischen Leitfaden“ dienen. Ein solcher Leitfaden soll die Verbindung zwischen dem linken Idealismus der langfristigen Grundsatzerklärung und dem rechten Pragmatismus der kurzfristigen Wahlprogramme herstellen. In anderen Worten: die Anliegen der liberalen, an Gesellschaftsreformen interessierten Notabeln und Technokraten zusammen mit den Anliegen an Sozialreformen interessierter linker Gewerkschafter unter einen Hut bringen.
Bemerkenswert an dem halbamtlichen Positionspapier ist vor allem, dass es kein gutes Wort für die Regierungsbeteiligung und den Hoffnungsträger von 2013, Etienne Schneider, übrig hat. Das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten mit den linken Kritikern, die sich im Juli in einem Brief an die Parteileitung ebenfalls zu Wort meldeten. Sie erwähnen ihrerseits das Positionspapier mit keinem Wort, weil sie statt einer besseren Kommunikation der Partei eine bessere Sozialpolitik verlangen. Eine andere Gemeinsamkeit ist, dass sie alle Hoffnung an die geplante Steuerreform knüpfen, um vor den nächsten Wahlen sozialdemokratisches Profil im Vergleich zu den liberalen Koalitionspartnern zu zeigen.
Die Parteileitung und die sozialistischen Minister sehen es nicht ungern, wenn eine Parteilinke Gegendruck zu den Unternehmerlobbys innerhalb der DP aufbauen – so lange die Basis ihnen nicht ins Handwerk pfuscht. Außerdem wollen sie beweisen, dass linke Ideen in der Partei ein Zuhause haben und die Abwanderung von Wählern und Mitgliedern zur Konkurrenz von déi Lénk unnötig ist. Denn anders als die LSAP hatte es sich déi Lénk nicht nehmen lassen, diese Woche ihre Glückwunschbotschaft an den neuen linken Labour-Führer Jeremy Corbyn zu veröffentlichen.
Am Dienstag sicherte die Parteileitung den von den Gewerkschaftern Nico Wennmacher und Nando Pasqualoni angeführten linken Briefeschreibern zu, Diskussionsforen oder Konferenzen über das geplante Freihandelsabkommen TTIP mit den USA und über die Steuerreform zu organsieren. Griechenland, das noch den Parteitag im März bewegte, ist nach dem politischen Bankrott von Syriza kein dringliches Anliegen mehr.
Die über hundert Unterzeichner hatten sich auch dafür stark gemacht, dass die unterschiedlichen politischen Tendenzen in der Partei gleichberechtigt zu Wort kommen. Aber dafür stellt sich die Parteileitung taub. Denn einige Hellhörige wollten darin den alten trotzkistischen Ruf nach dem Tendenzrecht für Fraktionen innerhalb der Partei heraushören. Als abschreckendes Beispiel dient der LSAP zudem seit Jahren die französische Sozialistische Partei, wo sich die unterschiedlichen Strömungen Endlosschlachten um Parteitagsresolutionen und den Proporz bei der Besetzung von Parteigremien liefern.
Eine andere Meinungsverschiedenheit bleibt über das imperative Mandat: Müssen sich Regierungsmitglieder streng an Parteibeschlüsse halten? Parteileitung und Minister wollen davon nichts wissen. Sie wollen sich notfalls aus Koalitionsräson oder diplomatischen Rücksichten an spontanen Kongressbeschlüssen vorbeimogeln können. Das gilt nicht nur für das TTIP-Abkommen, sondern auch für die geplante Steuerreform. Denn die linken Briefeschreiber wollen, dass die Steuerreform umverteilt, von den Betrieben zu den Haushalten, von den Reichen zu den Kleinverdienern. Präsident Claude Hagen hatte aber schon im Frühjahr begonnen, die Partei auf eine Flat rate genannte spektakuläre Senkung des Körperschaftssteuersatzes vorzubereiten.