Um die kulturelle Vielfältigkeit und Unabhängigkeit von einheimischen Künstlern gegenüber eingebürgerten Institutionen und einem in der Kunst- und Kulturszene doch sehr präsenten Staat zu sichern, sind unterstützende eigenständige Organisationen von großer Bedeutung. Der Lions International Club d’Esch-sur-Alzette zählt zu jenen Organisationen in Luxemburg, die sich neben ihrer sozialen Mission auch dem kulturellen Sektor widmen. Regelmäßig organisiert der Club Ausstellungen luxemburgischer Künstler in der Galerie d’art des Escher Theaters. Mit der aktuellen Schau von Misch Feinen und Christian Frantzen bringt er zwei Künstler der jüngeren Generation zusammen, die sich mit dem Thema des städtischen Raums und der menschlichen Umgebung, jeweils auf ihre eigene Weise, auseinandersetzen.
Wird Christian Frantzen seit Jahren von der Galerie Nosbaum & Reding vertreten, so galt Misch Feinen noch bis vor Kurzem als heißer Insidertipp. Beide verbindet eine kritische Haltung gegenüber der so-zialen und ruralen Entwicklung sowie eine Affinität zu Strukturen und zum Verhältnis zwischen Fläche und Linie. Bei Misch Feinen steht die Geschichte des Landes und der Stahlindustrie im Vordergrund. Die künstlerische Analyse von Christian Frantzen richtet sich hingegen auf die sich rapide unter Digitalisierung und Globalisierung ändernde Welt.
Feinens Stahlskulpturen erscheinen wie urbane Silhouetten und vermitteln etwas Archaisches. Teilweise muten sie aber auch aggressiv an, insbesondere wenn sie, auf dem Boden abgestellt, mit ihren spitzen Enden wie verrostete Krähenfüße aussehen. Feinens Technik setzt sich von der gängigen Herstellung von Stahlskulpturen insofern ab, als der Künstler mit einem Plasmabrenner direkt in dünne Eisen- oder Stahlplatten hinein zeichnet. Die sich so ergebenden Formen haben trotz der Schwere des Metalls oft eine gewisse Leichtigkeit, die an Scherenschnitte erinnern mag. Feinens Arbeiten bewegen sich zwischen Figuration und Abstraktion; eine einzige ausgestellte Skulptur erinnert an den luxemburgischen roten Löwen, der sich allerdings unter der Last des Metalls verbogen hat.
Auch Frantzens Werke loten die Grenzen des Figurativen aus. Die in Esch gezeigten großformatigen Acryl- und Ölgemälde zählen zu der umfangreichen Serie der Metropolen, für deren Komposition Frantzen zumeist im Internet gefundene Fotografien von Hochhäusern als Vorlage nutzt. Durch präzis gewählte Ausschnitte und das Prinzip des All-Over erzielt der Künstler eine Anonymisierung der Gebäude. Die moderne Architektur wird international zunehmend vereinheitlicht. Glasfassaden befinden sich heute auf dem Kirchberg ebenso wie in Taipeh, Havanna oder New York. Inschriften in Frantzens Bildern liefern manchmal den entscheidenden Hinweis auf ein rea-les Gebäude. So steht „Habana libre“ für ein Hotel in der kubanischen Hauptstadt. Unterschwellig thematisiert Frantzen in seinen detailliert ausgeführten Gemälden auch die Problematik der anwachsenden und übervölkerten Großstädte und des Wegzugs der Bevölkerung aus den Dörfern und kleineren Städten.
Die Ausstellung in der Galerie d’art in Esch/Alzette ist von ihrer räumlichen Größe her eher bescheiden, ein Besuch lohnt sich dennoch, zumal der Eintritt frei ist. Ein Teil der Werke ist neu für die Ausstellung entstanden oder wurde bisher noch nicht öffentlich gezeigt. Das Zusammenspiel zwischen den farbigen, strengen Gemälden Frantzens und Feinens kühlen, aber nervösen Skulpturen ist geglückt und bietet neue Perspektiven auf beide Œuvres. Auf ganz neue Arbeiten darf man sich in den kommenden Soloausstellungen beider Künstler freuen.