Leitartikel

Ausgesprochen pendlerfreundlich

d'Lëtzebuerger Land vom 09.08.2019

„L’impact des frontaliers dans la balance de paiements“ überschrieb das Statistikinstitut Statec vergangene Woche eine kurze Publikation: Aus Luxemburg fließt demnach mehr Geld ins Ausland als umgekehrt. 11,5 Milliarden Euro gingen 2018 als Grenzpendlergehälter nach Frankreich, Belgien und Deutschland. Nach Luxemburg flossen immerhin 1,6 Milliarden, doch das liegt vor allem daran, dass in Zahlungsbilanzrechnungen internationale Organisationen als extraterritoriale Gebiete angesehen werden und bei der EU auf dem Kirchberg oder der Nato-Agentur in Mamer Beschäftigte als „frontaliers sortants“. Dass sie im Schnitt deutlich mehr verdienen als die Pendler aus den Nachbarländern, hebt die Flüsse nach Luxemburg in den Milliardenbereich. Denn mit 11 282 war die Zahl dieser virtuellen Auspendler 16 Mal kleiner als die der 192 070 echten Einpendler. Echte Auspendler gab es 2018 nur 1 501.

„11,5 Milliarden für die Grenpendler“ titelte daraufhin das Wort vom 3. August, mit „Les frontaliers français moins bien payés“ der Quotidien. Die eine Zeitung schien an den Wahlkampf 2018 anzuknüpfen, in dem die CSV mit ihrer Idee, einen Wachstumskritik zu verbreiten, Überfremdungsängste geschürt hatte. Die andere schien so zu tun, als seien die in Luxemburg gezahlten Gehälter von der Staatsbürgerschaft der Beschäftigten abhängig. Der Statec-Bericht hatte hervorgehoben, französische Pendler seien häufiger als deutsche und belgische in schlechter bezahlten Branchen angestellt, etwa in der Gastronomie, und zweitens seien sie jünger.

Letzten Endes sind alle diese Äußerungen fatal, denn dass Luxemburg ohne Grenzpendler gar nicht lebensfähig wäre, ist schon lange keine Neuigkeit mehr. Im Gegenzug bietet Luxemburg Einwohnern grenznaher Gebiete Beschäftigung, die abgesehen von Lothringen strukturschwach und dünn besiedelt sind. Wäre die Arbeitslosigkeit dort höher, wenn Luxemburg nicht das wäre, was es heute ist? Wahrscheinlich.

Auf der anderen Seite hat es in Tradition, Grenzpendler-Arbeitnehmern Vorzüge des Luxemburger Sozialstaats vorzuenthalten oder das so lange zu versuchen, bis jemand dagegen klagt. Dienstleistungsschecks, Ersatz von Geldleistungen durch Sachleistungen, die dann nur Ansässigen zur Verfügung stehen, sind Beispiele dafür. Der Versuch, die Studienbeihilfen für Grenzpendler-Kinder abhängig zu machen von längerer und ununterbrochener beruflicher Tätigkeit ihrer Eltern in Luxemburg, ist ein weiteres.

So gesehen, kann man es Grenzpendlern kaum vorwerfen, wenn sie Luxemburg gegenüber ein Misstrauen hegen. Vielleicht ist das sogar beabsichtigt. Vielleicht sind die geglückten und fehlgeschlagenen Versuche der letzten Jahre, Pendlern etwas vorzuenthalten, was Ansässige genießen dürfen, nicht nur Versuche gewesen, die Sozialausgaben zu begrenzen, sondern sollten auch Misstrauen unter den lohnabhängig Beschäftigten zu stiften.

Falls das stimmt, wäre das eine Politik von Klassenkampf, und gerade deshalb scheint es durchaus denkbar, dass die wechselnden Regierungen dieses Ziel verfolgten. Auf längere Sicht aber könnte das Luxemburg unmittelbar schaden. Soll seine Wirtschaft weiter wachsen, wird sie auf Grenzpendler angewiesen bleiben und immer mehr von ihnen benötigen. Das ist nicht nur eine Frage von Verkehr und Landesplanung. Es ist auch eine Frage der Verfügbarkeit dieser Arbeitskräfte. Studien zufolge wird von den Nachbarländern nur Frankreich in den nächsten Jahrzehnten kein großes demografisches Problem haben. Das Reservoir deutscher und belgischer Pendler wird demnach schrumpfen. So dass Luxemburg Interesse daran haben muss, ausgesprochen pendlerfreundlich zu sein.

Peter Feist
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