Stolz wirkte Finanzminister Luc Frieden (CSV) nicht, als er am Dienstag vor dem Parlament den Entwurf des Staatshaushalts für nächstes Jahr hinterlegte. Denn vor drei Jahren hatte er sich noch an derselben Stelle im strengen Ton von CSV-Patriarch Pierre Werner selig geübt, wenn dieser die Stabilität seines Werner-Frang beschwor. Damals hatte Frieden versprochen, „am Ende dieser Legislaturperiode wieder eine Finanzlage zu haben, die im Gleichgewicht ist, und gleichzeitig auch eine Wirtschaft, die stark ist“.
Die Regierungsbank war am Dienstag nur schwach besetzt. Jean-Claude Juncker – wegen des Amts des Eurogruppen-Sprechers immerhin noch Schatzamtsminister – war gar nicht erst angetreten. Vielleicht weil er noch vor zwei Jahren in seiner Erklärung zur Lage der Nation gemahnt hatte, dass „wir die Gesamtstaatsfinanzen so ins Gleichgewicht bringen müssen, dass wir im Jahr 2014, gesamtstaatlich betrachtet, ein Defizit von null Prozent erhalten. Selbst wenn es gelingt – und das muss uns gelingen – das gesamtstaatliche Defizit, also der Zentralverwaltung, der Gemeinden und der Sozialversicherung, auf null Prozent im Jahr 2014 zu senken, selbst dann bleibt im eigentlichen Staatshaushalt ein Loch, das wir auch nach dem Jahr 2014 durch weitere Schuldenaufnahmen finanzieren müssen.“
So fasste der einsame Luc Frieden sich weit kürzer als sonst. Er verzichtete auf die übliche väterliche Belehrung des gemeinen Volks in Sachen Staatsfinanzen als Königsdisziplin der Politik. Was hätte er auch lehren sollen? Statt des erhofften Wirtschaftswachstums sagt das statistische Amt Statec für das laufende Jahr Stagnation voraus. Die Konjunktur sei „schlechter, als wir beim vorigen Haushalt erwartet hatten“, räumte Frieden ein. So wie die Regierung das Platzen der Internet-Blase vor einem Jahrzehnt verschlafen hatte, wollte sie nun nicht an eine Rückkehr der Rezession glauben.
Im Haushaltsentwurf für 2012 hatte die Regierung ein Defizit des Zentralstaats von 1 143,2 Millionen Euro erwartet, doch in Wirklichkeit droht es nun 1 648,1 Millionen Euro auszumachen. Die Lohnsteuereinnahmen bleiben hinter den Erwartungen zurück, unter anderem weil flexible Lohnbestandteile in den Banken gestrichen werden, und die Taxe d’abonnement soll voraussichtlich 30 Millionen weniger einbringen. Der Staat macht sich nun für 2012 auf 270 Millionen weniger Einnahmen und 230 Millionen mehr Ausgaben gefasst, als im Haushalt vorgesehen sind. Zusammen ist das schon die halbe Milliarde, die im Frühjahr als Sanierungspaket beschlossen worden war, um das Defizit im nächsten Jahr zu senken.
Um sich Erklärungen zu ersparen, machte Frieden keinen Unterschied zwischen dem zweiten Sanierungspaket vom 27. April und nun dem dritten vom 28. September. Vor allem erwähnte er nicht einmal das große Versprechen der CSV/LSAP-Koalition für diese Legislaturperiode: die Senkung des Staatsdefizits bis zu den Wahlen in zwei Jahren auf null. Das tat dann sein Parteipräsident, Michel Wolter, der sich vor der Presse „verblüfft und über eine ganze Reihe Sachen beinahe erschüttert“ zeigte, denn von der „Zielrichtung 2014“ gehe keine Rede mehr.
Dabei hatte Frieden ganz in Wolters Sinn während der Haushaltsdebatten vor einem Jahr selbstbewusst angekündigt, seine eigene kleine Tripartite zu organisieren, ohne den sozial bewegten Übervater Jean-Claude Juncker, ohne die fachunkundigen anderen Minister, ohne die gewerkschaftshörige LSAP. Er wollte „informelle Gespräche“ mit allen Fraktionen, Sozialpartnern und selbst Jugendorganisationen über die Frage führen, wie die Staatsfinanzen in den kommenden „fünf bis zehn Jahren“ geplant werden sollen, und damit auch, „wie Luxemburg gestaltet werden soll“. Was aus diesen Gesprächen geworden ist, erklärte Frieden diese Woche dem Parlament nicht. Aber selbst wenn sie nie stattgefunden haben, spiegelt der Haushaltsentwurf genau ihr Ergebnis wider. Frieden nannte das Ergebnis in einem Interview säuerlich einen „Kompromiss in der Regierung“.
Der Haushalt des Zentralstaats für nächstes Jahr sieht einen Fehlbetrag von 1 292,9 Millionen Euro vor. Das wären 355,2 Millionen weniger als dieses Jahr. Doch um unter diesen Bedingungen im Jahr danach auf null Defizit des Gesamtstaats zu kommen, müsste das Defizit des Zentralstaats ausgerechnet in einem Wahljahr nicht noch einmal um 355,2 Millionen, sondern um das Doppelte gekürzt werden. Selbst wenn die Kammer nächstes Jahr die geplante „Schuldenbremse“ verabschiedet, scheint das wenig realistisch, wenn nicht schnell ein unerwartet solider Wirtschaftsaufschwung die Regierung rettet.
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts war Luxemburg mit seiner steigenden Arbeitslosenrate von der bis dahin beliebten Theorie abgerückt, dass der heimische Arbeitsmarkt „atypisch“ sei. Nun scheint es sich langsam bewusst zu werden, dass auch die Staatsfinanzen bald nicht mehr atypisch sind. Denn viele Jahre lang hatten sich die Haushaltsdebatten auf die Frage beschränkt, ob die Regierung die Körperschaftssteuereinnahmen unterschätze, um hohe Mehreinnahmen in Investitionsfonds wegpacken zu können. Doch seit der Krise 2008 müssen sich Volk und Regierung, wie in den anderen Ländern auch, an ein chronisches Staatsdefizit gewöhnen. Gleichzeitig ist die Staatsschuld angestiegen – auch um direkt oder indirekt verschiedene Banken zu sanieren. Bei voraussichtlich 1,7 Prozent Wachstum und zwei Prozent Inflation sollen das Staatsdefizit nächstes Jahr 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Verschuldung 25 Prozent ausmachen.
Das ist an sich nicht so dramatisch, wie es mancherorts dargestellt wird. Denn das Luxemburger Staatsdefizit von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und seine Verschuldung von 25 Prozent sind noch immer die zweitniedrigste in der Euro-Zone, gleich hinter dem Nachtwächterstaat Estland. Dramatisch aufgeladen wird die Situation erst durch die Frage, wer für das Defizit zahlen soll. Denn es geht um die angestrebte Beseitigung eines Staatsdefizits und einer Staatsschuld unter der für Außenstehende etwas absurd wirkenden Bedingung eines Landes, in dem viele Betriebe und viele Haushalte noch nicht einmal direkte Steuern zahlen.
Der Haushaltsentwurf für 2013 ist bei bescheidenen 1,7 Prozent Wachstum und bescheidenen zwei Prozent Inflation ein Kompromiss zwischen den Interessen von Haushalten und Unternehmen, Klein- und Großverdienern, mittelständischen Firmen und Großbanken, Besitzenden und Schuldnern, Ortsansässigen und Grenzpendlern, Alleinstehenden und Familien, Angestellten und Beamten, Erwerbstätigen und Rentnern, Staat und Gemeinden, Unternehmer- und Gewerkschaftsflügeln der Parteien... und den Wahlversprechen der CSV und LSAP, für die Sicherheit der Staatsfinanzen, beziehungsweise des Sozialstaats zu bürgen.
Dass dieser Kompromiss und dieser Haushaltsentwurf so viel kritisiert wird, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass es, Tripartite hin oder her, eine Pattsituation zwischen diesen Interessengruppen gibt, welche auch das Kräfteverhältnis innerhalb der Regierungskoalition widerspiegelt. Die CSV nennt die Sozialisten Bremser, weil sie als die Gewinner des Kräftemessens erscheinen. Während es LSAP-Berichterstatter Lucien Lux nicht an Humor mangeln lässt, um besorgt Friedens Leistung bei der Haushaltssanierung in Zweifel zu ziehen.
So dass sich hierzulande, anders als in den Nachbarstaaten, weniger die Frage stellt, wie weit eine Haushaltssanierung am Rand einer Rezession wünschenswert ist, als wie weit sie derzeit politisch möglich ist, wie weit Null-Defizit 2014 poltisch möglich ist. Für die blau-grüne Opposition und die Unternehmerverbände scheint klar, dass eine andere Finanzpolitik nur mit einer anderen Regierungskoalition möglich ist. Der christlich-soziale Haushaltsberichterstatter und ehemalige Erster Regierungsrat in Friedens Finanzministerium, Gilles Roth, hatte bereits vor einem Jahr Sanierungsvorschläge gemacht, von denen nun bloß die harmlosesten zurückbehalten wurden.
Deshalb nannte der Unternehmerverband Fedil in einer ersten Stellungnahme die Regierungskoalition „à bout de souffle“. Vielleicht in anlehnung an den gleichnamigen Godard-Film, wo Belmondo rät: „Si vous n’aimez pas la mer... Si vous n’aimez pas la montagne... Si vous n’aimez pas la ville : allez vous faire foutre!
Michèle Sinner
Catégories: Gouvernement, Place financière
Édition: 14.09.2012