Nichts gelernt?Angesichts zweifelnder Kunden und ratloser Schalterangestellten darf durchaus bezweifelt werden, ob sich das Krisenmanagement im Jahr vier nach der ersten Dexia-Rettung verbessert hat. Vergangenen Freitagabend verschickte die Zentrale der Dexia-Holding in Brüssel ein Rundschreiben, um mitzuteilen, dass, bevor der Verkauf der Banque internationale à Luxembourg (Bil) abgeschlossen werden könne, das Kapital der Bil aufgestockt werden müsste. Dexia wies wohl darauf hin, dass besagte Kapitalerhöhung notwendig sei, um die Verkaufsvereinbarung mit Precision Capital und dem Luxemburger Staat einzuhalten, die verlangen, dass die Bil bereits jetzt die strengeren Kapitalanforderungen, genannt Basel III, erfüllt, die noch nicht in Kraft sind.
Was hingegen fehlte, war ein Hinweis darauf, ob die Bil aktuell die gesetzlichen Kapitalanforderungen erfüllt. So hatten verunsicherte Kunden ein ganzes Wochenende Zeit, um im Zweifelsfall ihr Geld abzuziehen. Die Bil will sich zum eventuellen Schaden nicht äußern. Wenn aber die Kunden vergangenen Herbst trotz der Zusagen von Finanzminister Luc Frieden, die Regierung werde alles tun, um die Einlagen zu sichern, ihr Erspartes abzogen, kann man davon ausgehen, dass die Misstrauischen auch diesmal reagiert haben. Zumal die Verunsicherung darüber, wie die Bil dasteht und wie das Noch-Mutterhaus gestiefelt ist und wie beide noch zusammenhängen, so groß ist wie eh und je. Was nicht allein darin liegt, dass die Situation wirklich kompliziert ist, sondern auch an der suboptimalen Kommunikation und der oberflächlichen Berichterstattung.
Der Teufel liegt im technischen Detail. Es bleibt kompliziert – weil so viele Bälle in der Luft sind. Binnen eines Monats, so der Zeitplan, soll nachdem die Kommission vor Wochen den Verkauf der Bil als separate Einheit genehmigt hat, das so genannte „Closing“ erfolgen, die Transaktion, deren Verträge schon unterzeichnet sind, definitiv abgeschlossen werden. Doch weil sowohl die katarischen Investoren von Precision Capital, wie auch der Luxemburger Staat, alle Verbindungen zu Dexia kappen und eine Bank ohne Risiken kaufen wollten, stellten sie in den Verkaufsvereinbarungen verschiedene Bedingungen. Dazu gehörten: der Verkauf des Legacy Portfolios, einem milliardenschweren Wertpapierportfolio, das die Dexia-Gruppe auf ihre Untereinheiten verteilt hatte. Und die Erfüllung der Basel-III-Anforderungen zum Zeitpunkt des Verkaufs, das heißt, eine harte Eigenkapitalquote von neun Prozent nach den Regeln von Basel III oder, wie Bil-CEO François Pauly den Kunden in einem Rundschreiben im April erklärte, eine harte Eigenkapitalquote von zwölf Prozent nach den aktuell geltenden Regeln von Basel II.
Diese Bedingung erfüllt die Bil derzeit nicht. Die Solvenzrate – das Verhältnis zwischen Eigenmitteln und austehenden Risiken – beträgt 9,25 Prozent. Mehr als Basel II verlangt. Vor der Finanzaufsicht steht die Bil gut da – „es gibt keinen Anhaltspunkt, um zu sagen, diese Bank bereitet uns unwahrscheinliche Sorgen“, betont deswegen Claude Simon, Bankenaufseher bei der CSSF. Und, beruhigt die Bil, die Eigenmittel belaufen sich auf über 739 Millionen Euro. Doch zur Einhaltung der Verkaufsvereinbarung fehlen 2,75 Prozentpunkte.
Wie hoch die zu erfolgende Kapitalerhöhung ausfallen wird, kann derzeit noch niemand sagen. Dazu sind noch zu viele Rechnungen offen. Und die Bilanzregeln tragen das Ihre dazu bei, die Sache unübersichtlich zu machen. Denn laut der eigenen Bilanz erfüllte die Bil wegen des Konzernumbaus Ende 2011 auch die Basel-II-Anforderungen nicht.
Die Ursachen: Zwar wurde das Wertpapierpaket (Legacy Portfolio) für den im Dezember 2011 geltenden Marktwert an die Dexia-Holding zurückverkauft. Weil aber besagter Marktwert nicht dem Buchwert entspricht, mit dem das Legacy Portfolio in der Bil-Bilanz eingetragen war, entstand ein Verlust von 1,689 Milliarden Euro. Weil auch die Verkaufserlöse der anderen Beteiligungen, dazu gehören die Beteiligung an RBC-Dexia Investor Services, an Dexia Asset Management (DAM), Dexia Bank Lettre de Gage und andere, voraussichtlich unter ihrem Buchwert liegen werden, stellte die Bil dafür in der Bilanz 2011 einen Verlust von 163 Millionen Euro in Rechnung. So kam, trotz des rentablen Bankgeschäfts, ein Verlust von rund 1,9 Milliarden Euro zustande, den die Bank durch ihre Kapitaleinlagen von 2,4 Milliarden Euro decken konnte. Doch weil die Bilanzregeln die Bil einerseits dazu zwangen, in der Berechnung der Solvenzrate das milliardenschwere Legacy Portfolio mit 2,150 Milliarden Euro in den abzudeckenen Risiken zu berücksichtigen (wodurch Kapitalanforderungen von 172 Millionen entstanden), andererseits aber die zu verkaufenden Beteiligungen an RBC Dexia Investor Service DAM nicht mehr zum Eigenkapital gezählt werden durften, fiel die Solvenzrate der Bil unter das legale Minimum. „À la fin 2011, les fonds propres de base Tier 1 s’élèvent à -96 millions d’euros“, schreibt die Bil in der Bilanz 2011. Dass die Bil nun sechs Monate später wie durch Zauberhand die Solvenzregeln wieder erfüllt, liegt daran, dass sie nach und nach ihre Beteiligungen definitiv aus der Bilanz und damit aus der Berechnung der Solvenzregeln entfernen kann.
Wie schlimm ist es? Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wenn feststeht, ob die Verkaufserlöse der restlichen Beteiligungen ausreichen, um die versprochenen Solvenzwerte zu erreichen – bis jetzt ist nur RBCDIS definitiv verkauft – lässt sich kalkulieren, wie viel zusätzliches Kapital gebraucht wird, damit die Forderungen der neuen Aktionäre erfüllt werden können.
Da das Dexia-Holding-Management in der Vergangenheit angedeutet hatte, durch die Erlöse aus der Veräußerung der Beteiligungen die eigene Kapitaldecke stärken zu können, die Summen nun aber gebraucht werden, um die Bil fit für den Verkauf zu machen, sorgt dies für Aufregung im Nachbarland Belgien. Dort bleibt Dexia ein hochbrisantes Thema. Denn statt dass die Dexia Holding durch den Verkauf der Bil und ihrer Beteiligungen ihre Bilanz aufbessert, musste Dexia Holding in ihren Büchern ebenfalls den Wert der Bil zum 30 Juni 2012 um 203 Millionen Euro nach unten korrigieren und rechnet für das gesamte Jahr 2012 mit einer Wertberichtigung der Bil um 170 Millionen Euro.
Das ruft die finanzpolitischen Entscheidungsträger auf den Plan. Dexia Holding hat im ersten Semester 2012 wieder einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro verbucht und verfügt danach noch über ein hartes Kernkapital von 5,4 Milliarden Euro. Zwar erfüllt Dexia die Kapitalanforderungen. Dennoch schlossen erst der belgische Zentralbankchef Luc Coene, danach der belgische Finanzminister Steven Vanackere eine weitere Kapitalerhöhung für Dexia nicht aus.
Was die Frage aufwirft, ob Dexia Holding über die Mittel verfügt, das Kapital der Bil zu erhöhen, damit sie verkauft werden kann. Eine Frage, die schwer zu beantworten ist, so lange nicht gewusst ist, wie hoch der Betrag ist. Doch angesichts derTatsache, dass das Filetstück unter den Beteiligungen, Dexia Asset Management, noch zu verkaufen bleibt, – Dexia wird die Beteiligung der Bil kaufen und dann die gesamte Firma an Dritte verkaufen – dürfte der Restbetrag für Dexia zu stemmen sein. „Wir haben keinen Grund davon auszugehen, dass Dexia sich nicht an die Vereinbarungen halten wird“, sagt Claude Simon von der CSSF. „Wir gehen davon aus, dass der Vertrag eingehalten wird“, ließ sich Finanzminister Luc Frieden im Luxemburger Wort zitieren. Auf keinen Fall müssten die neuen Aktionäre neue Mittel einbringen.
Da kommt die Politik ins Spiel. Was aber wenn Dexia die Vereinbarung nicht einhalten könnte? Müssten die Aktionäre von Dexia einspringen, also Belgien und Frankreich. Die sind ohnehin nicht gut aufeinander zu sprechen. Die Belgier fühlen sich von den Franzosen über den Tisch gezogen, weil sie, angesichts der Tatsache, dass die ursprünglichen Probleme der Dexia in den französischen Geschäftseinheiten entstanden, einen überproportional hohen Anteil der Garantien stemmen. Diese – aus belgischer Sicht ungünstigen – Abkommen hat die Interimsregierung mit Finanzminister Didier Reynders ausgehandelt. Davon wollen sich aktuelle Entscheidungsträger abgrenzen. Hinzu kommt, dass mit dem Amtsantritt von CEO Karel de Boeck auch die Dexia ein bisschen belgischer, weniger französisch geworden ist. Nun, da die Bil die Verkaufserlöse ihrer Beteiligungen behält, fühlt man sich in Belgien wieder betrogen. Dexia Banque Belgique beispielsweise hat ihre Beteiligung an DAM im Rahmen der Nationalisierung der Holding abgetreten.
Der derzeitige belgische Finanzminister Steven Vanackere musste sich am Dienstag in der parlamentarischen Finanzkommission den Fragen der Abgeordneten zum belgischen Defizit und der Möglichkeit einer erneuten Kapitalaufstockung der Dexia Holding stellen. „Wir haben keine Anfrage zur Kapitalaufstockung erhalten, aber die Vorstellung, dass es möglich ist, von der EU-Kommission eine Genehmigung für den gesamten Restrukturierungsplan zu erhalten, ohne Kapitalerhöhung oder -verstärkung ist ein wenig naiv“, sagte Vanackere den Abgeordneten. Nicht wegen der Bil, sondern weil das Dexia-Wertpapierportfolio immer noch groß ist und die Abwicklung kaum ohne Verluste vonstatten gehen wird.
Deswegen droht Dexia auch weiter ein Problem grotesken Ausmaßes zu bleiben. Auch für Luxemburg und auch nach dem Abschluss des Verkaufs der Bil, obwohl Luxemburg nicht Aktionär von Dexia-Holding ist. Als Belgien, Frankreich und Luxemburg vergangenen Herbst ein neues Bürgschaftsprogramm für Dexia beschlossen, rechtfertigten sie das vor der EU-Kommission mit dem Horrorszenario, das eine Dexia-Insolvenz ausgelöst hätte. Schwere Folgen für die Bankensysteme in Belgien, Frankreich und Luxemburg, dramatischer Impakt auf die Drittparteien, mit denen Dexia Derivatverträge abgeschlossen hat, malten sie aus. Im Entscheidungsschreiben der EU-Kommission zur Gewährung der vorläufigen Garantien vom Dezember 2011 wird die ausweglose Lage zusammengefasst: Eine Zahlungsunfähigkeit der Dexia hätte dazu geführt, dass die staatlichen Bürgschaften aktiviert worden wären, was den Finanzierungsbedarf der Garantiestaaten, „substanziell, sofort und mechanisch“ angehoben hätte. „Dies stellt ein großes Risiko dar, angesichts des aktuellen Misstrauens gegenüber staatlichen Anleihen der Euro-Staaten.“ Damals fürchteten sich Belgien, Frankreich und Luxemburg vor der Aktivierung von Bürgschaften über 24 Milliarden Euro. Ende August 2012 bürgen sie – altes und neues Programm zusammen – für fast 70 Milliarden Euro. Luxemburgs Anteil: 2,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Dass die 17 Eurostaaten für den gesamten spanischen Bankensektor an die 100 Milliarden Euro aufbringen sollen, versetzt die ganze Welt in Panik. Nur wenige konnten oder wollten verstehen, wenn der Ex-CEO Pierre Mariani in der Vergangenheit tobte, das Wertpapierportfolio der Dexia, das nun abgewickelt wird, habe 2008 260 Milliarden Euro betragen, so viel wie die Staatsschuld Griechenlands. Von den Derivatverträgen, die dieses Portfolio absichern sollen, die bei Zinsänderungen in Bewegung geraten, gar nicht zu sprechen.
Zu dritt also versuchen Belgien, Frankreich und Luxemburg, Summen zu stemmen, wie sie sich die Eurozone kaum als Ganzes zutraut. Die Dexia-Abwicklung wird noch Jahre dauern. So lange müssen die Bürgen durchhalten. Das Problem ist, dass sie das nur unter Anstrengungen – und wenn nichts schief geht –, schaffen können, sie sich aber auch die Alternative nicht leisten können.Rich Text AreaToolbarBold (Ctrl + B)Italic (Ctrl + I)Strikethrough (Alt + Shift + D)UnderlineUnordered list (Alt + Shift + U)Ordered list (Alt + Shift + O)OutdentIndentAlign Left (Alt + Shift + L)Align Center (Alt + Shift + C)Align Right (Alt + Shift + R)Insert/edit link (Alt + Shift + A)Unlink (Alt + Shift + S)Insert/edit imageEdit CSS StyleInsert More Tag (Alt + Shift + T)Insert Page break (Alt + Shift + P)Toggle spellchecker (Alt + Shift + N)▼
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Nichts gelernt? Angesichts zweifelnder Kunden und ratloser Schalterangestellten darf durchaus bezweifelt werden, ob sich das Krisenmanagement im Jahr vier nach der ersten Dexia-Rettung verbessert hat. Vergangenen Freitagabend verschickte die Zentrale der Dexia-Holding in Brüssel ein Rundschreiben, um mitzuteilen, dass, bevor der Verkauf der Banque internationale à Luxembourg (Bil) abgeschlossen werden könne, das Kapital der Bil aufgestockt werden müsste. Dexia wies wohl darauf hin, dass besagte Kapitalerhöhung notwendig sei, um die Verkaufsvereinbarung mit Precision Capital und dem Luxemburger Staat einzuhalten, die verlangen, dass die Bil bereits jetzt die strengeren Kapitalanforderungen, genannt Basel III, erfüllt, die noch nicht in Kraft sind.
Was hingegen fehlte, war ein Hinweis darauf, ob die Bil aktuell die gesetzlichen Kapitalanforderungen erfüllt. So hatten verunsicherte Kunden ein ganzes Wochenende Zeit, um im Zweifelsfall ihr Geld abzuziehen. Die Bil will sich zum eventuellen Schaden nicht äußern. Wenn aber die Kunden vergangenen Herbst trotz der Zusagen von Finanzminister Luc Frieden, die Regierung werde alles tun, um die Einlagen zu sichern, ihr Erspartes abzogen, kann man davon ausgehen, dass die Misstrauischen auch diesmal reagiert haben. Zumal die Verunsicherung darüber, wie die Bil dasteht und wie das Noch-Mutterhaus gestiefelt ist und wie beide noch zusammenhängen, so groß ist wie eh und je. Was nicht allein darin liegt, dass die Situation wirklich kompliziert ist, sondern auch an der suboptimalen Kommunikation und der oberflächlichen Berichterstattung.
Der Teufel liegt im technischen Detail. Es bleibt kompliziert – weil so viele Bälle in der Luft sind. Binnen eines Monats, so der Zeitplan, soll nachdem die Kommission vor Wochen den Verkauf der Bil als separate Einheit genehmigt hat, das so genannte „Closing“ erfolgen, die Transaktion, deren Verträge schon unterzeichnet sind, definitiv abgeschlossen werden. Doch weil sowohl die katarischen Investoren von Precision Capital, wie auch der Luxemburger Staat, alle Verbindungen zu Dexia kappen und eine Bank ohne Risiken kaufen wollten, stellten sie in den Verkaufsvereinbarungen verschiedene Bedingungen. Dazu gehörten: der Verkauf des Legacy Portfolios, einem milliardenschweren Wertpapierportfolio, das die Dexia-Gruppe auf ihre Untereinheiten verteilt hatte. Und die Erfüllung der Basel-III-Anforderungen zum Zeitpunkt des Verkaufs, das heißt, eine harte Eigenkapitalquote von neun Prozent nach den Regeln von Basel III oder, wie Bil-CEO François Pauly den Kunden in einem Rundschreiben im April erklärte, eine harte Eigenkapitalquote von zwölf Prozent nach den aktuell geltenden Regeln von Basel II.
Diese Bedingung erfüllt die Bil derzeit nicht. Die Solvenzrate – das Verhältnis zwischen Eigenmitteln und austehenden Risiken – beträgt 9,25 Prozent. Mehr als Basel II verlangt. Vor der Finanzaufsicht steht die Bil gut da – „es gibt keinen Anhaltspunkt, um zu sagen, diese Bank bereitet uns unwahrscheinliche Sorgen“, betont deswegen Claude Simon, Bankenaufseher bei der CSSF. Und, beruhigt die Bil, die Eigenmittel belaufen sich auf über 739 Millionen Euro. Doch zur Einhaltung der Verkaufsvereinbarung fehlen 2,75 Prozentpunkte.
Wie hoch die zu erfolgende Kapitalerhöhung ausfallen wird, kann derzeit noch niemand sagen. Dazu sind noch zu viele Rechnungen offen. Und die Bilanzregeln tragen das Ihre dazu bei, die Sache unübersichtlich zu machen. Denn laut der eigenen Bilanz erfüllte die Bil wegen des Konzernumbaus Ende 2011 auch die Basel-II-Anforderungen nicht.
Die Ursachen: Zwar wurde das Wertpapierpaket (Legacy Portfolio) für den im Dezember 2011 geltenden Marktwert an die Dexia-Holding zurückverkauft. Weil aber besagter Marktwert nicht dem Buchwert entspricht, mit dem das Legacy Portfolio in der Bil-Bilanz eingetragen war, entstand ein Verlust von 1,689 Milliarden Euro. Weil auch die Verkaufserlöse der anderen Beteiligungen, dazu gehören die Beteiligung an RBC-Dexia Investor Services, an Dexia Asset Management (DAM), Dexia Bank Lettre de Gage und andere, voraussichtlich unter ihrem Buchwert liegen werden, stellte die Bil dafür in der Bilanz 2011 einen Verlust von 163 Millionen Euro in Rechnung. So kam, trotz des rentablen Bankgeschäfts, ein Verlust von rund 1,9 Milliarden Euro zustande, den die Bank durch ihre Kapitaleinlagen von 2,4 Milliarden Euro decken konnte. Doch weil die Bilanzregeln die Bil einerseits dazu zwangen, in der Berechnung der Solvenzrate das milliardenschwere Legacy Portfolio mit 2,150 Milliarden Euro in den abzudeckenen Risiken zu berücksichtigen (wodurch Kapitalanforderungen von 172 Millionen entstanden), andererseits aber die zu verkaufenden Beteiligungen an RBC Dexia Investor Service DAM nicht mehr zum Eigenkapital gezählt werden durften, fiel die Solvenzrate der Bil unter das legale Minimum. „À la fin 2011, les fonds propres de base Tier 1 s’élèvent à -96 millions d’euros“, schreibt die Bil in der Bilanz 2011. Dass die Bil nun sechs Monate später wie durch Zauberhand die Solvenzregeln wieder erfüllt, liegt daran, dass sie nach und nach ihre Beteiligungen definitiv aus der Bilanz und damit aus der Berechnung der Solvenzregeln entfernen kann.
Wie schlimm ist es? Erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, wenn feststeht, ob die Verkaufserlöse der restlichen Beteiligungen ausreichen, um die versprochenen Solvenzwerte zu erreichen – bis jetzt ist nur RBCDIS definitiv verkauft – lässt sich kalkulieren, wie viel zusätzliches Kapital gebraucht wird, damit die Forderungen der neuen Aktionäre erfüllt werden können.
Da das Dexia-Holding-Management in der Vergangenheit angedeutet hatte, durch die Erlöse aus der Veräußerung der Beteiligungen die eigene Kapitaldecke stärken zu können, die Summen nun aber gebraucht werden, um die Bil fit für den Verkauf zu machen, sorgt dies für Aufregung im Nachbarland Belgien. Dort bleibt Dexia ein hochbrisantes Thema. Denn statt dass die Dexia Holding durch den Verkauf der Bil und ihrer Beteiligungen ihre Bilanz aufbessert, musste Dexia Holding in ihren Büchern ebenfalls den Wert der Bil zum 30 Juni 2012 um 203 Millionen Euro nach unten korrigieren und rechnet für das gesamte Jahr 2012 mit einer Wertberichtigung der Bil um 170 Millionen Euro.
Das ruft die finanzpolitischen Entscheidungsträger auf den Plan. Dexia Holding hat im ersten Semester 2012 wieder einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro verbucht und verfügt danach noch über ein hartes Kernkapital von 5,4 Milliarden Euro. Zwar erfüllt Dexia die Kapitalanforderungen. Dennoch schlossen erst der belgische Zentralbankchef Luc Coene, danach der belgische Finanzminister Steven Vanackere eine weitere Kapitalerhöhung für Dexia nicht aus.
Was die Frage aufwirft, ob Dexia Holding über die Mittel verfügt, das Kapital der Bil zu erhöhen, damit sie verkauft werden kann. Eine Frage, die schwer zu beantworten ist, so lange nicht gewusst ist, wie hoch der Betrag ist. Doch angesichts derTatsache, dass das Filetstück unter den Beteiligungen, Dexia Asset Management, noch zu verkaufen bleibt, – Dexia wird die Beteiligung der Bil kaufen und dann die gesamte Firma an Dritte verkaufen – dürfte der Restbetrag für Dexia zu stemmen sein. „Wir haben keinen Grund davon auszugehen, dass Dexia sich nicht an die Vereinbarungen halten wird“, sagt Claude Simon von der CSSF. „Wir gehen davon aus, dass der Vertrag eingehalten wird“, ließ sich Finanzminister Luc Frieden im Luxemburger Wort zitieren. Auf keinen Fall müssten die neuen Aktionäre neue Mittel einbringen.
Da kommt die Politik ins Spiel. Was aber wenn Dexia die Vereinbarung nicht einhalten könnte? Müssten die Aktionäre von Dexia einspringen, also Belgien und Frankreich. Die sind ohnehin nicht gut aufeinander zu sprechen. Die Belgier fühlen sich von den Franzosen über den Tisch gezogen, weil sie, angesichts der Tatsache, dass die ursprünglichen Probleme der Dexia in den französischen Geschäftseinheiten entstanden, einen überproportional hohen Anteil der Garantien stemmen. Diese – aus belgischer Sicht ungünstigen – Abkommen hat die Interimsregierung mit Finanzminister Didier Reynders ausgehandelt. Davon wollen sich aktuelle Entscheidungsträger abgrenzen. Hinzu kommt, dass mit dem Amtsantritt von CEO Karel de Boeck auch die Dexia ein bisschen belgischer, weniger französisch geworden ist. Nun, da die Bil die Verkaufserlöse ihrer Beteiligungen behält, fühlt man sich in Belgien wieder betrogen. Dexia Banque Belgique beispielsweise hat ihre Beteiligung an DAM im Rahmen der Nationalisierung der Holding abgetreten.
Der derzeitige belgische Finanzminister Steven Vanackere musste sich am Dienstag in der parlamentarischen Finanzkommission den Fragen der Abgeordneten zum belgischen Defizit und der Möglichkeit einer erneuten Kapitalaufstockung der Dexia Holding stellen. „Wir haben keine Anfrage zur Kapitalaufstockung erhalten, aber die Vorstellung, dass es möglich ist, von der EU-Kommission eine Genehmigung für den gesamten Restrukturierungsplan zu erhalten, ohne Kapitalerhöhung oder -verstärkung ist ein wenig naiv“, sagte Vanackere den Abgeordneten. Nicht wegen der Bil, sondern weil das Dexia-Wertpapierportfolio immer noch groß ist und die Abwicklung kaum ohne Verluste vonstatten gehen wird.
Deswegen droht Dexia auch weiter ein Problem grotesken Ausmaßes zu bleiben. Auch für Luxemburg und auch nach dem Abschluss des Verkaufs der Bil, obwohl Luxemburg nicht Aktionär von Dexia-Holding ist. Als Belgien, Frankreich und Luxemburg vergangenen Herbst ein neues Bürgschaftsprogramm für Dexia beschlossen, rechtfertigten sie das vor der EU-Kommission mit dem Horrorszenario, das eine Dexia-Insolvenz ausgelöst hätte. Schwere Folgen für die Bankensysteme in Belgien, Frankreich und Luxemburg, dramatischer Impakt auf die Drittparteien, mit denen Dexia Derivatverträge abgeschlossen hat, malten sie aus. Im Entscheidungsschreiben der EU-Kommission zur Gewährung der vorläufigen Garantien vom Dezember 2011 wird die ausweglose Lage zusammengefasst: Eine Zahlungsunfähigkeit der Dexia hätte dazu geführt, dass die staatlichen Bürgschaften aktiviert worden wären, was den Finanzierungsbedarf der Garantiestaaten, „substanziell, sofort und mechanisch“ angehoben hätte. „Dies stellt ein großes Risiko dar, angesichts des aktuellen Misstrauens gegenüber staatlichen Anleihen der Euro-Staaten.“ Damals fürchteten sich Belgien, Frankreich und Luxemburg vor der Aktivierung von Bürgschaften über 24 Milliarden Euro. Ende August 2012 bürgen sie – altes und neues Programm zusammen – für fast 70 Milliarden Euro. Luxemburgs Anteil: 2,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Dass die 17 Eurostaaten für den gesamten spanischen Bankensektor an die 100 Milliarden Euro aufbringen sollen, versetzt die ganze Welt in Panik. Nur wenige konnten oder wollten verstehen, wenn der Ex-CEO Pierre Mariani in der Vergangenheit tobte, das Wertpapierportfolio der Dexia, das nun abgewickelt wird, habe 2008 260 Milliarden Euro betragen, so viel wie die Staatsschuld Griechenlands. Von den Derivatverträgen, die dieses Portfolio absichern sollen, die bei Zinsänderungen in Bewegung geraten, gar nicht zu sprechen.
Zu dritt also versuchen Belgien, Frankreich und Luxemburg, Summen zu stemmen, wie sie sich die Eurozone kaum als Ganzes zutraut. Die Dexia-Abwicklung wird noch Jahre dauern. So lange müssen die Bürgen durchhalten. Das Problem ist, dass sie das nur unter Anstrengungen – und wenn nichts schief geht –, schaffen können, sie sich aber auch die Alternative nicht leisten können.