Im Herzen der Hauptstadt, am Hamilius, klafft eine riesige Baustelle, Plakate werben für die dort entstehende Luxus-Shopping-Mall. Die schmuddelige Unterführung, in denen auch Obdachlose Zuflucht fanden, war wohlhabenden Städtern schon lange ein Dorn im Auge. In der Südgemeinde Differdingen droht ein gigantisches Einkaufszentrum in naher Zukunft den Einzelhandel in einer der kleinsten Fußgängerzonen Europas zu zerstören. Große Bauprojekte, mit denen die Regierung wirbt, lassen Projektentwickler-Herzen jubeln. Sozialer Wohnungsbau bleibt hingegen rar und die Mietpreise steigen und steigen, während es die Mittellosen an die Peripherie Luxemburgs oder jenseits der Grenze zieht.
Das erste Auftragswerk Olivier Garofalos, der diese Saison die Autorenresidenz am TNL innehat, bringt mit der Thematisierung von modernen Bauvorhaben und ihren Folgen das Phänomen der Gentrifizierung auf die Bühne und damit ein Thema, das gerade in Luxemburg politische Sprengkraft birgt. Nur kohärent also, dass Garofalo, der in seiner Rede vom Theater betonte, dass das Theater als moralischer Kompass dienen solle und als „Ort verstanden, wo das politische und soziale Selbstverständnis einer Gesellschaft überprüft wird“, sich an eine Kontroverse heranwagt, die hierzulande eine Wurzel sozialer Ungleichheit ist. Und doch haben sich Garofalo und Regisseurin Marion Poppenborg mit Heimat ist kein Ort verrannt.
Die Inszenierung im TNL wirkt pädagogisch, die Figurenkonstellation klischeehaft, die männlichen Schauspieler hölzern. Da ist der Immobilienhai Karl Burger (Alexander Ourth), ein Bauunternehmer ohne Gewissen, der Profit über alles stellt und die Menschen in seinem Umfeld kalkuliert instrumentalisiert. Burger ist genau der großkotzige Typus, den man sich unter einem Immobilienhai vorstellt: „Ich bin ein Mann mit Visionen und deshalb agiere ich proaktiv“, spult er die oft gehörten Werbesätze mit einem dreckigen Lachen herunter, wenn er nicht geschäftig telefoniert und plant, die auf dem Gelände squattenden Obdachlosen, „das Gesocks“, zu vertreiben. Michel (Helge Salnikau) spielt seinen Handlanger. Wenn er nicht masturbiert, lümmelt er mit Selfie-Kameragestell in einem abgeranzten Ledersessel. Auch er ein Ekeltyp wie aus dem Bilderbuch.
Und während Susanne Ruprecht (Ilona Schulz) kurz vor der Erfüllung ihres Lebenstraums, der Eröffnung des Friedrich-Hecker-Hauses, einem Heim für Obdachlose, steht und keck über hölzerne Bettgestelle hüpft, kauert die Wohnungslose Else (Annette Daugardt) ausdrucksstark am Rande der Bühne auf einer Matratze mit Brandlöchern und träumt nur noch von einem letzten klassischen Konzert. Mit 13 Jahren wurde sie missbraucht und landete als mittellose Existenz auf der Straße. „Für Menschen wie mich gibt es keinen Platz“, wird sie irgendwann lakonisch feststellen, als wäre die Bildsprache nicht schon eindeutig genug.
Das Bühnenbild aus zusammengeklaubten Bettgestellen (Christoph Rasche) untermalt das trostlose Szenario und wird mal durch die Leinwandprojektion eines Schneesturms gebrochen, mal durch die Werbung für ein gigantisches Wohnprojekt: 250 000 Quadratmetern in Geschäften sollen hier entstehen.
Anderthalb Stunden folgt man dem zerfaserten Schauspiel, bei dem einen ohne Zwischentöne die düsteren sozialen Folgen von megalomanen Bauprojekten eingebläut werden. Dem vielversprechenden Leitmotiv, was und wo Heimat ist, wird leider nur im begleitenden Programm nachgegangen. „Heimat ist kein Ort!“, wird Marc Baum als farbloser Journalist Jonas irgendwann auf die hilflose Frage: „Wir haben keine Zukunft. Wohin mit uns?“ feststellen.
Ein durch Licht- und Leinwandeffekte untermalter Feueralarm, bei dem die Schauspieler auch noch „Es brennt!“ schreien, steht am Ende. Die Visionen sind erloschen und der Bauunternehmer gelobt, Verantwortung zu übernehmen: ein doch eher holzschnittartiger Grundkurs über die Folgen der Gentrifizierung.