Die Europäische Union ist seit langem berühmt für ihre Softpower. Mit ihrer Wirtschaftskraft, ihrem Geld, ihrem Apparat und der Unterstützung von 27 Mitgliedstaaten ist sie eine Macht. So sind die EU und ihre Mitgliedstaaten mit Abstand der größte Zahler von Entwicklungshilfe. Über Entwicklungshilfe hinaus engagiert sich die EU im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit militärischen und zivilen Operationen. Zurzeit ist sie in Bosnien, in Somalia und vor Somalias Küste gegen Piraten mit militärischen Operationen engagiert. Zivile Missionen laufen im Kosovo, im Kongo, im Irak, in Bosnien, Palästina, Afghanistan, Georgien sowie in Moldawien und der Ukraine. Tausende Militärs und Krisenexperten werden von der Europäischen Union in aller Welt eingesetzt. Ein entscheidender außenpolitischer Spieler auf der globalen Ebene ist die EU dennoch nicht. Die meisten EU-Missionen dürften der überwältigenden Mehrheit der europäischen Bürger völlig unbekannt sein. Vom Rest der Welt muss man gar nicht erst reden.
Dabei steht die Europäische Union mächtig unter Druck. Die Welt verändert sich so schnell, dass es nicht nur die Spatzen von den Dächern pfeifen, sondern dass der scharfe Wind der Veränderung schon kalt und hart durch die Straßen bläst. Europa ist nicht mehr stark genug, sich in aller Ruhe die Welt anzuschauen und hier und da mit ihrer Softpower zur Unterstützung aller friedliebenden Menschen und Völker sanft einzugreifen, damit Wohlstand und Demokratie überall erblühen mögen. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des Kalten Krieges hatten sich das viele so ausgemalt. Inzwischen sprießen die Krisen aus dem Boden, wie die Blumen im Frühjahr. Eine gemeinsame europäische Antwort darauf gibt es nur selten.
Außenpolitik wird in Europa noch immer von Großbritannien, Frankreich und Deutschland gemacht, Länder, die nach Aussage eines engen Mitarbeiters von EU-Kommis-sionspräsident José Manuel Barroso die größten Hindernisse einer weitergehenden Integration sind, weil sie noch immer von dem Glauben beseelt seien, dass sie, und zwar jeweils allein, den Lauf der Welt entscheidend mitbestimmen könnten. Mit dem Lissabonner Vertrag sollte die EU einen Außenminister bekommen, den sie aber, da war der Engländer vor, nur Hohen Vertreter nennen darf. Die entscheidenden Auswahlkriterien waren Ende 2009: Sozialdemokrat, Brite, Frau. Lady Catherine Ashton konnte als einzige alle drei Kriterien auf sich vereinen. Außenpolitische Erfahrung und politisches Gewicht, beides konnte sie nicht bieten, waren den europäischen Staats- und Regierungschefs, allen voran Merkel, Sarkozy und Gordon Brown, ohnehin eher ein Dorn im Auge.
Lady Ashton hat es denn auch seit ihrem Amtsantritt im Dezember 2009 nicht geschafft, zum außenpolitischen Gesicht der EU zu werden. Man mag ihr das nicht vorwerfen, weil ihre Stellung in der noch immer rein intergouvernementalen europäischen Außenpolitik trotz ihres Vorsitzes des Rates der Außenminister und ihrer Position als Vizepräsidentin der Kommission schwach ist. Aber muss sie so weit gehen, wie sie es im März dieses Jahres mit ihrer Antwort auf Kritik des außenpolitischen Ausschusses des Europäischen Parlaments tat? Der hatte das fehlende gemeinsame Vorgehen gegenüber Libyen unter anderem im UN-Sicherheitsrat kritisiert. Ashton antwortete, dass man das sicher besser machen könne, aber dass das in die Verantwortung der ungarischen Präsidentschaft falle. Die Äußerung kann getrost zwischen Arbeitsverweigerung und Offenbarungseid eingeordnet werden.
Am 2. und 3. September trafen sich die europäischen Außenminister zu einem informellen Treffen im polnischen Ostseebad Sopot. Ein wichtiger Tagesordnungspunkt war die Haltung der EU zu den palästinensischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Die EU war so uneinig, dass die Minister beschlossen, öffentlich gar nichts mehr zu sagen und Ashton verlauten ließ, so lange die Palästinenser keinen Antrag auf Vollmitgliedschaft bei der UN gestellt hätten, so lange müsste die EU darüber auch nicht diskutieren. Dass die EU der größte Finanzier Palästinas ist und ihrer Haltung besondere Relevanz zukommt, ist den Außenministern egal.
Die intergouvernementale Methode stößt in der Außenpolitik ebenso wie in der Wirtschaftspolitik an ihre Grenzen. Kein europäisches Land kann sich allein positionieren in einem Umfeld, das von einem Amerika geprägt ist, das über Jahre zuallererst den eigenen Saustall ausmisten muss und sich mehr und mehr dem pazifischen Raum als neuem Kraftzentrum [-]zuwendet. Kein Land kann sich [-]alleine posi-tionieren gegenüber einem Arabien im Umbruch oder einer Türkei, die sich zur Regionalmacht aufbauen will und dafür [-]gezielt den Konflikt mit Israel sucht. Kein Land kann sich alleine positionieren gegenüber einem revisionistischen Russland, das nicht demokratisch werden will, seine Wirtschaft nur mit Mühe voranbringt, aber viele europäische [-]Länder energetisch von sich abhängig weiß.
Europa muss sich ernsthaft damit auseinandersetzen, ob und wie es sich außenpolitisch behaupten will – oder den zunehmenden Verlust an Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten billigend in Kauf nehmen. Um als Akteur aufzutreten, braucht es nicht nur die entsprechenden Institutionen und Personen, die Europäer müssen auch den Willen dazu haben. Bisher verkörpern diesen Willen nur Frankreich und Großbritannien, beide sind geprägt von ihrer kolonialen Vergangenheit. Der erfolgreiche Einsatz in Libyen verführt Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy schon dazu, in einer Rede vor den französischen Botschaftern davon zu sprechen, dass nunmehr das Mittelmeer zuallererst eine europäische Angelegenheit sei und danach erst eine amerikanische. Bis zu einer europäischen Monroe-Doktrin ist es da nur ein kleiner Schritt. Bis zum Größenwahn auch. Niemand sollte vergessen, dass der Nato-Einsatz in Libyen ohne amerikanische Logistik, Aufklärung und Muni-tionshilfe nicht möglich gewesen wäre und dass ein britischer General beklagte, wenn der Einsatz zu lange dauere, könne Großbritannien seine Küsten nicht mehr schützen. Europa muss offensichtlich nicht nur lernen, mit einer Stimme zu sprechen, sondern auch seine militärischen Ressourcen effektiver, sprich gemeinsamer, einzusetzen. Die Zeiten von Softpower sind jedenfalls vorbei.