„Terminus pour l’euro“ hieß vor einem Monat ein Fortsetzungsroman in Le Monde über das Ende der gemeinsamen Währung, der so realitätsnah war, dass er sogar für einen Kurseinbruch der Société générale verantwortlich gemacht wurde. Nur eine Person tauchte im halb erfundenen Kampf zwischen Politikern, Zentralbanken und Finanzhäusern nicht auf: „Mister Euro“.
Selbst für Romanautoren scheint der ständige Vorsitzende der Finanz[-]minister der Euro-Zone keine für den Fortbestand des Euro nennenswerte Rolle mehr zu spielen. Denn je heftiger die Krise im Euro-Raum wurde, um so weniger hörte man von ihm. Schon in der Bankenkrise 2008 bemängelten Gegner, dass er nicht genug Einsatz gezeigt hatte. Doch nun in der Schuldenkrise werfen Junckers zahlreiche Kritiker ihm vor, nur noch durch ungeschickte Äußerungen auf sich aufmerksam zu machen.
Bei einer Diskussion des Mouvement européen am 20. April in Brüssel hatte er eingestanden, dass er in seiner polischen Laufbahn öfters habe „lügen müssen“, um die Finanzmärkte irrezuführen. Als er dann auch noch am 7. Mai die Existenz eines Finanzministertreffens in Senningen dementieren ließ, nannte das Düsseldorfer Handelsblatt ihn den „Pinocchio des Tages“, der Wiener Standard ver[-]glich ihn mit einem „Meister der Lüge“. Beim Financial Forum Ende Mai in Luxemburg hatte er über die griechische Staatsschuld gemeint, dass „der IWF nur aktiv werden kann, wenn für die nächsten zwölf Monate eine Refinanzierungsgarantie gegeben ist. Ich glaube nicht, dass die gegeben ist“. Vor dem Gipfeltreffen, das zum zweiten Mal die griechischen Gläubiger retten sollte, hatte er am21.Juli gewarnt: „Wir können nicht ausschießen, dass Griechenland für zahlungsunfähig erklärt wird.“
Seitdem hört die internationale Presse nicht mehr auf, ihn zu beschimpfen. Ihm besser gesonnene Blätter, wie die Süddeutsche Zeitung (18.6.), schreiben schon Nachrufe: „Bislang war Juncker als ‚Monsieur Euro’ bekannt“. Doch er könne „das Geraune nicht ersticken, dass er ein Schwätzer geworden sei, ein Politiker, der zum Lügen auffordere“. Weniger gewogene, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (20.5) schimpfen ihn den „Überforderten“, er „verwirrt mit seiner Geschwätzigkeit nicht nur die Märkte“, was „auf Junckers Gekränktheit darüber zurückgeht, an Einfluss verloren zu haben“.
Bei ihrem Krisentreffen vor zwei Wochen schrieben nun Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel einen Brief an den Präsidenten des Europäischen Rats, Herman Van Rompuy, in dem es heißt: „Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes sollten einen Vorsitz wählen, der im Regelfall zweieinhalb Jahre im Amt bliebt. Wir haben unserem Wunsch Ausdruck verliehen, dass Du diese Aufgabe übernimmst.“ Dass es bereits einen „Mister Euro“ gibt, war nicht einmal der Erwähnung und auch nicht eine Höflichkeitsfloskel über die erhoffte gute Zusammenarbeit wert.
„Son autorité est de plus en plus contestée après dix-huit mois de gestion chaotique de la crise de la zone euro“, erklärte Le Monde (1.8.). Die Agentur Reuters (3.8.) zitierte einen „hochrangigen EU-Vertreter“: „Die Eurogruppe funktio[-]niert nicht.“ Ihr Vorsitzender zeige „Anzeichen von Amtsmüdigkeit. Zudem ist er Deutschland und Frankreich ein Dorn im Auge, weil er sich nicht scheut, die beiden größen EU-Staaten zu kritisieren.“ Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (17.8.) wusste: „Die Schaffung einer Euro-Wirtschaftsregierung unter Leitung Van Rompuys läuft auf eine Schwächung Junckers heraus.“ Die Financial Time Deutschland (18.8.) sah in dem „mitunter als müde und unkonzentriert“ beschriebenen Jucker den „Verlierer“ der geplanten Wirtschaftsregierung, seine „Chancen auf den Titel des ‚Mister Euro‘ – sie werden auf jeden Fall schlechter.“ Juncker habe „das schädliche Stimmengewirr in der Euro-Zone nicht in den Griff bekommen“, klagte das Handelsblatt (18.8.). „Vor allem hat er sich mächtige Feinde gemacht.“ Selbst das Luxemburger Wort (18.8.) titelte mit Spiegel-Zitaten: „Versuch, Juncker zu entmachten“, das sei „eine ziemlich offene Brüskierung“.
Die Ernennung eines neuen „Mister Euro“ hat selbstverständlich nicht nur mit Kritiken an Jean-Claude Juncker zu tun. Sein Amt war 2005 als ein Schönwetteramt geschaffen worden, als die gemeinsame Währung bloß eine Sache der Europäi[-]schen Zentralbank sein und die Politik sich ganz liberal heraushalten sollte. Doch heute hat sich die Schuldenkrise so verschärft, dass sich nicht mehr die von Juncker geleiteten Finanzminister darum kümmern können, sondern die künftig von Van Rompuy geleiteten Staats- und Regierungschefs unter deutsch-französischem Directoire.
Hierzulande bezieht Jean-Claude Juncker einen wichtigen Teil nicht nur seiner Popularität, sondern auch seiner politischen Autorität aus dem internationalen Ansehen, das ihm beigemessen wird. Nach seiner gescheiterten Kandidatur für den [-]Europäischen Ratsvorsitz und seiner Demontage als „Mister Euro“ wurde es prompt schwieriger für ihn, sich bei den Sozialpartnern, dem Koali[-]tionspartner und in der eigenen Partei Gehör zu verschaffen. Wenn er sein Mandat als „Mister Euro“ nächstes Jahr unter allgemeiner Kritik abgibt, heißt das auch, dass seine Chancen, doch noch die Luxemburger Politik für ein internationales Amt zu verlassen, dahinschmelzen. Auch zum Leidwesen seiner Thronprinzen in der CSV und seiner Konkurrenten in der LSAP und der DP.