Dass man von alten Tönen fasziniert ist, heißt noch lange nicht, dass man altmodisch ist. Auch nicht, dass man sich den Klängen der Neuen Musik verschließt. Die luxemburgische Sopranistin Véronique Nosbaum hat von der Alten Musik aus den Zugang zum breit gefächerten Gesangsrepertoire und den Weg zur Oper gefunden. Dabei kommt es nicht von ungefähr, dass die Musikerin ihre künstlerischen Wurzeln aus der Alten Musik zieht: die gesanglichen Linien von Couperin, Buxtehude, Purcell oder Bach scheinen geradezu auf das makellose Timbre von Véronique Nosbaum zugeschnitten zu sein. Und so gilt die Luxemburgerin als ausgewiesene Barock-Spezialistin, wenngleich sie selbst mit derartigen Klassifizierungen nichts anfangen kann, denn ihre Interessen und Vorlieben sind vielseitig und facettenreich.
„Meine Stimme und die Musik des Barock kommen einfach nur gut miteinander aus“, erzählt die Sängerin gerne. Dass sie über die Grenzen des Landes in Sachen Alte Musik als Referenz gilt, liegt nicht zuletzt auch an der Ausbildung von Véronique Nosbaum. Die Sängerin, der die Musik sozusagen in die Wiege gelegt wurde – die Mutter spielte Cello, die aus der Schweiz stammende Großmutter war Konzertpianistin, der Onkel unterrichtete an der Musikhochschule in Basel – studierte nach dem Luxemburger Konservatorium bei Georgette Rispal in Paris. Parallel dazu absolvierte sie an der Sorbonne ihr Studium in Sprachwissenschaften. Danach ging sie zu Greta De Reyghere ans Conservatoire Royal de Liège. Am Musikkonservatorium in Metz spezialisierte sie sich bei Monique Zanetti und erhielt dort die Goldmedaille in Barockgesang mit spezieller Auszeichnung der Jury.
In Luxemburg hat unter anderen auch Carlo Hommel, der damalige Titularorganist der Kathedrale, die junge Sopranistin geprägt. Die junge Véronique Nosbaum sang unter seiner Leitung in der Maîtrise de la Cathédrale. Dass hier die Begegnung mit der Alten Musik, vom gregorianischen Gesang über Marc-Antoine Charpentier bis hin zu Georg Friedrich Händel, nicht ausblieb, liegt auf der Hand. Aus der Zusammenarbeit mit Hommel entstanden Kontakte zum Ensemble Les Musiciens, dem heutigen Orchestre de Chambre du Luxembourg. „Das Milieu in Luxemburg ist klein, künstlerische Beziehungen hat man da sehr schnell aufgebaut“, so Véronique Nosbaum.
Dieser Mikrokosmos brachte sie auch zum Vokalensemble CantoLX, das unter anderem unter dem Impuls von Camille Kergers Institut européen de chant choral (Inecc) entstand. Ganz besonders am Herzen liegt der Sängerin ebenfalls die intensive und spannende Zusammenarbeit mit dem Barockensemble Le Concert Tribuot, mit dem sie vor kurzem zwei Einspielungen realisiert hat: ein Album mit Alter Musik aus Frankreich sowie eine Scheibe mit französischer Romantik. Mit Le Concert Tribuot gastierte Véronique Nosbaum Ende August, gemeinsam mit der Sängerin Isabelle Fallot und dem Organisten Laurent Beyhurst, bei den Rencontres de musique ancienne in der Église Saint-Martin von Seurre im Burgund, dessen Herzstück die Orgel von Julien Tribuot, dem Orgelbauer Ludwigs XIV., ist. Auf dem Programm steht neben François Couperins Leçons de Ténèbres pour le Mercredy Saint erstaunlicherweise auch zeitgenössische Musik von Bernard Foccroulle und Jean-Pierre Leguay.
„Alte und Neue Musik haben sehr viel miteinander gemeinsam; Komponisten wie Kaaja Saariaho oder Salvatore Sciarrino bringen das brillant zum Ausdruck”, erklärt die Véronique Nosbaum, die sich partout nicht in eine Schublade drängen lassen möchte. Ihre Augen funkeln, wenn sie von der Oper spricht. Und gerade hier liegen ihre Präferenzen nicht gerade bei Lully, Rameau oder Vivaldi. „Meine Stimme kommt der eines lyrischen Soprans näher“, beschreibt die Sängerin, die mit Partien wie der Sophie aus dem Rosenkavalier, vor allem aber mit den großen lyrischen Mozart-Partien wie der Susanna oder der Pamina liebäugelt. Vorerst einmal steht sie im Herbst als Zweite Dame in Mozarts Zauberflöte auf der Bühne der Opéra royal de Wallonie in Lüttich.
An der Maas hatte sie bereits vor zwei Jahren den Amor in der höchst selten aufgeführten Gluck-Oper Paride ed Elena gespielt; in einer Produktion, die im Anschluss an ein Praktikum am Teatro Verdi in Pisa zustande kam. Nach ihrem erfolgreichen Vorsingen in Lüttich wollte der Intendant Véronique Nosbaum für die üblicherweise mit einem Mezzosopran besetzte Hosenrolle des Fjodor in Mussorgskis Boris Godunow. „Das kam für mich überhaupt nicht in Frage“, sagt Nosbaum entschlossen. „Die Partie liegt meiner Stimme ganz und gar nicht. Ich bin offen für jede Musik, die Spaß macht, für faule Kompromisse aber bin ich nicht zu haben. Dann lieber die Zweite Dame.“ Im Kapuzinertheater wird die Sängerin im März nächsten Jahres im Rahmen des unkonventionellen Projekts Weird Scenes Inside the Gold Mine mit Texten von Henri Michaux, Antonin Artaud und Jim Morrison sowie Musik von Frank Klee zu erleben sein.
Dass das Operngeschäft ein sehr hartes ist, dessen ist sich die freischaffende Künstlerin bewusst. Véronique Nosbaum: „Ich bin vielleicht etwas lasziv, wenn es darum geht, um Engagements zu kämpfen. Ich muss aggressiver werden, mich öfter an Vorsingen beteiligen – und ich werde mir einen Agenten zulegen.“ In der Tat blieb der charmanten Künstlerin der Erfolg beim Vorsingen bislang nicht versagt. Als sie sich beim Teatro Real in Madrid bewarb, wollte sie der Dirigent Jesús López Cobos sofort.
Zu einer Zusammenarbeit mit Madrid aber ist es bislang nicht gekommen. „Meine heute zehn Monate alte Tochter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht“, schmunzelt die Künstlerin zufrieden, „aber ich bereue es nicht, meine Familie ist mein ein und alles.“ Und auch zu Hause ist der Grat zwischen Kunst und Privatsphäre sehr schmal: gemeinsam mit ihrem Mann Alex Reding leitet sie die Privatgalerie Nosbaum [&] Reding. Die beiden, die vorher mit der Galerie Alimentation générale Akzente setzten, gehören zu den Pionieren der zeitgenössischen Kunstszene im Lande. Mit ihrem Bruder, dem Pianisten Romain Nosbaum, praktiziert sie immer wieder gerne den Liedgesang. „Es ist eine wahre Freude, mit ihm zu musizieren“, sagt die Sopranistin. Das romantische Lied und die regen Kontakte zur bildenden Kunst sieht Véronique Nosbaum als weitere Bereicherungen ihres zwischen dem 17. und dem 21. Jahrhundert oszillierenden Künstlertums.