Der Pianist David Ianni hatte seit dem Beginn seiner Karriere auch immer das Bedürfnis, zu komponieren. Mit sechzehn, als der junge Luxemburger, der die Grundbegriffe seines Metiers bei Daniel Feis im Escher Musikkonservatorium erlernte, sein Orchesterdebüt mit Franz Liszts zweitem Klavierkonzert gab, hatte er bereits erste Stücke wie die schlichte, bewegende Melodie Nacht der Tränen zu Papier gebracht. Auf seine Laufbahn als Konzertpianist bereitete er sich an der Londoner Purcell School und bei Tatiana Sarkissova an der Royal Academy of Music vor, bei Größen wie Dimitri Bashkirov, Anatol Ugorski, Radu Lupu oder Dirk Joeres. Parallel dazu aber rückte das Schreiben immer mehr in den Vordergrund seines künstlerischem Schaffens: Bis heute stammen rund 100 Komposi-tionen aus seiner Feder, darunter zahlreiche Melodien und Balladen, ein Streichquartett, ein Magnificat, das Oratorium Abrahams Kinder, das groß angelegte sinfonische Werk Pater Noster für Klavier und Orchester und eine Kinderoper – Musik, die Ianni selbst in Deutschland und Österreich, Frankreich und Italien, Indien und Japan, und natürlich in Luxemburg interpretiert hat.
Die Leitmotive des 1979 geborenen Komponisten sind die Transzendenz, die Spiritualität, der Glaube an Gott. So ist es kein Zufall, dass Ianni sein erstes Album mit Eigenkompositionen, das in diesem Sommer beim Label Oehm Classics erschienen ist, nach seinem Opus 79, Night prayers, benannte. „Musikalisches Gebet, gebetete Musik“, bezeichnet der Künstler sein Oeuvre. „Nicht alle Fragen sind beantwortet, aber ich habe eine musikalische Sprache gefunden, die meine Sehnsucht nach Harmonie und Frieden zum Klingen bringt“, kommentiert David Ianni seine Nachtgebete.
Die musikalische Sprache von David Ianni ist in der Tat eine sehr harmonische. Das Lyrische, Einfühlsame, Nachdenkliche überwiegt, und sticht nicht zuletzt deshalb so sehr heraus, weil diese schlichten, eingängigen Melodien in eine wahre Vielfalt von kompositorischen Mitteln eingebettet sind: Synkopen und chromatische Läufe, Tempovariationen und eine Rhythmik, die einer strengen metronomischen Stringenz unterliegt. Iannis Musik ist so abwechslungsreich, weil sie aus Kontrasten heraus lebt, weil sie aufwühlende Rastlosigkeit einer kontemplativen Innigkeit gegenüberstellt, weil sie mit Dissonanzen arbeitet, die sie gleich wieder aufhebt, und gezielt dramatische Bögen spannt und entspannt. Diese Art und Weise, den Zuhörer in den Bann zu ziehen, fällt besonders bei den Balladen auf. Und bei Iannis erster Sonate, op. 65, die sich aus einem meditativen Kopfsatz in einen eindringlichen Mittelteil hineinsteigert, welcher sich durch den entschlossenen Tastenschlag und den satten Klang des Klavierspiels von Daviad Ianni auszeichnet, um am Schluss der Sonate erneut in chopinsche Sensibilität einzutauchen.
Die Inspiration zu seinen Night prayers, jenem dreiteiligen Zyklus, der dem Album den Titel gibt, hat David Ianni im Benediktinerkloster Stift Heiligenkreuz im Wienerwald gefunden. Der junge Künstler hat sich dorthin in einer entscheidenden Phase seines Lebens zurückgezogen. Stille und Empfindsamkeit, Meditation und Spiritualität finden sich wieder im Ave Maria, im Sanctus und im Nunc dimittis, kombiniert mit Tiefgang, Charisma und Reife, einer erstaunlichen solistischen Finesse und einem verblüffend kultivierten Spiel. Night prayers ist ein bestechend schöner Querschnitt durch die mehr als fünfzehnjährige kompositorische Tätigkeit eines Ausnahmepianisten.