Die Europäische Union macht dem britischen Premierminister David Cameron das Leben schwer: Vergangene Woche tischte ihm Brüssel eine Rechnung von über 2,1 Milliarden Euro Nachzahlung auf. Dies ist auf eine Unterschätzung der britischen Wirtschaftslage seit 1995 zurückzuführen. Das Land muss nun den höchsten Betrag aller Mitglieder in den EU-Haushalt nachbezahlen.
Doch Cameron will nicht zahlen. „Wir werden nicht plötzlich unser Scheckbuch herausholen und einen Scheck über zwei Milliarden Euro schreiben. Das wird nicht passieren“, wetterte der sichtlich aufgebrachte Premier am Rande des EU-Gipfeltreffens am vergangenen Freitag. „Manchmal zahlt man ein bisschen mehr, manchmal ein bisschen weniger, aber es ist noch nie vorgekommen, dass plötzlich eine Rechnung von zwei Milliarden Euro vorgelegt wird. Das ist unakzeptabel und erschreckend.“
Der Betrag basiert auf einer Neuberechnung des Statistischen Amtes der EU und nimmt nun auch illegale Wirtschaftsbereiche wie Drogenhandel und Prostitution in Rechnung. Einen viel größeren Einfluss auf die Nachzahlung in Großbritannien hat jedoch der Wohltätigkeitssektor, dessen Einnahmen laut Financial Times in Großbritannien lange nicht korrekt beziffert wurden. Großbritannien, das dank Margaret Thatcher den so genannten „Briten-Rabatt“ bei der EU-Beitragszahlung erhält, ist also reicher als angenommen, und muss deswegen in den EU-Haushalt nachzahlen. Die Formel, auf der die Neuberechnung beruht, wurde 1995 von John Major, dem damaligen britischen Premier, unterschrieben. Diese Details findet man inmitten der lauten Empörung nur in wenigen Zeitungen. „EU zwingt Großbritannien für den Aufschwung zu zahlen“, titelte beispielsweise der Daily Telegraph, „No pay José“, schrieb die Sun. Die Daily Mail fand, dass Frankreichs Rückzahlung von einer Milliarde Euro „das Ganze nur noch schlimmer macht“.
Doch nicht nur für die rechtsgerichtete Presse ist die deftige Nachzahlung ein gefundenes Fressen. Euroskeptiker aller Farben ließen sich dieses Geschenk nicht entgehen. Nigel Farage, Chef der rechtspopulistischen UK Independence Party (Ukip) beschrieb die Union als durstigen Vampir, „der sich vom Blut der britischen Steuerzahler ernährt“. Camerons Versicherung, die Staatskassen am 1. Dezember fest geschlossen zu halten, traut er nicht: „Natürlich wird er zahlen. Das sind die Regeln, dagegen kann er nichts machen“, so Farage im Radiosender LBC.
Die EU-Mitgliedschaft war immer schon ein heißes Eisen in Großbritannien, doch diesmal ist die Situation für den britischen Premier verzwickter als je zuvor. Die Forderung der Nachzahlung kommt in einer Zeit in der Tory-Abgeordnete wie Douglas Carswell der Partei abtrünnig gehen, um sich Ukip anzuschließen. Cameron ist ihnen nicht konsequent genug ist in Sachen EU-Skepsis und Einwanderungsstopp. Carswell gewann den ersten Sitz für Ukip in Westminster. Auch Mark Reckless, Abgeordneter aus Rochester und Strood im südöstlichen Kent, hat sich für die Rechtspopulisten entschieden und damit eine Nachwahl ausgelöst. Umfragen zufolge hat er sehr gute Chancen, Ende November den zweiten Sitz für Ukip in den Commons zu sichern. Die zwei Sitze mögen nicht ausschlaggebend seien, sie sind jedoch von Symbolkraft für einen Premier, der einerseits in der EU bleiben will, sich andererseits damit in seiner eigenen Partei immer weniger durchsetzen kann. Das Referendum zur EU-Mitgliedschaft im Jahre 2017, das Cameron bei seiner Wiederwahl leichtfertig versprach, kommt vielen seiner Hinterbänkler zu spät. Der Premier argumentiert, dass er bis dahin mit der Union, um mehr Einfluss für Großbritannien verhandeln wolle. Doch die Hauptanliegen der Euroskeptiker, wie zum Beispiel die Freizügigkeit und der gemeinsam finanzierte Haushalt, gehören zu den Grundpfeiler der Union, an denen Cameron nur schwer – wenn überhaupt – rütteln kann. Gleichzeitig lockt Farage die Tory-Hardliner mit populistischen Sprüchen und einem Referendum für 2015.
Die große Angst der moderaten Tories ist nicht nur, dass Parteimitglieder ihnen den Rückenzukehren, sondern auch Wähler und Ukip so bei den Wahlen im Mai nächsten Jahres mehrere Sitze gewinnen könnte. Schließlich waren Ukip die großen Gewinner der letzten Europawahlen. Traditionell haben Wahlen zwar eine geringe Beteiligung und es bleibt abzuwarten, ob die Briten der oft verlachten Ukip nicht nur im Europaparlament, sondern auch zu Hause politisches Handeln zutrauen. Doch Cameron kann keine Risiken eingehen, denn die Wahlen sind nur noch einige Monate entfernt. Er ist sich wohl bewusst, dass der Grat, auf dem er sich durch die von ihm selbst befeuerte EU-Skepsis seit längerem bewegt, um einiges schmaler geworden ist.