Die Gnadenlosigkeit des politischen Kalküls schimmert Saint-Just aus den kalt blinzelnden Augen eines wächsernen Gesichts. Es ist ein zynisches Grinsen, der Beute gewidmet. Im Duett mit Jakobiner-Anführer Maximilien de Robespierre stampft er alles nieder, was sich der bedingungslosen Revolutionsanschauung zu Gunsten der Tugend in den Weg stellt. Tugend? Freiheit? Wohlbefinden? Erzwingen demokratischer Ansätze? Die konsequente Staatsphilosophie der Revolutionsväter wird nicht von allen getragen. Zynisch ist er geworden, Georges Danton, einstiger Weggefährte, der um die Widersprüche und die Schwäche des Fleischs nicht nur unter dem Volke weiß: „Es gibt nur Epikureer, grobe und feine“. Der Journalist Camille Desmoulins ist in seiner Mischung aus Heißblut und Melancholiker der menschlichen Seite an Dantons Philosophie zugetan. Zynismus ist ihm jedoch völlig fremd. Autoritärer Revolutionsterror gegen die Utopie der volksnahen Revolution? Dazwischen fungiert eine junge Frau bisweilen als Dantons Gattin, zeitweise als Volk oder schlicht als inkarnierte Weiblichkeit.
Das Kasemattentheater hat sich des Vormärz angenommen und unter der Regie von Dominique Schnizer das 1835 von Georg Büchner verfasste Revolutionsstück Dantons Tod inszeniert. In gemeinsamer Arbeit mit Claudia Romeder hat der Regisseur den Stoff vor allem in Bezug auf die Figurenkonstellation gestrafft. Führt Büchner in seinem Original noch etwa dreißig Protagonisten auf, so konzentriert sich Schnizer auf eine bewusst schematisierte, klarer strukturierte Fünferkonstellation: Marc Limpach als Georges Danton, Jules Werner als Robespierre, der Bielefelder Florian Panzner als Saint-Just und der Niedersachse Mario Mentrup als Camille Desmoulins. Dazwischen wirkt die junge Schauspielerin Eugénie Anselin wie eine Art Ruhepol, wie das projizierte Gewissen der politischen Lenker, wie das Volk, dem gegenüber der Staatsdenker sich zu erklären und zu rechtfertigen hat – eine Inszenierung, die der Tradition des Ideendramas folgt.
Ähnlich einem Reigen treffen die Figuren in nahezu geometrisch nüchterner Choreografie und doch stets in staatstheoretisch komplexen Dialogen aufeinander. In jeder Konstellation wird die eigene Position dargelegt, es wird gestritten und überzeugt oder Verwirrung gestiftet, ein Rütteln macht sich breit. Auffällig ist dabei, dass die jeweils nicht am Gespräch Teilnehmenden den Streitenden keineswegs fern sind. Entweder kritzeln sie das Dargestellte wie Kapitelüberschriften mit Kreide an die bereits mit Revolutionszitaten vollgeschmierte Wand, oder sie reagieren mit subtiler Mimik auf Monologe und Dialoge der Sprechenden, deren Text sich also nicht, wie bei Shakespeares Asides, als intime Gedankenausschüttungen herausstellen.
Die wirksame Simplizität der Inszenierung von Schnizer und Bühnenbildnerin Christin Treunert ergibt sich aus wenigen intelligenten Details: So werden Danton und Desmoulins nicht etwa in einen Kerker gesperrt. Die Requisite beschränktsich auch hier auf ein simples Quadrat aus Kreide, das die Autoritäten der Terreur Blanche um die Darsteller zeichnet und Erinnerungen an Lars von Triers Dogville hervorruft. Auch die unerbittliche Verwicklung in und die Konditionierung durch die Revolutionswirren nehmen in dem Einfall Gestalt an, dass sich die Darsteller ihre Kleidung an den Kreidesprüchen der Wände schmutzig wischen: „Wir haben nicht die Revolution gemacht, die Revolution hat uns gemacht.“
Zwar gibt es vereinzelte Momente, in denen Mentrup und Werner der Gefahr des textlastigen Stückes unterliegen und zu sehr auflistend vortragen, doch generell schafft es das Quintett, die theoretisierten Redebeiträge mit der Handlung dramaturgisch so zu vereinen, dass sich die Inszenierung nicht in einer trockenen Einführung in das Staatswesen erschöpft. Gerissen spielen Florian Panzner mit seiner minimalistischen Mimik und Marc Limpach mit seiner Natürlichkeit. Nachwuchsdarstellerin Eugénie Anselin stellt ihr schauspielerisches Talent mit ihrem von Sehnsucht nach menschlicher Authentizität geprägten Monolog, ihrer abschließenden Frage nach der Existenz Gottes, ja letztlich ihrer Präsenz inmitten der machtgierigen Männerriege unter Beweis. Sie schafft es, die unterschiedlichen Figuren in einem Gesicht zu vereinen. Man darf auf mehr hoffen.
Schnizers Dantons Tod ist vereinfachend und fantasiereich inszeniert, trotz seines philosophischen Diskurses überraschend kurzweilig und ragt damit aus der Reihe politischer Dramen, die derzeit in Luxemburgs Häusern aufgeführt werden, heraus.
Dantons Tod von Georg Büchner, Fassung: Dominique Schnizer und Claudia Romeder; eine Produktion des Kasemattentheaters. Regie: Dominique Schnizer; Bühne und Kostüm: Christin Treunert; Darsteller: Eugénie Anselin, Marc Limpach, Florian Panzner, Mario Mentrup, Jules Werner. Weitere Vorstellung am 17.10.09; Platzreservierung unter www.kasemattentheater.lu.