Interview mit Steve Karier

Wider das Gegrunze

d'Lëtzebuerger Land du 17.09.2009

d’Lëtzebuerger Land: Nach 25-jähriger, nur kurz unterbrochener Schau­spielerkarriere auf renommierten Bühnen des deutschsprachigen Raumes, zuletzt am Theater Basel, haben Sie am Ende der vergangenen Saison beschlossen, Ihren Vertrag in Basel nicht mehr zu verlängern, um in Luxemburg als freischaffender Künstler zu arbeiten. Warum??

Steve Karier: Ich fand die Linie, die in Basel eingeschlagen wurde, einfach nicht mehr annehmbar. Die Dramaturgie und Schauspielführung haben mich überhaupt nicht mehr interessiert. Ich glaube nicht, dass man die Menschheit auf Figuren reduzieren kann, die sich fragen, ob sie einen Ford Mondeo fahren sollen. Solche Fragestellungen sind schlichtweg irrelevant. Mit meinem Kollegen Martin Engler habe ich beschlossen, zusammen Theater zu machen, und zwar das Theater, das wir wollen. 

Dass ich nach Luxemburg zurückgekommen bin, hat zuerst private Gründe, meine Familie lebt hier. Natürlich habe ich mich dadurch auch entschieden, mein Berufsleben hintanzustellen, denn ich werde hier weniger als die Hälfte einer professionellen Gage im Ausland verdienen, auch wenn ich genauso viel oder sogar mehr arbeite. Aber der inhaltliche Preis war mir in letzter Zeit einfach zu hoch in Basel. Nach all den Jahren habe ich mich auch von der Idee verabschiedet, unbedingt „dabei zu sein“, mich aus diesem Rennen nach Berühmtheit in den Feuilletons abgemeldet. Ich konnte diese Hysterie der deutschen Bühnen nicht mehr ertragen. Hier werde ich zumindest mehr Zeit haben, um nachzudenken, zu ergründen warum ich was machen will. Nun kann ich wieder selbst denken.

Sicher werde ich auch weiterhin vornehmlich spielen, doch ich hatte im De­zember 2007 den Komachi/Kawabata-Abend im Kasemattentheater inszeniert und, obwohl das eigentlich bloß eine Fingerübung war, mich gut dabei gefühlt – und es gab noch andere Leute, die das gut fanden. Es ist klar, dass jeder Schauspieler irgendwann an den Punkt ankommt, wo er sich sagt: „Das kann ich auch, und bestimmt besser!“ Bis dahin hatte ich mich immer, wenn ich vom Theater träumte, mitten im Geschehen geträumt, konnte kein zusammenhängendes Ganzes erkennen. 

Marc Olinger hat mir daraufhin angeboten, eine Regiearbeit im Kapuzinertheater zu machen, und mir wurde sehr schnell klar, dass ich eine griechische Tragödie machen würde. Ich habe mich schließlich für Sophokles entschieden, weil er archaischer ist als Euripides, ich habe mich sehr einfach in seinem Kodex zurecht gefunden. Antigone fasziniert mich, weil es eine Zweipersonentragödie ist, in der beide Figuren untergehen. Es gefiel mir, dass beide an ihren tiefen ethischen Überzeugungen zerbrechen: Antigone will, dass ihr Bruder begraben wird, weil die Totengötter mächtiger sind als jeder Streit, Kreon hingegen hat geschworen, niemals Freund und Feind zu vermischen – am Ende verlieren beide, sie stirbt und er ist ganz alleine.

Bei jedem Stück, das man inszeniert, stellt sich die Sinnfrage: Warum eben dieser Text und kein anderer.... Sie sind ein überaus politischer und informierter Mensch. Werden Sie politische Bezüge zu heute herzustellen? Ich interessiere mich nicht für die unmittelbare Aktualität, weil sie sich in Bögen immer wiederholt – ich würde daran verzweifeln. Da gehe ich lieber ins Theater und erdenke mir eigene Räume. Natürlich beeinflussen mich Betrachtungen über die zeitgenössischen Zustände bei meiner Interpretation des Stückes, zum Beispiel über Machterhalt, und man kann leicht und billig Bezüge zu heute herstellen, wenn Kreon feststellt: „Geld versaut die Welt“. Aber das ist nicht mein wichtigstes Anliegen. 

Dieses Stück hat 2 500 Jahre lang überlebt, weil es über all die Jahrhunderte hinweg den Menschen immer wieder etwas zu sagen hatte. Ich habe die gesamte Vorbereitungszeit, insbesondere die letzten sechs Monate, damit verbracht, den Text zu analysieren, um zu verstehen, warum welches Wort wo und wann gebraucht wurde. Meiner Ansicht nach hat das ganze Philologengewichse à la Lessing über Katharsis und die vermeintliche Absicht, das Publikum zu läutern, dem griechischen Theater sehr viel Schaden zugefügt.In Griechenland gingen die Leute ins Theater, um etwas zu erleben, um Gänsehaut zu kriegen und zu weinen. Deshalb waren die Aufführungen mit Musik unterlegt, und es wurden Affekte provoziert, um diese Gefühle aus den Menschen herauszulocken. Das auf der Bühne zu reproduzieren, ist das Schönste, was Theater machen kann – das ist meine Ambition. Es geht um die ewig geltende „condition humaine“. 

Das heißt, man muss sich auf eine sehr „klassische“ Aufführung einstellen? Eine Tragödie ist eine Tragödie, das kriegt man nicht mit kleinen Intriganten hin. Aber natürlich machen wir keine historische Theaterproduktion – es hat sich ein falsches, klassizistisches Bild der Tragödie ent­wickelt, mit langen Kleidern und Amphoren, das ist kompletter Blödsinn. Das Klassische an meiner Herangehensweise ist, dass ich versuche, zusammen mit den Schauspielern den Text zu verstehen und zu erarbeiten, was wie wann gesagt werden muss. Wir wollen die Sprache so klar machen, dass es den Zuschauern einfach fallen wird, sich auf die Gefühle, die in dieser Sprache leben, zu konzentrieren. Ich finde Sprache etwas Schönes, wenn jemand versucht, klare Gedanken zu fassen und ebenso klar auszudrücken.

Dazu jedoch bedarf es einer unheimlichen Präzision in der Sprache... Ich glaube, man muss insbesondere eine Haltung zum Text einnehmen – daraus entsteht die Transparenz der Sprache, die kann man finden. Probieren ist letztlich eine Suche nach der richtigen Betonung. Unser Konzept ist vor allem emotional, die Sprache muss dem dienen. Theater ist Atem, es muss direkt erfahrbar sein. Ich bin überzeugt, dass der größte Fehler unserer jüngsten Geschichte die totale Ökonomisierung aller Abläufe der Gesellschaft ist. Alles wird heute auf ein Preis-Leistungsverhältnis reduziert – auch die Sprache. Deshalb ist Sprache heute oft bloß noch Gegrunze – da kommen wir her und da kehren wir scheinbar unwiderruflich zurück. Ästhetische Fragen scheinen nicht mehr zu existieren, Denken wurde für überflüssig erklärt. In Luxemburg sieht man das am besten an den Diskussionen über die Uni: Es geht nie darum, Wissen zu vermitteln, sondern immer ausschließlich darum, wie man den Bankenplatz oder eine Chimäre namens „die Wirtschaft“ am besten mit Arbeitskräften füttern kann. Das ist absurd. Wissen wurde zum Unding erklärt. Um die Welt zu verstehen, braucht man aber Bildung. 

Ich gebe meinen Anspruch an die Sprache jedoch nicht auf. Ich bleibe überzeugt, dass eine klare Sprache komplexe Gedanken transportieren kann. Ein fahrlässiger Umgang damit kann die Vermittlung des Inhalts kaputtmachen, daran ist das Theater auch oft selbst Schuld. Ich habe die Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt gewählt, weil seine Wör­ter­welt und seine Konzepte größer waren als alle anderen Übersetzun­gen, die ich mir angeschaut habe – von dem kaum verständlichen Hölder­lin mal abgesehen. Seine Sprache ist sanft, er schöpft alle Mittel der deutschen Sprache aus. Falls wir es fertig bringen, die Unmittelbarkeit des Stoffes durch die Sprache wiederzugeben, entstehen wieder Lust und Freude am Text – auch für das Publikum. 

Antigone von Sophokles, in der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt; Regie: Steve Karier, Bühne: Diane Heirend, Kostüme: Katharina Pohlheim; mit: Margarita Breitkreiz, Tony de Mayer, Martin Engler, Dieter Fischer, Nora Koenig, Jean-Paul Maes, Linda Olsansky, Josine Peiffer und Max Thommes, ist eine Produktion desKapuzinertheaters; Premiere ist am 22. Oktober; www.theatres.lu. 

josée hansen
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