„Ich bin eine Hülle verstehst du, ich bin der Körper für ihre Sehnsucht, sie glauben an mich, sie brauchen mich, ich brauche sie auch, ja, aber, wenn ich es nicht gesagt hätte, wenn sie mich wegsperren, dann löschen sie auch alles, wofür wir gekämpft haben die ganze Zeit.“
Diese eingängigen Worte spricht die in ihrem Inneren zerfressene, zerrissene Christa-Maria Sieland, eine Figur, die in ihrem bedingungslosen Drang nach Selbstfindung auf der Bühne letztlich psychisch verkümmert. Christa-Maria ist bereit, mit der SED ins Bett zu steigen, damit sie festhalten kann, was ihr in der Diktatur noch bleibt: die darstellende Kunst.
Es ist ein Auszug aus einem von insgesamt vier umfangreichen Monologen der Hauptfiguren aus Albert Ostermaiers Bühnenversion des Oscar-prämierten Streifens Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck. Die differenziert inszenierte Gratwanderung zwischen künstlerischer Selbstverwirklichung und Regierungskritik, zwischen Machtsucht und nihilistischer Investigations-Akribie brachte diesem filmischen wie darstellerischen Meisterwerk zu Recht weltweite Bewunderung ein. Unvergessen und als Sternstunde deutscher Filmgeschichte bleiben uns Ulrich Mühes allmählich tränende Augen in Erinnerung, als er bei Abhörmaßnahmen den Klängen der Appassionata lauscht und sein Inneres Zweifel an seinen Taten gewinnt, die Berufung zum Beruf verkommt.
Nun also das Drama zum Film, in der Regie von Johannes Zametzer. Die Kulisse ist von konvex gebogenen Leinwänden gesäumt, darauf fotografische Abbildungen: graue Wolken, zaghaft durchbrechende Sonnenstrahlen, verfallene großstädtische Reihenhäuser, ein funktional beladener Schreibtisch. Die Leinwände bilden den Blick nach draußen, ein Draußen als Foto, als Abbildung, als Utopie. Vor diesen Projektionsflächen wird die karge Inneneinrichtung eines Hotelzimmers, eines Bades, eines Dachbodens sichtbar. Die Trostlosigkeit des Realsozia-lismus steht hier Pate. Vor diesen Kulissen treten die Darsteller an das Publikum im Théâtre des Capucins: Luc Feit als Ermittler Gerd Wiesler, Carsten Klemm als Georg Dreymann, Germain Wagner als Bruno Hempf und Petra Zwingmann als Christa-Maria Sieland.
Es wäre sicherlich vermessen, der tragischen Handlung allein aufgrund einer dämlich wirkenden Hornbrille von der Dicke eines Kornglases aus der Schatztruhe der Ostalgie parodistischen Charakter zu unterstellen, doch auch Germain Wagners durchweg groteske, späterhin zynische Interpretation des Kulturministers Hempf birgt jene überzogene Darstellung, die Feit als sich rückbesinnender Wiesler zu späterem Zeitpunkt auf die Schippe nimmt: „Und Georg Dreyfus … Dreymann … ist einer der bedeutendsten Ingenieure unseres Landes. Christa Maria Sieland. Sie ist die schönste Perle der Deutschen Demokratischen Republik, und da dulde ich keinen Widerspruch, hahaha. Erheben wir alle unsere Gläser auf Christa-Maria Sieland: Sie lebe hoch! Hoch! Hoch! Und eigentlich wollte er sagen, Dreymann bekommt keinen mehr hoch.“
Sicherlich ist die Bühnenversion als eigenständiges Kunstwerk zu verstehen, doch die Parallelen zum Film müssen gezogen werden. Dank ihnen füllen sich die Theater und deshalb ist die Frage nach Sinn und Zweck dieser streckenweisen Parodie eines im Film konsequent politisch-tragischen Ambientes berechtigt.
Es darf dabei selbstverständlich nicht darüber hinweggesehen werden, dass die vier monologischen Auftritte wichtige Fragen nach politischer Vermessenheit, nach persönlichem Ideologiebruch und staatstheoretischen Infragestellungen zur Sprache bringen. So spricht Wiesler etwa das Märchen vom sozialistischen Kollektiv an: „Jeder übernimmt im Wir Verantwortung für das Ich des anderen, jeder kontrolliert jeden, bis wir ein Staatskörper sind, weil Staat und Körper nicht mehr auseinander gedacht werden müssen. Sehnst du dich nicht manchmal danach, dass er schon da wäre, der Kommunismus, fragte ich Grubitz, und er empfahl mir eine Hure: Du denkst zuviel nach.“ Sprachlich geschliffen definiert der Stasi-Ermittler denn auch seine eigene Tätigkeit: „Ich war der Raum zwischen der Lippe und der vorgehaltenen Hand.“ Die Reflexionen im Hinblick auf die tragische Handlung und das sich nebenbei anbahnende Scheitern der SED-Politik bieten demnach die eine oder andere rhetorische Pointe.
Und doch ist im Prinzip, das Ostermaiers Bearbeitung zugrunde liegt, der Wurm drin. So wie die Leinwände Abbildungen sind, so scheint auch das gesamte Drama eine reflektive Abarbeitung, eine geistige Rückbesinnung, ein mentales Abbild der eigenen Vergangenheit zu sein. Die Bühnen-Monologe wirken wie eine nachträgliche Auseinandersetzung mit der Film-Figur, dazu noch mit laschem Spannungsbogen. Überspitzt formuliert wirkt jeder einzelne Auftritt wie die Lektürehilfe für solche Kinobesucher, die sich die Mühe einer persönlichen Interpretation des Filmes sparen möchten. Die teilweise fragwürdige, aber wenigstens durchschnittliche, von Zwingmann allerdings eingängige Darstellung und die symbolträchtige Kulissenarbeit stehen demnach weniger im Schatten als die möglicherweise redundante und zu spannungsarme Vorlage von Ostermaier. Was dieses Drama bietet, leistet der erfahrene Kinobesucher von allein.
Das Leben der Anderen; Bühnenversion von Albert Ostermaier; Théâtre des Capucins in Koproduktion mit Konzertdirektion Landgraf; Regie: Johannes Zametzer; Bühne: Christoph Rasche; Kostüme: Ulli Kremer; Darsteller: Luc Feit, Carsten Klemm, Germain Wagner, Petra Zwingmann.