Manche Kunstwerke funktionieren nur an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit oder mithilfe eines bestimmten Körpers, Instruments oder Mediums. Bevor es Geräte zur Tonaufzeichnung gab, galt das zum Beispiel für Musik: Sie konnte nur gehört werden, wenn jemand sang oder ein Instrument spielte. Nika Schmitts Klanginstallation umwandler hat sich einen Raum angeeignet, von dem sie nicht mehr zu trennen ist: den Großen Wasserspeicher im Prenzlauer Berg im Norden Berlins. Die Installation nimmt das ganze Gebäude ein, ohne dass man es auf den ersten Blick bemerken würde, und erfüllt es mit einer dichten, spannungsgeladenen Atmosphäre.
Der Große Wasserspeicher im Prenzlauer Berg konzentriert sich um einen Turm, der mitten in einem Rosengarten emporragt und um den Gänge aus fünf konzentrischen Kreisen verlaufen. Der äußerste Gang hat 100 Meter Umfang – das ergibt bis zu 20 Sekunden Hall. Wer den Wasserspeicher betritt, taucht hinter einem schwarzen Vorhang zunächst in diesen äußersten Kreis ein und gelangt in eine Welt, die beinah unterirdisch wirkt. Es gibt keine Fenster, nur lange, leere, dunkle Backsteingänge, die wie ein Schneckenhaus enger und enger werden. Der Eindruck, man befände sich in einem U-Bahn-Schacht oder in Katakomben unter der Stadt, wird durch die neonröhrenartige Lampen an den Wänden noch verstärkt. Und dann hört man das Wummern.
Denn obwohl die Flure radikal leer sind, füllt sie eine unglaubliche Präsenz. Ein langer Kupferkabelstrang zieht sich über die Wände der Gänge. Er verbindet vereinzelte, relativ kleine Lautsprecher, die einen einzelnen wiederholten Ton übertragen, der zu einem Wummern anschwillt, wie ein in der Ferne rauschendes Meer, heranrollender Wind, eine heranrasende U-Bahn. Immer lauter und präsenter wird das Geräusch, je näher man ins Herz der Klanginstallation vorstößt, verstärkt durch die Lautsprecher und den Hall der Gänge. In ihrem Inneren, im Turm, rotiert eine Art Turbine, eine Steinspule, die von drei motorisierten Lautsprechern umgeben ist, die sich um sich selbst drehen. Durch diese Bewegungen mithilfe von Strom und Magneten wird Sound erzeugt, der durch das Kupferkabel geleitet und impulshaft über die Lautsprecher wiedergegeben wird, bis der Ton durch die Gänge hallt – und immer markanter wird und die Leere des Wasserspeichers ganz auszufüllen scheint. Eine kleine blinkende Lampe an den Lautsprechern verrät, wo die Impulse gerade durchströmen, doch sie stehen in keinem Verhältnis zum Effekt der röhrenden Turmmaschine.
umwandler experimentiert mit der Funktionsweise einer Kupferspule: In Wicklungen von Kupferdraht um einen Kern entsteht ein magnetisches Feld, das Strom liefert. Es geht um Spannung, elektrische Impulse und Material, Verschleiß und Verlust. Die Sonifikation dieser Funktionsweise lässt die Besucher staunen, ob es die Kabel, die Lautsprecher oder auch die Gänge selbst sind, die diesen Sound erzeugen, der anschwillt und an Geschwindigkeit aufnimmt, zu Rauschen und Wummern wird, bis diese Flut wieder abklingt und sich zwischendurch sekundenlange Stille einstellt und die weite Leere der Gänge fühlbar macht. In diesem Minimalismus liegt die Stärke der Wirkung: Hier wird Strom in Sound umgewandelt – und erinnert so daran, dass Musik im Grunde reine Schwingung, Klänge reine Luftbewegung und Töne auch nur Spannung sind. Eine immersive Klanginstallation, die mit wenigen Mitteln eine überaus dichte Atmosphäre schafft und sich die labyrinthischen Gänge zu Nutze zu machen weiß.
Nika Schmitt hat an der Academy of Fine Arts and Design in Maastricht und an der Royal Academy in Den Haag studiert. Sie ist seit 2017 freischaffende Künstlerin und wurde mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. Sie arbeitet an der Schnittstelle von Mechanik, Klang und Physik. umwandler ist ihre erste Installation in Berlin und kann noch bis Sonntag, den 13. August, im Großen Wasserspeicher besucht werden.