Kommenden Mittwoch dürfte sich das Schnellgericht in Luxemburg nie dagewesener Beachtung erfreuen. Denn dann muss ein Richter darüber entscheiden, ob Aktiva im Wert von 1,6 Milliarden Dollar, die auf Konten der Clearstream eingefroren sind, aufgetaut werden oder nicht.
Die Sache ist delikat. Auf der einen Seite des Konflikts stehen 101 Familienmitglieder und Nachkommen von Opfern der Anschläge vom 11. September 2001. Auf der anderen Seite steht die Islamische Republik Iran. Dazwischen Luxemburg, das durch den Außenminister Jean Asselborn (LSAP) seit Jahren versucht, die Beziehungen zum Iran zu verbessern, und nun beiden Parteien die Gewaltentrennung erklären muss und, dass sich die Exekutive nicht in Entscheidungen der Judikative einzumischen hat. Da wäre auch noch Clearstream, Tochtergesellschaft der Deutschen Börse, die auf keinen Fall von den US-Behörden zu weiteren Bußgeldern verdonnert werden will, nachdem sie Anfang 2014 schon 152 Millionen Dollar wegen Verstößen gegen die amerikanischen Iran-Sanktionen bezahlt hatte. Den Rahmen für das Geschehen setzt das historische Abkommen über das iranische Atomprogramm, das am 16. Januar 2016 in Kraft gesetzt wurde.
Der Joint Comprehensive Plan of action (JCPOA) wie das Atomabkommen richtig heißt, sieht auf 159 Seiten vor, dass Iran verschiedene Anlagen und Zentrifugen aufgibt und den Bestand an angereichertem Uran auf maximal 300 Kilogramm beschränkt. Im Gegenzug werden die Wirtschaftssanktionen aufgehoben. Das Abkommen zählt einzelne Tanker und Flugzeuge auf, die bis Januar vergangenen Jahres von Sanktionen betroffen waren, erlaubt die Einfuhr von Perserteppichen, iranischen Pistazien und Kaviar in die USA. Es hebt aber an allererster Stelle die Einschränkungen für den Finanzverkehr und Bankgeschäfte auf, die auch die iranische Zentralbank, die Bank Markazi, betrafen und die bewirkt hatten, dass ihre Gelder bei Clearstream blockiert waren.
Am 16. Januar 2016 also hätten Wertpapiere und darauf entrichtete Zinsen, die Clearstream für die Bank Markazi verwahrte, eigentlich aufgetaut werden müssen, weil die Sanktionen endeten. Das machte den Weg für die amerikanischen Kläger frei, die von Iran Schadensersatz fordern. Davon gibt es eine Menge, denn US-Gerichte haben in den vergangenen Jahren vielen Angehörigen von Terroropfern Anspruch auf Entschädigung durch den Iran zugesichert. Je nach Quelle belaufen sich die Schätzungen auf zwischen 50 und 60 Milliarden Dollar.
Am 14. Januar nutzten die Anwälte der amerikanischen Familien der 9/11-Opfer, die sich in der Klage Havlish, et al vs Osama Bin Laden, Iran, et al zusammengeschlossen haben, Artikel 693 des Luxemburger Zivilgesetzbuchs. Der besagt: „Tout créancier peut, en vertu de titres authentiques ou privés, saisir-arrêter entre les mains d᾿un tiers les sommes et effets appartenant à son débiteur, ou s᾿opposer à leur remise.“ Sie schickten den Gerichtsvollzieher bei Clearstream am Boulevard Kennedy vorbei und ließen die Gelder provisorisch beschlagnahmen. So verhinderten sie, dass Bank Markazi die Konten nach Aufhebung der Sanktionen räumen konnte. Dazu legten die amerikanischen Gerichtsurteile vor, die ihnen Schadensersatz in Milliardenhöhe versprechen.
So laufen derzeit eigentlich drei Verfahren vor den Luxemburger Gerichten. Einerseits muss die vorläufige Beschlagnahmung der iranischen Gelder von einem Gericht bestätigt werden, damit die amerikanischen Familien darauf Anspruch erheben können. Dafür müssen allerdings die von ihnen vorgelegten US-Urteile durch ein Exequatur-Verfahren in rechtskräftige Luxemburger Urteile verwandelt werden. Um diesen Prozess zu stoppen, hat Bank Markazi vor dem Schnellgericht ein Verfahren eingeleitet, um zu belegen, dass er illegal ist. Das ist die Entscheidung, die am kommenden Mittwoch fällt.
Das Verfahren vor dem Schnellgericht hat Bank Markazi, wenn man so will, auf Anraten von Jean Asselborn angestrengt. Bei seiner letzten Visite im Februar, als Iran und Luxemburg ein bilaterales Abkommen über die Förderung und den Schutz von Investitionen unterzeichneten, waren die Milliarden auf den Clearstream-Konten großes Thema. Und auch schon bei den Visiten davor, wie Asselborn einräumt. Nach Asselborns Visiten berichteten iranische Medien immer wieder davon, die iranischen Vertreter hätten über das Bankwesen und den Ausbau der Beziehungen gesprochen. Im Februar sprachen Asselborn sowohl der Staatspräsident Hassan Rohani, als auch der Aussenminister, Javad Zarif, darauf an. Er habe immer erklärt, dies sei eine Angelegenheit, die durch die Justiz geklärt werden müsse, so Asselborn gegenüber dem Land.
All das geschah mehr oder weniger hinter den Kulissen, bis der Brief, den die Anwälte der Familien der Terroropfer an Staatsminister Xavier Bettel schickten, vergangene Woche in den Medien auftauchte. Darin bitten Lee Wolosky und Micheal J. Gottlieb, hochrangige ehemalige Mitarbeiter der Obama-Administration, Bettel um ein Eingreifen: „We are well aware of your government’s rapprochement with Iran in the months after the implementation of the JCPOA. However we would urge you to take all appropriate steps in the courts and through applicable executive action to ensure that valid US judgments held by victims of terrorism are enforced by Luxembourg. I would ask that we have the opportunity to meet with you or your representative in person some time prior to March 15 to discuss how your government may provide such assistance.” Das Treffen fand nicht statt, obwohl Wolosky und Gottlieb Bettel an anderer Stelle sagten: „we can assure you that these matters are of great importance to the United States.“ Bettel sagte dem Land am Montagabend, er habe die Botschafterin in Washington, Sylvie Lucas, angewiesen, Wolosky und Gottlieb höflich darauf hinzuweisen, die Regierung könne sich nicht in ein laufendes Gerichtsverfahren einmischen. Die US-Botschaft hat sich Bettels Angaben zufolge nicht zum Thema geäußert. Sie ist derzeit ohne Botschafter und nicht operationell.
Im Iran sorgt der aktuelle Streit vor den Luxemburger Gerichten für Kritik am Vorgängerregime von Mahmoud Ahmadinejad. Die englischsprachige Financial Tribune zitierte am 9. März, Wirtschafts- und Finanzminister Ali Tayyebnia: „We hope the Luxembourgian Court will rule in Iran’s favor and we expect nothing else.” In dem Artikel erklärt Tayyebnia auch, Clearstream habe die Zentralbank bereits im November 2007 gewarnt, die Aktiva könnten nicht sicher aufbewahrt werden. Daraufhin seien Wertpapiere für 220 Millionen verkauft worden. „Tayyebnia added that the country, then led by president Mahmoud Ahmadinejad, had ‚a window of about sixth months’ until June 16, 2008, to transfer these bonds, but failed to do so beyond the aforementioned sum because ‚market conditions were not agreeable’“, so die Financial Tribune weiter.
In einem anderen Fall, in den Clearstream ebenfalls als Dienstleister der Markazi Bank verwickelt war, ist Iran bis vor den Internationalen Gerichtshof gezogen. Die Parteien haben bis zum Oktober Zeit, ihr Argumente schriftlich vorzulegen. Dabei geht es um die Hinterbliebenen der US-Soldaten, die 1983 bei einem Anschlag auf einen US-Kaserne im Libanon ums Leben kamen. Deborah D. Peterson et al hatten ebenfalls Schadensersatz in Milliardenhöhe zugesprochen bekommen. Die Kläger ließen 2008 ein Konto von Clearstream bei der Citibank in New York sperren, auf das Zahlungen auf Wertpapieren der italienischen Bank UBAE eingingen, bei der Markazi Kunde war. 2010 zogen Peterson et al gegen die Banken vor Gericht. Noch während der Fall anhängig war, unterschrieb Präsident Barrack Obama eine Anordnung, die den Transfer von Geldern der Bank Markazi untersagte. Senat und Repräsentantenhaus stimmten zudem 2012 den Iran Threat Reduction and Syria Human Rights Act, in dem der Fall von Deborah Peterson ausdrücklich erwähnt wird, und der ihr und ihren Mitklägern die Ausführung ihrer Schadenansprüche zusagte. Im April 2016 entschied der Oberste US-Gerichtshof darüber, ob der Kongress mit einem solchen Gesetz nach Maß den Ausgang eines Gerichtsverfahrens vorbestimmen dürfte. Sie fanden: Ja. Daraufhin zog der Iran vor den Gerichtshof in Den Haag. Während sich Clearstream, UBAE und Citibank mit den Klägern einigten, legte Bank Markazi Revision gegen die Ausführung ein. Doch dem letzten Bericht des Verwalters zufolge sind inzwischen 1,1 Milliarden Dollar aus dem eingerichteten Entschädigungsfonds ausgezahlt.
Darüber hinaus interessierte sich die New Yorker Staatsanwaltschaft immer noch für die Geschäftsbeziehung zwischen Clearstream und der iranischen Zentralbank. Nur Wochen nachdem Clearstream Anfang 2014 das Millionenbußgeld zahlte, eröffnete der Bundesanwalt des Southern District of New York, Preet Bharara, eine strafrechtliche Untersuchung. Am 21. Fabruar meldete Bloomberg, er stehe kurz vor der Entscheidung, Anklage zu erheben oder nicht. Dazu ist er nicht gekommen. Denn vergangenen Samstag wurde er von US-Präsidenten Donald Trump gefeuert.
Sollten die Iraner am Mittwoch nicht Recht bekommen und Clearstream demnächst noch einmal Bußgelder wegen seiner Dienstleistungen für die iranische Zentralbank zahlen müssen, hätte das Signalwirkung auf mehreren Ebenen. Erstens, dass auf dem Finanzplatz Luxemburg der Kundenbesitz nicht vor dem Zugriff von US-Klägern sicher ist. Zweitens, dass Geschäfte mit iranischen Partnern für Geldhäuser trotz aufgehobener Sanktionen weiterhin Risiken bergen. Ob das irgendwann dazu führt, dass die Finanzsanktionen, obwohl aufgehoben, de facto weiter in Kraft sind? Dabei ist die Balance ohnehin schon recht prekär, da Trump das Abkommen als „terrible“ bezeichnet hat und Anfang Februar neue Sanktionen gegen verschiedene Firmen und Personen verhängte, nachdem Iran im Januar Raketentests durchgeführt hatte.