„Das Leitungsorgan eines Kreditinstituts sollte geeignet sein, seine Aufgaben wahrzunehmen, und es sollte so zusammengesetzt sein, dass es zur wirksamen Leitung des Kreditinstituts und zu einer ausgewogenen Beschlussfassung beitragen kann. Dies wirkt sich nicht nur auf die Sicherheit und Solidität des jeweiligen Instituts selbst aus, sondern auch auf den Bankensektor insgesamt, denn es stärkt das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit in jene Personen, die für die Leitung des Finanzsektors im Euroraum verantwortlich sind.“ So heißt es im Vorwort zum Leitfadenentwurf zur Beurteilung der fachlichen Qualifikation und persönlichen Zuverlässigkeit der Mitglieder in Bankenführungsgremien, den die Europäische Zentralbank (EZB), zehn Tage nachdem Henri Grethen seine Kandidatur für den Vorsitz der Spuerkeess (BCEE) zurückzog, veröffentlichte.
Dass sich Grethen zurückzog, um nicht abgelehnt zu werden, ist nicht nur für ihn „erniedrigend“, wie er die Erfahrung in Frankfurt beschreibt. Es ist nicht nur peinlich für Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) und die Abgeordnete Tess Burton (LSAP) deren Beförderung ausfällt, weil Grethen am Europäischen Rechnungshof bleibt. Sondern auch für die BCEE, die stolz darauf ist, zu den sichersten Banken der Welt zu gehören, für den DP-Staats- und den DP-Finanzminister, die Grethen ins Rennen geschickt hatten, und für die nationale Finanzaufsicht CSSF.
Denn abgesehen davon, dass die Regierungsumbildung ausfällt, sind die gescheiterten Bemühungen, den Verwaltungsrat der BCEE neu zu besetzen, nicht dazu geneigt, „das Vertrauen der breiten Öffentlichkeit zu stärken“. Und nach Grethens Rückzug stellt sich die Frage, wer in Luxemburg die Anforderungen der EZB an den Präsidenten einer „bedeutenden“ Bank, wie sie die BCEE nach den Regeln der europäischen Bankenunion ist, überhaupt erfüllen kann – wenn er oder sie bereit wäre, das Mandat anzunehmen. Die Liste der möglichen Kandidaten riskiert, relativ kurz auszufallen.
Die BCEE selbst hüllt sich in ihr gewohntes Schweigen und ignoriert Fragen zu diesem Thema genauso wie die zu anderen. Vic Rod, dessen Mandat als BCEE-Verwaltungsratspräsident ohnehin noch bis 2019 läuft, sagt: „Wir haben einen Verwaltungsrat, und der funktioniert. Punkt!“ Für ihn ist die Lage wohl unangenehm, da es bei seiner Mandatserneuerung 2014 ein wenig Diskussionen um theoretische Interessenkonflikte gab, die in den Jahrzehnten zuvor niemanden interessiert hatten, weil die Sparkasse Teilhaber der Versicherung La Lux ist, und Vic Rod als damaliger Direktor des Versicherungskommissariats für deren Aufsicht zuständig war. Dann wurde sein BCEE-Mandat doch verlängert, er ging beim Kommissariat in Rente. Die DP suchte Ersatz für Rod, der für die CSV im Staatsrat gewesen war. Nun muss er bleiben, weil sich so leicht kein Ersatz finden lässt.
Dass sich die DP-Minister deutlich mehr für etwaige Interessenkonflikte vermeintlich oder tatsächlich CSV-naher Leute interessieren als für die von DP-Mitgliedern, zeigt sich daran, dass sich Staatsminister Xavier Bettel mit DP- und BGL-Direktionsmitglied Kik Schneider bereits Anfang des Jahres darüber unterhalten hatte, ob er nicht Präsident der Konkurrenzbank BCEE werden wolle. Zu früheren Gesprächen will sich Schneider nicht gern äußern. „Nach der Affäre Henri Grethen wurde ich nicht gefragt“, hebt er hervor.
Bei der CSSF will man nach der „Affäre Henri Grethen“ nicht einmal mehr erklären, was die „Fit and Proper“-Regeln, wie die Eignungsprüfung im Jargon heißt, vorsehen. Für die nationale Finanzaufsicht ist die Sache heikel, weil sie einen Kandidaten zum Test nach Frankfurt durchgelassen hat, der, wenn er nicht geradeheraus abgelehnt, dort aber auch nicht akzeptiert wurde – was die Fähigkeit der CSSF, Kandidaten zu bewerten, in Zweifel zieht.
Dass es soweit gekommen ist, liegt hauptsächlich daran, dass die Beteiligten nicht verstanden hatten, dass ein Posten wie das BCEE-Präsidentenamt nicht mehr politisch zu besetzen ist, beziehungsweise nicht länger als Dankschön an politische Weggefährten oder Ziehväter und -mütter verschenkt werden kann, seit die EZB für ihre Aufsicht zuständig ist. Zumindest, wenn die Beschenkten nichts vom Bankgeschäft kennen.
Dass Grethen, der als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs über die korrekte Ausführung des EU-Haushalts wacht, nach seinem Interview in Frankfurt ein „schlechtes Gefühl“ hatte, wie er dem Wort sagte, ist einerseits auf mangelnde Vorbereitung zurückzuführen, und andererseits darauf, dass er die Fragen seiner Prüfer als Affront empfand und sie das spüren ließ. Dass der Rechnungshof parallel an einem Prüfungsbericht über die EZB-Bankenaufsicht arbeitete, half kaum. Der Rechnungshof stritt sich deshalb mit der EZB um den Zugang zu Unterlagen. Und unterstellte ihr in dem damals vorliegenden Entwurf ein paar Probleme bei der Trennung ihrer beiden Mandate – Geldpolitik einerseits und Bankenaufsicht andererseits – und, dass ihr außerdem Personal fehle, um alle ihre Aufsichtsaufgaben korrekt zu erfüllen. Nach diesem Bericht wurde Grethen, der, eigener Aussage nach an dessen Ausarbeitung nicht beteiligt war, im Interview gefragt.
Schon im Vorfeld des Besuchs in Frankfurt hatte es überdies Fragen zu seiner, in der Interessenserklärung am Rechnungshof wenig ausführlichen beschriebenen Beteiligung an der Gesellschaft Consilium SA gegeben. Und beim Ausfüllen der Formulare mit der BCEE-Leitung berechnete Grethen plus minus, wie viel Zeit die Ausführung des Mandats in Anspruch nehmen werde. Ausführlich gebrieft wurde er von der Direktion nicht – die BCEE habe ja selbst keine Erfahrung mit der Prozedur gehabt, erklärt Grethen. Weil der aktuelle Verwaltungsrat im Amt war, bevor die EZB im November 2014 die Bankenaufsicht übernahm, musste er gemäß den Übergangsbestimmungen keinen Eignungstest bestehen.
Doch dass ein Briefing notwendig gewesen wäre, zeigt sich an den dicken Ordnern, die Frank Wagener büffelte, bevor er nach Frankfurt ins Interview ging, um seine Zulassung als Bil-Verwaltungsratsmitglied mit Zuständigkeit für die Risikoverwaltung einzuholen. Es war ein langes intensives Interview, bei dem es einerseits ins Detail der Bil-Risiken ging, und andererseits darum, zu klären, ob er sich im Verwaltungsrat durchsetzen könne, wenn das notwendig werde. Doch Wagener bewarb sich, wie seine Kollegen François Pauly und Etienne Reuter, die sich gleichzeitig der Prüfung unterzogen, nicht als Außenstehender um einen Verwaltungsratsposten. Er hat seine Karriere bei der Bil absolviert, war CEO, dann Präsident und wurde als solcher schon regelmäßig von der Firmenleitung gebrieft. Zur Vorbereitung für die Fahrt nach Frankfurt wurden mögliche Gesprächsthemen noch einmal besonders abgehandelt. Er kennt die Bank „aus dem Effeff“, wie er sagt. Und das taten auch seine Gegenüber. Die detaillierten Informationen, die dort besprochen wurden, konnte Wagener allerdings nur kennen, weil er bereits in der Bank war. Sie einem Außenstehenden zu geben, hätte einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitsauflagen der Bank bedeutet.
Als die Prüfer Grethen fragten, wie er das Risikomanagement der BCEE bewerte, hat er eigener Aussage nach geantwortet, das stehe ja nicht in der Zeitung und dazu könne er sich erst äußern, wenn er Präsident wäre. Auf Fragen nach seiner Ausbildung reagierte er mit der Gegenfrage, ob eine vor 40 Jahren erworbene Ausbildung noch viel wert sei. Auf die Frage, wie er die Zusammensetzung des BCEE-Verwaltungsrats sehe, dem unter anderem auch Jean-Claude Reding, Präsident der Lohnabhängigenkammer, angehört, antwortete er, es stehe ihm nicht zu, ein Urteil zu fällen. Als sie ihn fragten, warum er den Posten wolle, ob er sich das zutraue, ob er unabhängig sei, und das mit Beispielen belegen könne, wollte er aufstehen und gehen.
So gesehen, fiel Grethen in wirklich allen Kategorien durch, die der EZB in der Fit-and-Proper-Prozedur wichtig sind. Ihm fehlt die Erfahrung im Bankengeschäft, war sich nicht bewusst, wie viel Zeit er für das Amt investieren muss, er versäumte zu sagen, dass die Firmen, in denen er Beteiligungen hält, keine wichtigen Geschäftsbeziehungen mit der BCEE pflegen, welche Kompetenzen seiner Ansicht nach im Verwaltungsrat gebraucht werden, und er demonstrierte, dass er schnell aufbraust.
Denn die fünf Kriterien für die Auswahl, die auf EU-Richtlinien beruhen, die Basel-Regeln auf EU-Ebene einführen, und die von den Mitgliedstaaten auf unterschiedliche Art auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, sind folgende: Kompetenz und Erfahrung, ein guter Leumund, keine Interessenkonflikte, die notwendige Zeit zur Amtsausführung sowie die kollektive Eignung des Verwaltungsrats.
Die Liste der geeigneten und willigen Kandidaten ist nicht nur deshalb schon ziemlich kurz, weil auf den 20 000 Euro Entschädigung, die es für die Arbeit gibt, 20 Prozent Quellensteuer, 17 Prozent Mehrwert- und sehr wahrscheinlich der Spitzensteuersatz anfallen, so dass keine 5 000 Euro jährlich übrig bleiben. Welcher unabhängige Präsidentenkandidat sollte dafür die Haftungsrisikien auf sich nehmen, die mit dem Amt verbunden sind? Zumal er oder sie laut Eigenkapitalrichtlinie, wegen des Zeitaufwands neben dem Mandat bei einer bedeutenden Bank, nur kleine Mandate oder solche innerhalb der gleichen Bankgruppe übernehmen dürfen.
Darüber hinaus steigen die Anforderungen an die Kandidaten eher, als dass sie zurückgeschraubt werden. Zumindest wenn der vor zwei Wochen vorgestellte Leitfaden der EZB tatsächlich angenommen wird. Demnach soll der Präsident einer bedeutenden Bank „zehn Jahre einschlägige praktische Erfahrung aus jüngster Vergangenheit“ haben. „Dabei sollte ein wesentlicher Anteil auf Positionen in der oberen Führungsebene entfallen, einschließlich theoretischer Erfahrung im Bankgeschäft oder einem vergleichbaren relevanten Gebiet.“ Zur Vermeidung von Interessenkonflikten darf der Kandidat „privat oder durch ein Unternehmen“ keine „Geschäfte mit dem beaufsichtigten Unternehmen, der Muttergesellschaft oder Tochtergesellschaften betreiben“, er oder sie und nahestehende Personen dürfen „aktuell oder in den letzten zwei Jahren“ nicht „gleichzeitig eine Management- oder leitende Position in dem beaufsichtigten Unternehmen, einem Konkurrenzunternehmen, in der Muttergesellschaft oder in den Tochtergesellschaften innehaben“ und im gleichen Zeitraum keinen „hohen politischen Einfluss“, beispielsweise in der Regierung, auf Lokal- oder Regionalebene gehabt haben, auch nicht als Beschäftigter im öffentlichen Dienst „(z.B. Anstellung in einem Ministerium)“ oder als „Repräsentant des Staates“.
Wenn man diese Kriterien berücksichtigt, man also Beamte, wie beispielsweise die früheren CSSF-Direktoren Jean Guill oder Andrée Billon, ausschließt, fällt man auf keine Handvoll Bankiers zurück, die zeitnahe Erfahrung, aber eine Abkühlzeit von zwei Jahren hinter sich haben, darunter Bill Contzen, ehemaliger Deutsche-Bank-Vorstand und ABBL-Präsident. Sie müssten alle andere Mandate aufgeben.
Angesichts dieser Faktenlage verwundert es nicht, dass in den Regierungskreisen, in denen nach Kandidaten zur Neubesetzung des obersten Aufsichtspostens der marktführenden Staatsbank gesucht wurde, nun keine Eile mehr herrscht. Wenn Vic Rod sein Mandat beendet, würde zwar eine andere Regierung seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin nominieren. Aber bis dahin sind vielleicht ein paar andere Bankiers ausreichend abgekühlt, um die Eignungstests zu bestehen...