„Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, freut sich Marc Hengen, geschäftsführender Vorstand des Versicherverbands Aca, über die neuen Regeln zu Altersvorsorgeverträgen, die die Steuerreform Anfang Januar in Kraft setzen soll. Die Änderungen sind tatsächlich bemerkenswert. Zum Beispiel gilt bisher, dass man sich das über einen mit einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag angesparte Kapital plus Zinsen und Gewinnbeteiligung höchstens zur Hälfte auszahlen lassen kann. Der Rest wird in eine monatliche Rente umgewandelt. Künftig soll der Kunde entscheiden können, inwiefern er überhaupt eine Rente will, und sich auch das gesamte Kapital auf einmal auszahlen lassen können.
Diese Freiheit zu haben, wird Marc Hengen zufolge zunehmend nachgefragt: „Die Kunden sagen, ich will mich organisieren können mit meiner Altersvorsorge, und sie meinen damit oft die Auszahlung des Kapitals auf einmal.“
Im Umkehrschluss heißt das: Als Rentenversicherung sind die Altersvorsorgeverträge, die seit der Steuerreform von 1990 auch auf der Steuererklärung geltend gemacht werden können, offenbar nicht übermäßig attraktiv. Bei der Aca sagt man das zwar nicht so deutlich, räumt aber ein, dass die Finanzmärkte „schon seit Jahren“ keine großen Erlöse zu erzielen erlauben. Für Altersvorsorgeverträge mit garantiertem Erlös liege der Jahressatz, je nach Versicherer, bei um die 0,5 Prozent jährlich. Das vom Commissariat aux assurances festgelegte Maximum beträgt im Moment 0,75 Prozent.
Dennoch wachse die Zahl der Altersvorsorgeverträge, sagt Marc Hengen. „Wer Langfrist-Sicherheit sucht, findet sie im Langzeitsparen per Altersvorsorgevertrag. Das wird auch durch die derzeit niedrigen Zinsen und Gewinnbeteiligungen nicht geschmälert.“
Ein Blick in das 2015 vom Wirtschafts- und Sozialrat erstellte Steuer-Kompendium zeigt, dass diese Verträge womöglich in erster Linie als Instrument zur Optimierung der Steuererklärung gefragt sind: Für das Steuerjahr 2012 hatten laut Steuerverwaltung 33 967 Steuerpflichtige auf ihrer Steuererklärung Sonderausgaben von insgesamt 77,41 Millio-nen Euro für einen Contrat de prévoyance-vieillesse angegeben. Im Schnitt waren das 2 279 Euro pro Steuerpflichtigem, 190 Euro Kapitalsparbetrag pro Monat. Das liegt auffällig in dem Bereich, der seit der Steuerreform von 2002 steuerlich absetzbar ist: Unter 40-Jährige können seitdem bis zu 1 500 Euro Jahresbeitrag für einen Altersvorsorgevertrag auf der Steuererklärung geltend machen. Für 40- bis 44-Jährige liegt das Maximum bei 1 750 Euro und steigt dann in Fünf-Jahres-Intervallen bis auf 2 600 Euro für 50- bis 54-Jährige. Für 55 bis 74 Jahre alte Steuerzahler beläuft der absetzbare Betrag sich auf 3 200 Euro.
Das Maximum von 3 200 Euro soll ab 1. Januar für sämtliche Altersvorsorgeverträge ganz unabhängig vom Alter des Steuerzahlers gelten. Dadurch sollen, wie die Regierung im Motivenbericht zum Steuerreformentwurf festhält, „junge Erwachsene angeregt“ werden, „so früh wie möglich in ihrem aktiven Leben ein Altersvorsorgekapital zu bilden und einen solchen Vertrag abzuschließen“.
Dass diese Maßnahme, ebenso wie etwa auch die bessere Absatzbarkeit von Bausparverträgen, vor allem jenen zugute kommen soll, die „in der Rush hour des Lebens stehen“, hatte Premier Xavier Bettel schon Ende Februar angedeutet, als er mit Finanzminister Pierre Gramegna die Grundzüge der Steuerreform vorstellte. Die Salariatskammer hat für ihre Stellungnahme zum Reformentwurf ausgerechnet, wie hoch der jährliche Steuergewinn ausfällt gegenüber dem hypothetischen Fall, dass die aktuell geltenden Maxima beibehalten, ihre Höhe aber an die Inflationsentwicklung angepasst würde, was seit 2002 nicht der Fall war: Unter 40-Jährige kämen durch das 3 200-Euro-Maximum um jährlich 1 248 Euro besser weg als bei einer Inflationsanpassung der aktuellen Höchstsätze, 40- bis 44-Jährige um 922 Euro und 45- bis 49 -Jährige um 467 Euro. Dagegen gewännen alle ab 50-Jährigen nichts.
Weil es unwahrscheinlich ist, dass auch junge Mindestlohnbezieher, die in der Rush hour des Lebens stehen, in einen Altersvorsorgevertrag investieren, beklagt die Salariatskammer, dass die Regierung der steuerlich begünstigten kapitalgedeckten Altersvorsorge bei Versicherern und Banken den Vorzug gibt gegenüber der Einrichtung einer „öffentlichen Zusatzrentenanstalt“. Die Möglichkeit zumindest zu prüfen, hatte die CSV-LSAP-Regierung 2012 den Gewerkschaften versprochen und sich unter anderem damit deren Zustimmung zur Pensionsreform ausgehandelt. Im Wahlkampf 2013 aber wollte nur die LSAP von der öffentlichen Zusatzrente etwas wissen. Die nun geplante Begünstigung der Altersvorsorge bei Privatversicherern und Banken geht eher auf die Linie der DP zurück, deren Spitzenkandidat Xavier Bettel sich 2013 dafür aussprach, die Leute „in die Verantwortung [zu] nehmen: selber vorsorgen, privat Beiträge entrichten“ (d’Land, 18.10.2013).
Treten die Regeln zur Altersvorsorge in Kraft, wie im Steuerreformentwurf vorgesehen, bliebe es dabei, dass das Kapital, in welcher Kombination auch immer, dem Sparer frühestens mit Erreichen des 60. Lebensjahrs und spätestens mit 75 ausgezahlt werden kann. Wer das gesamte Angesparte plus Zinsen und Gewinnbeteiligung auf einen Schlag haben will, sollte bedenken, dass diese Einnahme einkommensteuerpflichtig zum halben Steuersatz wird – sofern eine spätere Steuerreform nicht etwas anderes verfügt.
Wer bereits über einen Altersvorsorgevertrag verfügt, sollte sich mit seiner Bank beziehungsweise seinem Versicherer in Verbindung setzen: Aca-Vorstand Marc Hengen weist darauf hin, dass die Gesetzesänderung laufende Verträge nicht automatisch ändert. „Ich meine, dass Versicherer und Banken den Kunden Vertragsänderungen anbieten werden.“ Welche das genau sind, werde aber von Fall zu Fall entschieden.