Das Centre médico-dentaire de Luxembourg hat seinen Sitz im Stater Bahnhofsviertel. Gleich nach dem Eingang trägt eine Tür die Aufschrift „Gérante“, dort hat Nathalie Déhé ihr Büro. Nein, Geschäftsführerin des Zahnarztzentrums sei sie nicht. Sondern der Immobiliengesellschaft Sarmalux SA. Die vermietet an Zahnärzt/innen komplett ausgestattete Behandlungsräume. Assistent/innen und Sekretariat sind im Mietpreis ebenfalls enthalten. Draußen am Eingang informiert ein Schild, dass 15 Ärzt/innen hier tätig sind. Den Namen nach zu urteilen, kommen die meisten aus Rumänien und Portugal. Jaja, sagt Déhé, hier werde eine enorme Sprachenvielfalt geboten. Die Patient/innen wüssten das zu schätzen. Die Öffnungszeiten auch: sieben Tage die Woche, wochentags von 9 bis 20 Uhr, an Wochenenden bis 17 Uhr. Auf dem Kirchberg unterhält Sarmalux noch ein Zentrum. Es ist kleiner und hat sonntags zu. Wieviel Miete von den Ärzt/innen genommen wird? „Tut mir leid, das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ein in der Hauptstadt praktizierender etablierter Zahnarzt sagt, „diese großen Zentren arbeiten nicht ethisch“. Es würden unnötige Behandlungen vorgenommen, den Patient/innen das Geld aus der Tasche gezogen, weil die Dentist/innen viel Miete zu zahlen hätten. Der Ärzteverband AMMD, findet er, „müsste etwas dagegen unternehmen“. Müsste er das? AMMD-Präsident Alain Schmit hatte um Ostern 2022 im Wort geklagt, es gebe „mittlerweile zu viele Zahnärzte“, und „es wäre besser, ihre Zahl zu begrenzen“. Wie der Präsident der Association des médecins-dentistes die Lage und den Handlungsbedarf einschätzt, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Carlo Ahlborn lässt eine Anfrage des Land unbeantwortet.
Den Patient/innen das Geld aus der Tasche zu ziehen, wäre mindestens ein Verstoß gegen den Code de déontologie, in dem steht: „La médecine ne doit pas être pratiquée comme un commerce.“ Dr. A.* ist Mieter in dem Garer und in dem Kirchberger Zentrum von Sarmalux. Er sagt: „Ich berechne stets die geltenden Tarife.“ Den Zuschlag CP8, der aufgeschrieben werden kann, wenn für eine Behandlung kein Tarif existiert oder spezielle Materialien nötig sind, wende er an. „Aber ich glaube, meine Preise liegen im Luxemburger Durchschnitt.“ Nimmt er eine Behandlung vor, für die ein Tarif per Kostenvoranschlag überschritten werden darf, diskutiere er ihn mit dem Patienten. „Eigentlich mag ich das nicht, es führt weg von der Medizin.“ Doch so sei das nun mal. „Wir leben im Kapitalismus.“ Die Frage nach der Miete gefällt Dr. A. nicht. „Wieso wollen Sie das wissen? Das ist doch egal!“ Nach Hinweis auf den Kapitalismus und dass sein Vermieter gewinnorientiert sein dürfte, sagt er über den Mietpreis, „es geht“. Und fügt an, er sei sich nicht sicher, ob ein Zahnarzt, der Behandlungsraum mit Ausrüstung sowie Assistenz und Sekretariat im Paket mietet, unter mehr Kostendruck steht als ein Kollege, der sich eine eigene Praxis aufbaut. „Der muss vielleicht einen teuren Kredit bedienen und schreibt deshalb viel CP8 auf.“ Letzten Endes, meint A., hänge alles vom Arzt ab. Er selber ziehe das Praktizieren zur Miete einem eigenen cabinet vor.
Die Centres médico-dentaires kamen in den letzten fünf bis sechs Jahren auf. Sie trugen zur Explosion der Zahl der Dentist/innen bei, die hierzulande ihren Beruf ausüben dürfen. 810 sind auf der vom Collège médical geführten Liste eingetragen. „Früher waren es um die 500“, sagt Collège-Präsident Pit Buchler. Im November hatte der Collège, das Selbstkontrollorgan für den Arztberuf, eine „évolution malsaine“ in der Zahnmedizin festgestellt, „une croissance démesurée de cabinets dentaires, voire de centres dentaires, gérés par des sociétés commerciales douteuses, se vantant d’offrir des soins à toute heure, profitant des réseaux sociaux pour diffuser une publicité hors limites de la déontologie médicale pour développer une activité dépassant souvent l’utile et le nécessaire“.
Harte Worte. Im Gespräch mit dem Land muss Buchler einräumen, „es ist nicht verboten, wenn eine Gesellschaft, die ein Nicht-Dentist führt, Räume und Ausrüstung zur Verfügung stellt und dafür eine Art Mietvertrag abschließt“. Auch die Vermietung pro Stunde sei nicht verboten. Den letzten Vertrag dieser Art, den er gesehen habe, sah 120 Euro pro Stunde vor. Zu sagen, das führe zu Kommerz, sei nicht leicht. In Luxemburg zu arbeiten, sei für Zahnärzt/innen offenbar attraktiv. „Jeden Mittwoch gehen wir die Anträge auf Neuzulassungen durch. Da sind immer an die zehn von Zahnärzten dabei.“ Viele kämen aus Rumänien und Portugal. Die Zulassung zu erhalten, sei zumindest für Ärzt/innen aus der EU nicht schwer. „Man reicht seine Zeugnisse ein, zahlt 55 Euro Taxe, und dann kommt die Zulassung.“
Was erlaubt ist, weil nicht verboten, hat eine breite Grauzone entstehen lassen. Pit Buchler stört, wenn Zahnärzt/innen nur einmal die Woche in einem Zentrum arbeiten. Das lasse sich aber kaum kontrollieren. Etwas unternehmen kann der Collège, wenn Honorarabrechnungen kein Arzt ausstellt, sondern ein Manager. Das sei aber schwer nachzuweisen. Buchler weiß von Zentren, in denen an Patienten mit akuten Schmerzen „die ganze Nacht“ gearbeitet wurde: „ein absolut kommerzieller Ansatz“. So etwas aufzuspüren, sei schwierig. Es gebe Verstöße gegen die Gebührenordnung, zum Teil massive, und bei einer Behandlung mit Kostenvoranschlag werde in den Zentren „systematisch“ nicht abgewartet, dass die CNS dem Kostenvoranschlag zustimmt.
Von „Grauzone“ spricht auch Jean-Claude Schmit, der Direktor des Gesundheitsamts. Dessen Beamte können unangemeldete Kontrollen vornehmen. „Uns interessiert aber nicht, ob ein Arzt Mieter ist.“ Sondern, ob die Hygieneregeln eingehalten werden und alle nötigen Genehmigungen vorliegen. In der Zahnmedizin vor allem die zum Strahlenschutz für Röntgenapparate. „Die Qualität der Behandlungen interessiert uns auch, für die ist der Arzt verantwortlich.“ Einem Verdacht auf Behandlungsfehler werde nachgegangen, doch die seien „extrem selten“. Pro Jahr gebe es einen oder zwei Fälle, die wirklich problematisch sind. „Genauso, wie unter den klassischen Zahnärzten welche sind, die schlecht arbeiten, gibt es an den großen Zentren sehr gute Ärzte.“ Die Einhaltung der Tarifbestimmungen sei wiederum eine andere Frage. „Sie betrifft in erster Linie die CNS.“
Ginge es nach dem Präsidenten des Collège médical, müsste die CNS „mehr kontrollieren“. Die wiederum erklärt, sie tue das. „Zahnarztabrechnungen werden systematisch überprüft, bei Auffälligkeiten wirde der Service abus et fraude eingeschaltet“, teilt die CNS dem Land mit. Wie häufig und umfangreich die Auffälligkeiten sind, erläutert sie nicht.
Die Grauzone, die Luxemburg attraktiv macht, hat einen politischen Aspekt. Die Zahl von Ärzt/innen zu beschränken, ist unmöglich wegen der automatischen und obligatorischen Konventionierung mit der CNS. Sie aufzuheben oder auch nur zu lockern, würde in eine Zwei-Klassen-Medizin führen. Nicht mal CSV und DP mit ihrer erklärten Sympathie für „Privatinitiative“ wollen das. Andererseits bestehen in der Zahnmedizin längst zwei Klassen: Die Gebührenordnung der Dentist/innen ist besonders lückenhaft, die CNS erstattet nur das Nötigste. CNS-Schätzungen nach zahlen die Patient/innen 60 Prozent zu den Zahnbehandlungskosten zu. Sei es über den CP8, den nur Zahnärzt/innen berechnen dürfen, oder für Behandlungen mit Kostenvoranschlag. Ohne Zusatzversicherung ist das schwer auszuhalten.
Die Kassen-Zahnmedizin neu auszurichten, müsste an die besonderen Freiheiten des Berufs rühren. Das ist schwierig. Legendär ist, wie der Präsident der CNS-Vorläuferin Union des caisses de maladie vor 20 Jahren von einem Schweizer Experten eine ganz neue Dentisten-Gebührenordnung schreiben ließ, der Zahnärzteverband aber jede Diskussion darüber ablehnte. Weil das der Tarifautonomie unterliegt, verschwand das neue Tarifwerk in einer Schublade. Derweil wird die Zahnmedizin generell „immer kommerzieller“, wie der Präsident des Collège médical beobachtet. Ästhetik spiele eine zunehmende Rolle, für deren Kosten der Patient aus eigener Tasche zahlt, oder vielleicht eine Privatversicherung. Wie auch für biologisch-integrative Zahnmedizin, die in Luxemburg ebenfalls angeboten wird.
Dass vor so einem Hintergrund die Praxen-Vermietung eine interessante Geschäftsidee ist, überrascht nicht. Acht große Zentren gebe es mittlerweile, sagt Pit Buchler. Die Immobiliengesellschaft Sarmalux jedenfalls scheint an den Vermietungen nicht schlecht zu verdienen. 2018 gegründet, hatte sie schon 2020 den ersten Nettogewinn von 39 000 Euro in der Bilanz stehen. 2021, so die letzte veröffentlichte Bilanz, war er auf knapp 155 000 Euro gestiegen.