„Devenir le leader du secteur privé luxembourgeois d’une offre globale de soins de santé.“ So beschreibt Hygie Group im Internet ihre Vision. Deren Verwirklichung hat in Esch/Alzette begonnen, schräg gegenüber vom Arbeitsgericht. Im Erdgeschoss eines mehrstöckigen Gebäudes findet die interessierte Patientenschaft hinter separaten Eingängen drei Angebote vor: Hygie Dentaire steht für Zahnmedizin, Hygie Médical für die andere Medizin. Besonders interessant ist Hygie Imagérie. Was sie offeriert und vor allem: wer hinter Hygie Group insgesamt steht, ist von noch anderem Kaliber als das Ärztehaus Potaschberg, das vor einem Jahr hohe Wellen schlug.
Dabei steht in der Escher Praxis kein Magnetresonanz-Tomograf (IRM), das buzzword der gesundheitspolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Aus Radiologenkreisen, wo Hygie lebhaft diskutiert wird, ist zu hören, schräg gegenüber vom Escher Arbeitsgericht werde es nie IRM geben können: Die in der Tiefgarage unter dem Gebäude umherfahrenden Autos brächten die Magnetresonanz durcheinander. Doch zu den Untersuchungen, für die seit Dienstag bei Hygie Imagérie Termine online gebucht werden können, zählen Scanner und Mammografie. Auch das ist schwere Technik, die LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert, wie IRM, weiterhin Spitälern vorbehalten will. Oder ambulanten „Antennen“, die Spitäler an neuen Standorten über Land gemeinsam mit Ärzt/innen betreiben könnten. So steht es in Lenerts Gesetzentwurf Nr. 8009 zum „virage ambulatoire“ geschrieben.
Den IRM-Apparat in Potaschberg brachte Lenert voriges Jahr mit Mühe in einem „Pilotprojekt“ mit dem CHL unter, damit Ruhe einzog. Mit zwei Ärzten der Escher Radiologie-Praxis traf sie sich am Mittwoch, einen Tag nach dem Start der Terminvergabe im Internet. Ein Anwalt der Ärzte sei bei dem Treffen ebenfalls zugegen gewesen, sagt die Ministerin dem Land. Und ist erleichtert, dass die Ärzte verstanden hätten, „dass mein Gesetzentwurf auf der Zielgeraden ist“. Sie hätten eingewilligt, Mammografie und Scanner „mal noch nicht laufen zu lassen“, und erklärt, „keinen Konflikt zu suchen“. Klage führen würden sie wohl nicht, meint Paulette Lenert. Vielleicht hätten sie von dem Gesetzentwurf ja nichts gewusst. Praktizieren die Ärzte doch eigentlich in Belgien.
Falls die Gesundheitsministerin ihre Hoffnungen ernsthaft hegt, könnten sie sich aber als naiv herausstellen. Denn hinter Hygie Imagérie steht kein Ärztekollektiv. Sondern eine Beteiligungsgesellschaft, ein Konglomerat aus Beteiligungen. Jüngster Investor im Bunde ist seit Ende Februar ein Private-Equity-Fonds aus Paris, Axio Solutions SLP. Ob all die Herrschaften einverstanden sein werden, dass ihr Kapitaleinsatz weniger Erlös abwirft, wenn Mammografie und Scanner „mal noch nicht laufen“? Der Ministerin ist immerhin aufgefallen, dass die Apparate in der Radiologie-Praxis „anscheinend wirklich gut“ sind. Also vermutlich teuer. Die Radiologen aber mieten die Ausrüstung nur. Und die Entscheider hinter Hygie Group hat Paulette Lenert nicht getroffen. Kann sein, sie haben schon entschieden, es nicht zu halten, wie die Ministerin möchte: Am gestrigen Donnerstag, dem Tag nach Lenerts Treffen mit den Radiologen, ließen sich Termine für Scanner und Mammografie noch immer online vereinbaren.
Hygie Group ist eine Marke. Sie gehört der Beteiligungsgesellschaft Devmed SA. Diese ging am 16. März 2019 aus der Umbenennung der Soparfi B.O. KOA hervor; ihr Unternehmenszweck sind Immobilientransaktionen im In- und Ausland. „Hygie Group“ legte Devmed sich im November 2021 zu. Im Mai 2022 gründete Devmed die Tochtergesellschaften Hygie Médical Esch SÀRL und Hygie Imagérie Esch SÀRL. Vor vier Wochen kam noch die Hygie Dentaire Differdange SÀRL hinzu. Zweck der drei Firmen ist die Vermietung medizinischer Materialien und Ausrüstungen. Ebenfalls vor vier Wochen entstand die Devmed Immo SA (Immobilien-Operationen aller Art), welche ihrerseits am 1. Juni die beiden Tochterfirmen Devmed Immo Differdange SÀRL und Devmed Immo Est Esch SÀRL gründete.
Sämtliche Firmen haben ihren Sitz in der Luxemburger Oberstadt, in der Maison Breedewee, dem Gebäude des alten Friedensgerichts. Zentrale Akteure sind Alain Elemquies und Christophe Mignani, Geschäftsführer von Devmed SA und zu je einem Drittel bénéficiaires effectifs. Indirekt, weil als Aktionäre die von Elemquies und Mignani am 4. November 2022 jeweils gegründeten Holdings A Corp und C Corp fungieren. Das verbleibende Drittel des effektiven Gewinns geht über Laurent Tesson, den Präsidenten des Pariser Vermögensverwalters Axio Capital, an den zu diesem gehörenden Fonds Axio Solutions.
Alain Elemquies ist obendrein Geschäftsführer der Devmed-Töchter für Immobilien und von Devmeds Hygie-Firmen in Esch und Differdingen. Eine schriftliche Anfrage um ein Gespräch mit Elemquies zu den Aktivitäten von Hygie Group blieb unbeantwortet.
Anzunehmen ist, dass Devmed die Hygie-Praxen ganz ähnlich funktionieren lässt, wie das in den großen Zahnarztzentren der Fall ist, die in den letzten Jahren in den größten Städten des Landes eröffnet wurden und mit Öffnungszeiten von frühmorgends bis spätabends locken, an Wochenenden auch: Ein Unternehmen, dem Praxisräume und Ausrüstung gehören, vermietet pro Stunde einen Zahnarztstuhl. Die Dentist/innen treten an den Vermieter einen Teil ihres Honorars ab. Dass Devmed mehrere Praxen auf einmal unterhält, darunter auch ein Zahnarztzentrum in Strassen, könnte der Grund für die Bildung der vielen Firmen für „Vermietungen“ sein.
Hygie Group könnte wahrscheinlich auf drei Radiologen zurückgreifen. Jedenfalls stehen drei mit der Adresse von Hygie Imagérie auf der vom Collège médical geführten Ärzteliste; die Eintragung dort ist Pflicht. Eine Internetrecherche ergibt, dass die drei Radiologen offenbar Belgier sind (von denen die Gesundheitsministerin vielleicht zwei getroffen hat). Einer der Radiologen, Franz Pelousse, praktiziert am Hôpital de la Citadelle in Liège. Außerdem arbeitet er für die Firma Tecrad mit Sitz in Casablanca und Liège. Der Tecrad-Webseite ist zu entnehmen, dass Franz Pelousse auch in Luxemburg über das droit d’excercer verfügt. Was Tecrad macht? „Nous assurons un service de téléradiologie et télé-expertise pour tout type de modalité (scanners, IRM, radiographie standard et autres)“, informiert die Webseite des Unternehmens. Folgt daraus, dass bei Hygie Imagérie in Esch gewonnene Bilder à distance interpretiert werden, und ist das Teil des Geschäftsmodells? Es klingt innovativ, aber falls dem so ist: Wo erfolgt die Interpretation? In Belgien? In Marokko? Noch woanders? – Die ärztliche Haftpflicht wird von dieser Frage ebenso berührt wie der Datenschutz und die continuité des soins, für die zu sorgen jeder Arzt hierzulande gehalten ist. Versuche, Dr. Pelousse telefonisch zu erreichen, scheiterten.
Die Radiologen-Szene ist wegen Hygie Imagérie aufgeschreckt. Einerseits hat sie nichts gegen schwere Technik auch in Praxen. Andererseits hat die Konzentration auf die Spitäler auch ihre Vorteile: Die Radiolog/innen nutzen die Technik dort unentgeltlich. Radiologie-Assistent/innen werden über das Klinikbudget von der CNS finanziert. In Belgien zahlen für Technik und Personal die Radiolog/innen mit, führen dazu 70 Prozent ihres Honorars an die Klinik ab. Bei Hygie, erzählen Luxemburger Radiologen, behielten die belgischen Kollegen ebenfalls nur 30 Prozent vom Honorar, der Rest gehe an den Investor. Weil die Tarife hierzulande besser sind als die in Belgien, lohne es sich für Radiolog/innen aus dem Nachbarland dennoch, auch in Luxemburg zu praktizieren, und sei es nur für einen Tag. Obwohl kein Luxemburger Radiologe das so deutlich sagt, scheint die Furcht mitzuschwingen, dass das Modell Hygie Imagérie, wenn es Schule macht, den nicht so unvorteilhaften Modus operandi an den Spitälern gefährdet.
In Radiologenkreisen wird der Gesundheitsministerin vorgehalten, nicht längst für einen klaren Rahmen gesorgt zu haben. Paulette Lenert hat nur Gesetzentwurf Nr. 8009, der vielleicht noch zur Abstimmung im Parlament kommt, ehe am 20. Juli Schluss ist mit den Sitzungen. Aber sicher ist das nicht. Vergangene Woche hat die Ministerin den Gesetzentwurf nachgebessert, will nun erlauben, dass die Initiative zur Bildung einer „Antenne“ auch von Ärzt/innen ausgehen kann und nicht allein von Spitälern ausgehen muss. Unter anderem deshalb hatte der Staatsrat den Gesetzentwurf heftig kritisiert und festgestellt, die Ministerin müsse generell klarer begründen, wieso es in der medizinischen Versorgung hierzulande so viel Planung und so wenig Freiheit geben soll. Immerhin sei der Arztberuf ein freier, ihn unverhältnismäßig einzuschränken, wäre verfassungswidrig. Den nachgebesserten Entwurf muss der Staatsrat nun ganz schnell begutachten. Sonst sind erst einmal Wahlen, und es gibt weiterhin lange keinen Rahmen.
Hygie Group hat aber noch einen anderen Aspekt, der über die Radiologie hinausreicht. Dass im hiesigen Gesundheitssystem ausländisches Kapital eine Rolle spielt, ist nicht ganz neu, aber selten. Bisher ist das nur in den beiden größten Privatlabors, Ketterthill und Laboratoires Réunis, der Fall. Devmed SA und ihre Aktionäre dagegen zielen auf die medizinische Versorgung. Und mit Hygie Group ist nicht unbedingt Schluss. Seit 7. April 2021 existiert zum Beispiel auch eine Centre d’imagérie REAM SA. Ihr Zweck ist der Betrieb eines „centre de radiologie, de mammographie, de Scanner et d’IRM“. Unter den drei Gründern ist Alain Elemquies, der allem Anschein nach wichtigste dirigeant von Devmed/Hygie. Zum Zeitpunkt der Gründung von Centre REAM zeichnete er 50 Prozent ihrer Anteile.
Ist das der Beginn der Finanzialisierung der Gesundheitsversorgung und der Anfang vom Ende ihrer ziemlich sozialdemokratischen Verfasstheit? Gut möglich. Devmed scheint sich an ihrer Spitze schon auf Auseinandersetzungen einzustellen. Seit Februar ist Bernard Weber unter ihren Administratoren, CEO und Aktionär der Laboratoires Réunis. Investiert in Devmed habe er nicht, erklärt Weber dem Land. Als administrateur indépendant habe er eine beratende Rolle, kenne er als Luxemburger Gesundheitsunternehmer das System doch besonders gut.
Weil Bernard Weber vor zwölf Jahren mithalf, dass eine Klage des Privatlaborverbands bei der EU-Kommission dafür sorgte, in der Laborlandschaft des Großherzogtums nicht nur Personalgesellschaften zuzulassen, sondern auch Kapitalgesellschaften, kann man seine „beratende Rolle“ auch so verstehen, den Ansatz von Devmed gegenüber denen zu verteidigen, die ihn nicht mögen. Was die Gesundheitsministerin einschließen könnte, die meint, sie habe einen Sieg errungen, als sie mit Mietern verhandelte, aber nicht mit den Vermietern.
Oder den Ärzteverband AMMD. Sein Präsident Alain Schmit erkennt Politikversagen als Grund, dass mit Devmed eine Soparfi in der Medizin aktiv wurde. Mit ihrem Werben für Ärztehäuser und Auslagerungen aus den Kliniken in diese „wollten wir weder einen planwirtschaftlichen und politisierten Ansatz, noch wollten wir Finanziers“. Die AMMD habe neue Tätigkeitsfelder für Ärzt/innen schaffen und dafür sorgen wollen, dass gute Ärzt/innen andere gute Ärzt/innen nach sich ziehen. Weil der politische Wille gefehlt habe, gemeinsam mit dem Ärzteverband „ein gescheites Modell auszuarbeiten, bekommt Luxemburg nun beides – Planwirtschaft und Finanziers“.
Es ist aber gar nicht ausgeschlossen, dass die AMMD mit dem Insistieren auf Ärztehäuser und Ärztegesellschaften im Wahlkampf 2018 und danach Finanziers darauf gebracht hat, dass Investitionen in Arztpraxen eine gute Geschäfts-
idee sein könnten. Und dass die AMMD übersah, dass es schon wegen des EU-Binnenmarkts schwer möglich ist, ein geschütztes nationales System nur ein bisschen zu öffnen. Kaum unbemerkt aber dürfte geblieben sein, dass Lenerts Vorgänger Etienne Schneider bereits Anfang 2019, Monate vor dem „IRM-Urteil“ des Verfassungserichts durchblicken ließ, er werde einer Liberalisierung politisch nicht im Weg stehen (d’Land, 19.4.2019). Dass die Beteiligungsgesellschaft B.O. KOA sich Mitte März 2019 in Devmed umbenannte, was développement und médecine suggeriert, war vermutlich kein Zufall.