LEITARTIKEL

Wieder in den Krieg

d'Lëtzebuerger Land du 28.04.2023

Zweieinhalb Stunden diskutierte am Mittwoch in Bartringen eine außerordentliche Vollversammlung des Ärzteverbands AMMD mit der Gesundheitsministerin, dem Sozialminister und dem CNS-Präsidenten über die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Nicht zuletzt über die von der AMMD mitgegründete IT-Firma DHN. Sie steckt in finanziellen Schwierigkeiten, weil bisher nur wenige Ärzt/innen ihr Modul eConnector installiert haben. Und anscheinend hat ein Konkurrent mehr Erfolg. Wer die Einzelheiten und Hintergründe zu DHN nicht kennt, musste den Austausch konstruktiv finden. LSAP-Sozialminister Claude Haagen machte der AMMD technische Zusagen. LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert erklärte die Regierung „zu allen Schandtaten bereit“, um die Firma finanziell zu retten. So waren beide mit AMMD-Präsident Alain Schmit auch im RTL-Fernsehen zu verstehen, dessen „Journal“ um 19.30 Uhr live aus Bartringen berichtete.

Dennoch ließ die AMMD, als die Kameras eingepackt und die Gäste aus der Politik, darunter die Spitzenkandidaten von CSV, ADR und Fokus, gegangen waren, das Kriegsbeil ausgraben. Das hatte sie schon im Wahljahr 2018 getan. Damals suspendierte sie ihre Mitarbeit in der Nomenklaturkommission, die dem Sozialminister Vorschläge für Änderungen an den diversen Gebührenordnungen macht. Die Politik des leeren Stuhls sollte eine Grundsatzdebatte über das System erzwingen – was insofern klappte, als Anfang 2020 der Gesondheetsdësch einberufen wurde. Am Mittwoch gegen 20 Uhr ging die AMMD noch weiter. Der Saal war zwar nur noch halbvoll, doch die Verbandsspitze hielt das für genug, um zwei Entschließungen verabschieden zu lassen. In der ersten werden Regierung und CNS zwei Wochen gegeben, um die Rettung von DHN zu konkretisieren. Andernfalls würde die Ärzteschaft das elektronische Patientendossier nicht mehr nutzen, auch weiterhin nicht an der Agentur eSanté mitarbeiten und am geplanten elektronischen Paiement immédiat direct ebenfalls nicht mehr. Mit sofortiger Wirkung hingegen würde die AMMD erneut die Mitarbeit in der Nomenklaturkommission aussetzen, aber auch in allen anderen Gremien. Darüber hinaus die Konvention mit der CNS kündigen, und die Ärzt/innen würden den Patient/innen „innovative“ Behandlungen anbieten, für die es keine Tarife gibt.

Was genau die AMMD damit erreichen will, ist nicht klar. Die „symbolischen“ Schritte, wie Präsident Schmit sie nannte, sind nicht ohne Risiko für die AMMD. Wird die Nomenklaturkommission blockiert, stockt die Reform der Ärzte-Gebührenordnung. Fachdisziplinen, die auf neue (und höhere) Tarife warten, müssten sich noch länger gedulden. Ein Ausstieg aus der Konvention mit der Kasse ist laut Gesetz nur mit zwölfmonatiger Kündigungsfrist möglich. Sodass sich für die Versicherten zunächst nichts ändern würde, CNS und AMMD in Neuverhandlungen treten müssten, die Kasse dabei aber Dinge verlangen könnte, die der Ärzteverband bei der letzten großen Verhandlung 2014 nicht akzeptieren wollte. Sein Vizepräsident Philippe Wilmes deutete an, es müsse Schluss sein mit dem conventionnement obligatoire et automatique, der Kassenbindung der Ärzt/innen. Doch ob die AMMD das so meint, ist nicht sicher. Ein déconventionnement bekäme sie auch von CSV und DP nicht. Dem das sozialdemokratische System gewöhnte Wahlvolk zu erklären, dass mehr Freiheit für die Ärzt/innen wahrscheinlich durch Zusatzversicherungen bezahlt werden müsste, dürfte auch Luc Frieden zu heiß sein. Von Xavier Bettel gar nicht zu reden.

Bleibt als Ziel, einfach die LSAP mit ihrer Spitzenkandidatin unmöglich zu machen. Einen neuen Gesondheetsdësch zu erzwingen, der unter DP- oder CSV-Führung der AMMD genehme Entscheidungen trifft. Doch ganz abgeneigt gegenüber Liberalisierungen ist auch Paulette Lenert nicht. Sie hatte nur nie einen kohärenten Plan für ihre Ideen. Die wahrscheinlichste Erklärung für die erneute Attacke könnte sein, dass die AMMD-Spitze etwas nach innen beweisen zu müssen meint. Brisante Diskussionen führte sie früher streng im huis-clos, ohne Presse, ohne politische Gäste. Falls der einst so mächtige Ärzteverband unter Erosion leidet, wäre das keine gute Nachricht für die Gesundheitspolitik. Sondern im Gegenteil ein Anzeichen für drohendes Chaos.

Peter Feist
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