Fröhliche Weihnachtstage im trauten Kreis der Familie. Oder? Manchem läuft allein beim dem Gedanken schon der kalte Schauer über den Rücken. Das so hochgelobte Fest der Liebe wird seinem Ruf nicht gerecht. Oder doch? Gibt es nicht das Sprichwort: Was sich liebt, das neckt sich? Das Thema ist geradezu ideal, um es in ein sozialkritisches Theaterstück umzusetzen.
Der englische Schauspieler und Schriftsteller Alan Ayckbourn hat dies getan, und heraus kam ein glänzendes Boulevardstück, das auf Ayckbourns eigenen Feiertagserfahrungen beruht.
Alljährlich treffen sich Harvey, Rachel, Bernard, Phyllis, Eddie und Pattie, sowie eine riesige Kinderschar bei Neville und seiner Frau Belinda, um die Feiertage gemeinsam zu verbringen. Bernard wird wie jedes Jahr sein selbstgeschriebenes und stinklangweiliges Puppentheaterstück für die Kinder aufführen. Belinda schmückt wie immer den Weihnachtsbaum. Phyllis ist wie immer als erste der Frauen dran mit Kochen und bereitet für Heiligabend das obligate Lamm zu. „The same procedure as every year“, könnte man meinen. Doch die arg verklemmte und immer noch nicht verheiratete Rachel kommt diesmal mit Begleitung. Sie bringt einen Bekannten mit, Clive, ein emporkommender Schriftsteller. Und damit nimmt das Schicksal seinen Lauf.
Das Thema an sich ist nicht neu. Es ist ein Klassiker für die Bühne und als Film gibt es auch etliche Variationen davon. Aber es ist immer wieder ein Hochgenuss für alle Fans der schwarzen englischen Satire. Und wenn man eine Hitparade aufstellen würde, käme dieses Stück mit Sicherheit in die Top Ten. Doch zu einer so starken Geschichte gehören auch eine gute Inszenierung und gute Schauspieler. Und genau da ist der Haken der trierisch- luxemburgischen Koproduktion unter der Regie von Klaus-Dieter Köhler. Der ganze erste Teil der Aufführung ist voll von subtilem Humor, der hier leider nur selten zur Geltung kommt.
Im Gegenteil, er wirkt äußerst langsam und zäh. Und dafür gibt es zwei Lösungen: entweder eine strammere Inszenierung oder rigoroses Streichen im Text. Die zweite Möglichkeit wäre hier wahrscheinlich die bessere gewesen, denn das Stück ist mit über zweieinhalb Stunden doch sehr lang. Im zweiten Teil, nach der Pause geht es dann aber richtig zur Sache, und er ist es wert, dass man den ersten geduldig über sich ergehen lässt.
Eine der schönsten Passagen ist das nächtliche Zwiegespräch zwischen Rachel (brillant gespielt von Sascha Ley) und Clive (Andreas Spaniol). Sascha Ley, die sonst immer das gewisse Etwas an Verführung mitbringt, beweist, dass sie auch das krasse Gegenteil spielen kann, verkniffen, zugeknöpft und bieder.
Eine weitere Stelle ist die Generalprobe des Puppenspiels, mit Onkel Harvey (gespielt von Fernand Fox) als Zuschauer und Kritiker. Der ganze Saal kugelte sich vor Lachen. Für Fernand Fox scheint es, als ob die Rolle des alten, kauzigen Onkel Harvey eigens für ihn geschrieben worden wäre. Man merkt, dass er sich sehr wohl fühlt in der Rolle und es ist Fox pur, wie wir ihn alle kennen und lieben.
Für all die anderen gilt „Unter ferner liefen...“. Nicht dass sie alle zum Tot-schießen schlecht wären, bei weitem nicht. Man merkt, dass gute Ansätze da sind, und die Beteiligten geben sich alle redlich Mühe, aber die Regie hat sie völlig im Stich gelassen. Und das ist jammerschade, denn wäre es anders gewesen, wäre der erste Teil vielleicht sogar ohne den oben erwähnten Streichvorschlag ausgekommen.
Romain Hilgert
Kategorien: Theater und Tanz
Ausgabe: 27.01.2000