d’Land: Herr Schmit, am Montag gab der Krankenhausverband FHL eine Pressekonferenz zum neuen Krankenhausgesetz. Am Tag danach teilte die AMMD mit, sie sei „konsterniert“. Warum?
Alain Schmit: Weil so getan wurde, als habe die Ärzteschaft ein Disziplinproblem und es würden Ärzte sich bereichern wollen.
Das hat niemand gesagt.
Dann schauen Sie sich die Sendung im RTL-Fernsehen noch einmal an!
Ein Journalist hatte gefragt, ob ein Arzt persönliche Vorteile hätte, wenn er eine Prothese bei immer dem gleichen Lieferanten bestellt. Darauf kam vom FHL-Podium ein Kopfnicken. Die Nachfrage, ob man erklären könne, welcher Vorteil das wäre, wurde mit einem Kopfschütteln beantwortet.
Das ist suggestiv! Ohne zu übertreiben: Wegen dieser Geschichte hörte am Tag danach mein Telefon nicht auf zu klingeln. Viele Ärzte haben sich furchtbar aufgeregt.
Aber kann es nicht sein, dass ein Arzt persönliche Vorteile aus einer Bestellung zöge?
Das ist nicht das Problem, um das sich unsere Auseinandersetzung mit der Gesundheitsministerin dreht. Das ist ein Nebenkriegsschauplatz, der aufgemacht wird, um uns schlechtzumachen.
Vielleicht wurden die Ärzte Opfer der Fernsehberichterstattung. Mir schien die FHL freundlich gegenüber den Ärzten. Die Disziplinfrage war auch eine Journalistenfrage. Die Antwort lautete, man dürfe keinesfalls verallgemeinern. Die übergroße Mehrheit der Ärzte arbeite sehr gut. Man wolle lediglich eine Handhabe gegenüber denen, die das nicht tun.
Ich habe natürlich nur gesehen, was das Fernsehen aus der Pressekonferenz gemacht hat, aber das war suggestiv. Was Disziplinprobleme angeht: Um die zu lösen, falls sie sich stellen, braucht man keinen neuen Artikel im Krankenhausgesetz. Und sollte ein Arzt sich bereichern, müsste eine Klinikdirektion selbstverständlich durchgreifen. Doch das kann sie heute schon. Mir ist nicht bekannt, dass es einen solchen Fall schon gegeben hätte. Und generell ist es das Spital, das Material einkauft. Was die Ärzte brauchen, wird über den Krankenhausapotheker bestellt. Gibt es Rabatte, kommen sie dem Spital zugute, nicht dem Arzt.
Die AMMD stößt sich stark an Artikel 35 im Krankenhausgesetzentwurf. Darin wird jedem Arzt die Behandlungsfreiheit gegenüber dem Patienten garantiert. Allerdings – „néanmoins“ – müsse er sich dem internen Reglement seines Spitals, den Qualitätsvorgaben, Therapierichtlinien und Effizienzbemühungen unterordnen. Was ist daran schlimm?
Dass diese Regeln künftig am Arzt vorbei festgelegt werden können. Die Einschränkung „néanmoins“ impliziert das. Dann würde die Therapiefreiheit doch beeinträchtigt. Der Patient könnte nicht mehr die bestmögliche Behandlung bekommen und das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Arzt wäre gestört.
Bleiben wir einen Moment bei den Anschaffungen, die Krankenhäuser für die Ärzte tätigen. Die AMMD sagt, aus Kostenerwägungen könnten demnächst minderwertige Prothesen beschafft werden. Die FHL hat am Montag beschrieben, wie in den Spitälern die Comités médico-techniques funktionieren. Ärzte und Krankenhausapotheker würden gemeinsam entscheiden, was man einkauft. Das klappe gut. Und im Idealfall würden die Ärzte künftig auch für besonders teure Geräte, wie etwa Herzschrittmacher, mitteilen, welche Parameter die haben sollten. So kaufe man dann ein, komme auf höhere Stückzahlen und erzielte bessere Preise bei Lieferanten. Das klingt ganz vernünftig.
Dagegen haben wir auch nichts. Die Frage ist aber: Entscheidet man dabei wirklich mit oder bekommt man etwas oktroyiert?
Aber offenbar gibt es doch jetzt schon Regeln, oder? Andernfalls würde Anarchie herrschen.
Luxemburg zählt 600 000 Krankenhaustage im Jahr, 60 000 Operationen, eine Million Passagen in Polikliniken und Notdiensten. Meinen Sie, das würde alles improvisiert?
Ich hoffe nicht. Aber die Frage ist doch: Wenn es schon Regeln gibt, geht die Formulierung im Artikel 35 dann wirklich weiter als nur festzuschreiben, was längst Praxis ist?
Wir meinen, ja. Die Spitäler sind größer geworden. Die Patientenzahlen nehmen zu. Die Organisation wird komplexer, die Medizin entwickelt sich weiter, der Effizienzdruck steigt. Wir Ärzte haben an Einfluss im Spital verloren. Unser Einfluss ist nur ein informeller, wenn wir sagen: „Könnten wir es nicht so und so machen“, oder: „Wäre es nicht eine gute Idee, wenn ...“
Aber die Medizin ist die Kernaktivität jedes Spitals. Häuser, die mit freiberuflichen Belegärzten arbeiten – immerhin die allermeisten – haben ihre medizinische Aktivität im Grunde an die Ärzte ausgelagert. Der Arzt verschreibt. Er löst die Krankenhausaktivität überhaupt aus.
Stimmt, aber wir fürchten, dass die Bedeutung des Arztes dennoch abnimmt und er kurzgeschlossen wird. Das geschieht schon jetzt. Dass die Kliniken ordentlich organisiert sind, wollen auch wir. Wir haben schon in der Vergangenheit gesagt, dass das gesetzlich geregelt werden muss. Aber darüber hat die Gesundheitsministerin – und das werfen wir ihr laut vor – nicht mit uns gesprochen. Noch Anfang Januar 2016 hatte sie Ihrer Zeitung gesagt, an die Rolle der Ärzte werde der Gesetzentwurf nicht rühren. Kurz danach hat der Regierungsrat einen Vorentwurf gut geheißen. Zu dem hat Lydia Mutsch alle möglichen Seiten konsultiert, uns auch. In diesem Text stand aber nichts zur Rolle der Ärzte, und uns hatte die Ministerin genau wie Ihnen gesagt, dazu nichts unternehmen zu wollen. Deshalb fühlen wir uns von ihr so hinters Licht geführt, denn sechs Monate später standen im endgültigen Gesetzentwurf mehrere Artikel, die uns betreffen.
Nun sagt die Ministerin, sagt der Direktor des Gesundheitsamts, der zugleich Präsident der Ständigen Krankenhauskommission ist, und hat auch die FHL am Montag gesagt, zwischen Januar und Juni 2016 sei in elf Sitzungen dieser Ständigen Krankenhauskommission, der CPH, „in extenso“ über die Führung der Spitäler und die Rolle der Ärzte diskutiert worden – mit der AMMD. Konnten Sie sich einfach nicht durchsetzen?
Die CPH hat über den Vorentwurf gesprochen, aber nicht in extenso über die Führung der Spitäler und die Rolle der Ärzte. Und eigentlich ist die CPH nicht mal dazu da, über Vorentwürfe zu sprechen: Ein Jurist des Ministeriums hat auf der ersten Sitzung gesagt, das aktuelle Krankenhausgesetz gebe das eigentlich nicht her, aber man mache es halt. Der Krankenhausverband hat in der CPH vorgetragen, wie er sich die gouvernance der Spitäler vorstellt. Die AMMD hat sich dazu nicht weiter geäußert.
Warum nicht?
Weil die CPH für solche Fragen nicht geeignet ist. Wir sind da klar in der Minderheit, wir werden da untergebuttert. In der CPH wollten alle sparen, nur wir nicht. Wir fanden, wenn die Ministerin über die Rolle der Ärzte sprechen wollte, hätte sie das mit uns tun müssen und sich nicht hinter der CPH verstecken dürfen. Man hätte zu allererst die Stärken und Schwächen der aktuellen Klinikorganisation analysieren müssen, dann diskutieren, was sich ändern soll, und anschließend, wie man es ändert. Das wäre eine normale, offene Diskussion gewesen.
Über die Ärzteräte haben die Klinikmediziner bereits Einspruchsmöglichkeiten zum Tun und Lassen der Spitäler. Zu bestimmten Themen, die die Klinikmedizin betreffen, kann ein Ärzterat sogar einen Avis renforcé abgeben. Der suspendiert eine Entscheidung einer Direktion vorläufig, bis eine Lösung gefunden wurde.
Das ist aber nicht mehr zeitgemäß. Man braucht eine andere Organisation der Spitäler, im Grunde sind wir da ähnlicher Meinung wie die FHL. Es muss aber eine medizinisch nachvollziehbare Organisation sein. Heute schon entscheiden die Krankenhausverwaltungen immer öfter über die Ärzte hinweg.
Die großherzogliche Verordnung über die Ärzteräte wurde 2003 aus dem belgischen Krankenhausgesetz abgeschrieben. Belgische Ärzte haben nicht mehr Einfluss als die Luxemburger.
Die Verordnung ist von der Realität überholt. Da hilft auch kein Avis renforcé. Ein Medizinerrat kann nicht jeden Konflikt bis auf die Spitze treiben. So kann man mit einem Krankenhaus nicht umgehen.
Wie stellt die AMMD sich die Organisation denn vor?
In unseren Änderungsvorschlägen zum Gesetzentwurf steht unter anderem, Entscheidungen über die Auswahl von Material und über Standardisierungen dürften nicht ohne die Ärzte getroffen werden. Sie müssen sagen können: „Das ist etwas, womit wir arbeiten können.“ Man kann nicht zu jeder Materialbestellung den Ärzterat tagen lassen. Diese Fragen stellen sich ständig, es laufen tausende Bestellungen gleichzeitig. Man braucht einen schlanken Weg. Die einzelnen Disziplinen müssen gefragt werden: „Was braucht ihr?“ Man kann sie gerne mit den Kosten konfrontieren, die das verursacht. Ich selber weiß nicht, welche budgetären Auswirkungen es hat, was ich bestelle. Zeigt man mir das, kann ich darüber nachdenken, etwas anders zu nehmen. Das Gesetz muss uns aber den Platz geben, das zu tun.
Soll unmittelbar über die medizinische Tätigkeit in den Spitälern entschieden werden, soll der Ärzterat sagen können, Ja oder Nein. Das ist keine Anmaßung. Auch die beste Direktion kann nicht alles wissen. Diese Diskussion muss ausgeglichen sein. Die Direktion soll sagen können: „Wir haben da ein Problem und schlagen vor, es so und so zu lösen.“ Da muss der Ärzterat sagen können: „Nein, man sollte es besser so machen.“
In den Flugblättern, die die AMMD seit vergangener Woche an die Patienten verteilt, wird gefragt: „Wollen Sie, dass ein Krankenhausbetreiber Ihrem Arzt vorschreibt, welche Analysen und welche Behandlungen er Ihnen anbieten kann?“ Das liest sich, als gebe es mit dem neuen Gesetz gar keine Therapiefreiheit mehr und als sei der Krankenhausarzt ein Einzelkämpfer, aber kein Teamplayer.
Wir treten nicht dafür ein, dass ein Arzt sagen kann: „Ich mache was ich will!“ Die FHL spricht von „integrierter Versorgung“ der Pa-
tienten. Das unterschreiben wir – aber bitteschön unter Einbeziehung von uns Ärzten bei der Festlegung, was das sein soll. Wir wollen mit den Flugblättern niemandem Angst machen. Auf unserer Vollversammlung vergangene Woche haben wir darüber lange diskutiert. Wir wollen zeigen, was sein kann, wenn das Gesetz so in Kraft tritt, wie es zurzeit geschrieben ist. Die Welt würde sich dann nicht von heute auf morgen ändern, aber Stück für Stück. Und wir sehen die Gefahr, dass dann gespart würde, dass den Ärzten vorgehalten würde: „Ihr verschreibt zu viel.“ Von dort wäre es nicht mehr weit zur Zweiklassenmedizin, in der Zusatzversicherungen übernehmen, was der Arzt nicht verschreiben kann.
In den Änderungsvorschlägen zum Gesetzentwurf schreibt die AMMD auch, sie lehne es ab, dass Ärzte ihre Urlaubsplanung mit der Krankenhausverwaltung absprechen, das werde nur unter den Ärzten geschehen. Ist das zu viel verlangt?
Ich verstehe, dass das anmaßend klingt. Aber man muss dazu zwei Fragen stellen. Erstens: Findet ein Patient keinen Arzt, wenn er einen braucht? In jedem Spital gibt es Bereitschaftspläne pro Fachrichtung. Die stellen die Fachdienste selber auf, das ist oft ganz diffizil und aufwändig. Dadurch findet jeder Patient zu seinem Arzt. Eine Versorgungslücke gibt es nicht. Wer das Gegenteil behauptet, wie Lydia Mutsch in der „Face à Face“-Sendung im RTL-Radio mit mir im Februar, jagt den Leuten Angst ein.
Es bleibt aber, dass die AMMD Urlaube nicht mit den Spitälern abstimmen lassen will.
Das ist der zweite Punkt. Viele Ärzte arbeiten 80 Stunden die Woche. Das schafft man eine Zeitlang, muss aber irgendwann Urlaub nehmen. Nun kann ein Spital sagen: „Ihr seid zu fünft, dass zwei gleichzeitig Urlaub nehmen, wollen wir nicht.“ Aber wenn man noch mehr leisten soll, weil die Direktion sich das vorstellt, bricht man zusammen.
Das heißt, es sind nicht genug Ärzte da?
Um dieses Pensum zu bewältigen, sind nicht genug Ärzte da. Das Spital könnte auch sagen: „Diesen Urlaub lassen wir nicht zu, denn wir wollen, das unsere Operationssäle gut ausgelastet sind.“ Dann wäre der betreffende Arzt physisch womöglich bald am Ende.
Aber als Betrieb müsste ein Spital doch sagen können, dass die OP-Säle ausgelastet sein sollten. Das wäre ganz rational.
Ich verstehe das auch und habe nichts dagegen, Urlaube mit dem Spital abzustimmen. Die Problemfrage aber ist, ob man es vom Spital auferlegt bekäme, damit der Bloc opératoire sich dreht. Da wäre ich misstrauisch.
Also fehlt es letztlich an Ärzten?
Ja, aber wir finden sie nicht unbedingt. Unter anderem deshalb wollen wir gute Rahmenbedingungen für die Arbeit am Spital. Das hat nicht nur eine finanzielle Seite. Kommt man als Arzt hierher und alles wird von oben vorgeschrieben, demotiviert das. Man will aber gute Ärzte. Ich war sechs Jahre Ärzteratspräsident am CHEM und habe in der Zeit alle Bewerbungen gesehen. 95 Prozent davon kann man sofort beiseite legen: Da sieht man schon an der Form des Lebenslaufs, dass das kein guter Arzt sein kann. Es geht nicht darum, irgendwen ans Haus zu binden, sondern gute Ärzte. Gute Ärzte ziehen andere gute Ärzte nach.
Die FHL hat am Montag vorgeschlagen, die Klinikmedizin „aufzuwerten“: Bereitschaftsdienste sollten bezahlt werden, die Mitarbeit an Teambesprechungen auch. Gefällt Ihnen das?
Die AMMD verbindet keine finanziellen Forderungen mit dem Spitalgesetz. Natürlich wäre es nicht schlecht, Bereitschaften vergütet zu erhalten: Wer in Rufbereitschaft steht, hat nie richtig Ruhe. Aber bei dem Gesetz geht es uns um die Funktionsweise der Spitäler, nicht ums Geld. Mein Eindruck ist, mit dem Geldversprechen will die FHL uns ködern. Das ist wie beim Rattenfänger von Hameln.
Stehen Sie unter großem Druck Ihrer Basis?
Natürlich. Wie die Ministerin die Frage der Klinikärzte angegangen ist, hat viele wütend gemacht. Auf unserer Vollversammlung waren 300 Mitglieder. Das klingt nach nicht viel. Aber die Mobilisierung war selten so stark. Man muss bedenken, dass die Allgemeinmediziner vom Spitalgesetz eher wenig berührt sind, dass ein großer Teil der Spezialisten nicht an Spitälern arbeitet und dass hundert Spezialisten über Präsenzen an die Kliniken gebunden sind und nicht abkömmlich für eine AMMD-Versammlung. Dann sind 300 Mitglieder viele.
Was, stellen Sie sich vor, sollte nun geschehen? Sollte die Ministerin die Artikel über die Ärzte aus dem Gesetzentwurf streichen oder die Diskussion von Grund auf führen?
Sie zu streichen wäre eine Möglichkeit, aber wir meinen es ernst mit dem Thema Organisation. Es ist zu billig zu behaupten, es gehe uns um „Macht“ oder um ein „Vetorecht“. Wir hatten schon in einer Stellungnahme zum Vorentwurf Vorschläge zur Organisation gemacht. Die Spitäler entwickeln sich laufend weiter. Es entsteht ein enormer Rationalisierungs- und Effizienzdruck allein schon dadurch, dass die Bevölkerung so wächst. Der Druck überträgt sich auf die Ärzte und auf das Pflegepersonal. Viele Pfleger hetzen durch die Stöcke. All das muss man mitbedenken, ehe man das System auf den Kopf stellt.