Am Tag vor Heiligabend verabschiedete der Staatsrat sein Gutachten zum neuen Krankenhausgesetz. Das Gutachten war mit einiger Spannung erwartet worden, vor allem weil es über den Gesetzentwurf von Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) Krach mit den Ärzten gibt.
Als Lydia Mutsch vor knapp einem Jahr einen Vorentwurf geschrieben hatte und den Text allen wichtigen Interessengruppen zur „Konsultation“ schickte, stand darin noch nicht viel Neues über die Rolle der Klinikmediziner. Das änderte sich Mitte April, als der Krankenhausverband FHL der Ministerin seine Stellungnahme zu dem Vorentwurf zukommen ließ und ihr suggerierte, ein paar Artikel aus dem belgischen Krankenhausgesetz zu übernehmen. Was Lydia Mutsch im Sommer auch tat, und die neuen Artikel hatten es in sich: In Zukunft sollten die Ärzte dem Spital als Betrieb und dessen Zielen stärker unterworfen werden. Der Krankenhaus-Generaldirektor würde nicht nur zum Chef, sondern auch zum Patron erhoben, der Ärzte einstellt und entlässt, und zu guter Letzt sollten die Mediziner auch an der „Finanzierung“ des Klinikbetriebs beteiligt werden können. Dass die neuen Bestimmungen dem Ärzteverband AMMD kaum gefallen würden, ahnte die Gesundheitsministerin: In einem Kommentar zu den Artikeln hielt sie fest, „vor allem“ der Krankenhausverband habe sie so „gewollt“ (d’Land, 30.09.2016).
Nach zwei Pressekonferenzen einer aufgebrachten AMMD im September und Oktober und einem „Flashmob“ von Ärzten vor den Eingängen zu den großen Spitälern im November, sieht es so aus, als habe der Staatsrat einen Vorschlag zur Güte machen wollen. Doch so einfach ist das nicht. Die Spitalgesetzreform könnte sich noch eine ganze Weile hinziehen und vielleicht sogar der nächsten Regierung vermacht werden.
Denn die Idee des „Spitaldirektors als Patron“ hat der Staatsrat wegen „Rechtsunsicherheit“ mit einer opposition formelle belegt: Patron könne, wie bisher, nur die Trägerorganisation eines Krankenhauses über ihren Verwaltungsrat sein. In diesen aber sollte der Ärzterat, die gewählte Vertretung der Mediziner einer Klinik, künftig nicht nur obligatorisch einen Delegierten entsenden, der Ärztevertreter sollte im Verwaltungsrat auch mitbeschließen können. Streichen würde der Staatsrat eine Bestimmung, die 2010 über die Gesundheitsreform ins Krankenhausgesetz gelangt war: Ein „Mustervertrag“ sollte die Bindung der Ärzte ans Spital regeln; Minimalbestimmungen für den Vertrag sollte eine großherzogliche Verordnung vorschreiben. Das ist bis heute nicht geschehen. Da das „anscheinend niemand will“, so der Staatsrat, könne man darauf verzichten.
Die Tragweite dieser Vorschläge ist groß. Dass überhaupt ein politischer Bedarf besteht, „das Statut der Krankenhausärzte zu redefinieren“, wie sich das die Regierung im Koalitionsvertrag ausdrücklich vorgenommen hat, liegt daran, dass die große Mehrzahl von ihnen als freiberufliche „Belegärzte“ und damit als eine Art Subunternehmer in den Kliniken tätig ist. Dass Freiberuflern per Verfassung die Freiheit der Berufsausübung garantiert ist, hat der Ärzteverband immer wieder als Argument genommen, um politische Vorstöße zur stärkeren Regelung des Tuns und Lassens der Belegärzte abzuwehren.
Doch was der Staatsrat vorschlägt, würde die Verhältnisse nicht gerade klarer machen. Das Tun und Lassen der Belegärzte stärker regeln zu wollen, rührt daher, dass die Kliniken als Betriebe nicht nur unter Qualitätsdruck stehen, die bestmögliche Behandlung nach dem „Stand der Wissenschaft“ anzubieten, sondern auch unter Effizienzdruck. Die Gesundheitsreform hat dafür gesorgt, dass seit 2011 der Regierungsrat alle zwei Jahre ein „Globalbudget“ für sämtliche Spitäler festlegt. In dessen Rahmen handeln die Kliniken ihre individuellen Budgets mit der CNS aus. Aber dabei soll es nicht bleiben. Seit acht Jahren ist davon die Rede, endlich eine „umfassende“ und „einheitliche“ Dokumentation der Krankenhausaktivität und darauf aufbauend eine Vollkostenrechnung einzuführen. Anschließend sollen die Spitäler nach ihrer Aktivität finanziert werden; das steht zumindest im Regierungsprogramm.
Soll heißen: Verhandeln die Spitäler heute mit der CNS über ihre Budgets, setzt das Globalbudget dabei zwar Grenzen, aber: Pro „Kostenstelle“ – die Operationssäle, die radiologische Abteilung oder das Kliniklabor zum Beispiel – erhalten die Kliniken verschieden viel Geld von der Kasse. Mit der „Finanzierung nach der Aktivität“ würde das anders. Dokumentation und Vollkostenrechnung würden es erlauben, Preise pro Behandlung je nach Diagnose zu definieren, in denen alles steckt, was der Patient erhält. Diese Preise wären für alle Spitäler dieselben. Politisch gesehen, ist es wahrscheinlich, dass diese „Fallpauschal-Preise“ zumindest anfangs nur benutzt werden, um die Jahresbudgets der Spitäler auf einer transparenteren Basis zuzuerkennen. Dazu überzugehen, den Krankenhäusern tatsächlich Geld „pro Fall“ zuzuweisen und nur noch ein kleines Budget als Puffer bestehen zu lassen, wie das vor allem in Deutschland geschieht, wäre viel heikler: Dann könnte nicht mehr jedes Spital rentabel sein. Aber selbst wenn das neue System nur dazu diente, die Klinikbudgets auf klarere Grundlagen zu stellen, nähme die Bedeutung der Ärzte in den dann auf noch mehr Effizienz ausgerichteten Spitälern zu: Die Ärzte sind es, die Behandlungen verschreiben und Krankenhausaktivität auslösen. In einem solchen System freiberufliche Belegärzte kaufmännisch eigenständig agieren zu lassen, wäre ein Widerspruch in sich.
Und was der Staatsrat vorgeschlagen hat, würde ihn noch vergrößern. Säße in jedem Verwaltungsrat obligatorisch ein Ärztevertreter, wäre vor allem den Belegärzten der Schumann-Gruppe geholfen: Die Klinikstiftung des Bistums mit ihren vier Spitälern und ebenso vielen Ärzteräten lässt bisher nur einen gemeinsamen Delegierten dieser vier Organe zu den Sitzungen ihres Verwaltungsrats zu, aber nicht zu allen Sitzungen, nicht zu sämtlichen Tagesordnungspunkten und stets nur mit beratender Stimme. Bei der Kirche ging es noch nie sonderlich liberal zu.
Doch selbst in Spitälern, wo der Ärzteratsvertreter zu jedem Verwaltungsratstreffen eingeladen wird, hat er bisher kein Stimmrecht. Würde es für alle Spitäler per Gesetz eingeführt, wäre das ein großes Zugeständnis gegenüber dem Ärzteverband, der nach dem Motto: „Ohne Ärzte kein Krankenhaus“ seit Jahren dafür eintritt, die Spitäler sollten in „Ko-Verwaltung“ mit den Medizinern geführt werden.
Nach dem Modell des Staatsrats würden sie – und wohlgemerkt auch die unternehmerisch selbstständigen Ärzte – aber nicht nur zu Mitentscheidern. Gäbe es keinen Mustervertrag für das Engagement der Belegärzte, würden sie zu Mitbetreibern der Klinik und dank Sitz und Stimme im Verwaltungsrat zu Ko-Patrons: Wahrend die Gesundheitsministerin dem Klinik-Generaldirektor zugestehen will, Belegärzte zu engagieren und abzuberufen, würden nach dem Modell des Staatsrats die Belegärzte gewissermaßen zu Mit-Chefs des Direktors. Denn der wird vom Verwaltungsrat berufen, gehört diesem Gremium aber selber nicht an und wäre dann nur eine Art Generalsekretär. Ob so ein Modell zur ökonomischen Zukunft passt, die für die Spitäler geplant ist, ist zumindest sehr fraglich.
Doch falls die Ärzte auch auf diesem Weg nicht stärker ins Krankenhausgeschehen eingebunden werden können: wie dann? Belgien ist nicht unbedingt ein Vorbild. Zwar ist dort, abgesehen von Universitätskliniken, das Belegarztprinzip ähnlich weit verbreitet wie in Luxemburg. Und wie die Dinge liegen, sind sich im Nachbarland Kliniken und Belegärzte näher als hierzulande; an belgischen Spitälern existieren zum Beispiel ständige „Konzertierungsorgane“ zwischen Direktion und Ärzterat, die Konflikte rasch aus dem Weg räumen sollen. Ein Stimmrecht im Verwaltungsrat aber gesteht das belgische Krankenhausgesetz Ärztevertretern nicht zu, sondern nur eine beratende Rolle. Und das obwohl belgische Belegärzte im Schnitt 30 Prozent ihrer Honorare an ihre Klinik zu deren Mitfinanzierung abführen müssen – das ist ein wesentlicher Teil des Deals für die cogestion à la belge.
In Luxemburg wäre es schwierig, „Einbindung“ und Mitbestimmung für die Ärzte an finanzielle Forderungen zu knüpfen: Hierzulande wird jeder Mediziner automatisch und obligatorisch Kassenarzt. In Belgien ist die Konventionierung freiwillig und selbst Kassenärzte können in größerem Umfang als in Luxemburg Privatbehandlungen in Rechnung stellen. Darauf wies die CNS im November in einer Stellungnahme zum Spitalgesetzentwurf hin. Sie nannte den kleinen politischen Testballon, die Belegärzte hierzulande ebenfalls an der Finanzierung der Kliniken beteiligen zu wollen, „absurd“, weil dann mit neuen Tarifforderungen der Ärzte zu rechnen wäre.
Die Frage, die sich eigentlich stellt, ist die, ob in dem kleinen Luxemburger Spitalwesen der freiberufliche Belegarzt überhaupt eine Zukunft hat. Zumal der Spitalsektor so gut wie komplett öffentlich finanziert, seine Struktur staatlich geplant wird und das nicht-ärztliche Personal per Kollektivvertrag mit dem öffentlichen Dienst assimiliert ist. Würden alle Klinikärzte fest angestellt, würde ihre Einbindung in den Klinikbetrieb viel weniger Fragen aufwerfen.
Ernsthaft diskutiert wurde diese Option allerdings noch nie. Genauso wenig wie die Vor- und Nachteile von Festanstellung und Belegarzt-Medizin, oder gar die im Krankenhausverband immer mal wieder geäußerte Idee, die „liberale Medizin“ wörtlich zu nehmen und Belegärzten nur noch Zeitverträge zu geben und deren Verlängerung an Leistungsvorgaben zu knüpfen, wie das in Nordamerika verbreitet ist. Schon ohne lange Analysen aber liegt auf der Hand, dass die Festanstellung sämtlicher Klinikärzte teuer würde: Vor zwölf Jahren schätzte die Krankenkassen-Quadripartite vorsichtig, man brauchte dann womöglich drei Mal mehr Mediziner.
Doch wer sagen wollte, ob dieser Systemwechsel sinnvoll wäre, müsste auch klären, ob die schwerere und aufwändigere Medizin in Luxemburg nicht zu stark auf die Spitäler konzentriert ist und ob außerklinische Strukturen nicht nur bürgernäher, sondern vielleicht sogar wirtschaftlicher sein könnten. So dass hinter dem Ärger um das neue Krankenhausgesetz eigentlich die schon seit vielen Jahren schwelende Frage verborgen liegt, welche Gesundheitsversorgung mit welcher Struktur, welchen Akteuren, wie viel Staat und wie viel Markt das Land überhaupt erhalten und wie sozial gerecht es in ihr zugehen soll.