Als die Krankenhausstiftung Robert Schumann des Bistums 2015 einen Teil der Aktivitäten ihrer Kliniklabors verkaufte, schlug das Wellen. Die anderen großen Spitäler wetterten, das sei nicht abgemacht gewesen, im Krankenhausverband brach eine Krise aus. Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) klagte, sie habe „nicht gedacht, dass Labors ausgelagert würden“, musste aber mitansehen, wie das über die Bühne ging – unbestätigten Gerüchten nach für sieben Millionen Euro.
Seitdem unterhalten die Laboratoires Réunis, das zweitgrößte Privatlabor nach Ketterthill, in den Schumann-Spitälern Kirchberg und Zithaklinik und in der Clinique Sainte-Marie in Esch/Alzette je ein Blutentnahmezentrum, wie sie über Land noch viele andere betreiben. Von dort werden die Proben in die Hightech-Analysezentrale am Firmensitz in Junglinster transportiert.
Dass andere Spitäler nachziehen, ist nicht ausgeschlossen. Am 1. März sagte Lydia Mutsch dem Magazin Paperjam, „in Esch zeichnet sich eine ähnliche Lösung ab, anscheinend werden Verhandlungen geführt“. Als Ministerin habe sie „leider kein Gesetz zur Hand“, das derartige Auslagerungen oder Verkäufe „verbietet“.
Die Geschichte mit den Kliniklabors ist nur ein Teil einer größeren über den gesamten Laborsektor. Der wird zu mehr als 90 Prozent von der Allgemeinheit finanziert. Dass die Regierung überrascht wird und „leider kein Gesetz zur Hand“ hat, sollte besser nicht mehr passieren. Mehr noch: Greift sie nicht ein, könnte in der Branche im wahrsten Sinne des Wortes der Kapitalismus Einzug halten und die Kapitalakkumulation von der Krankenversicherung noch stärker getragen werden müssen, als das jetzt schon der Fall ist.
Man könnte die größere Geschichte im Mai 1984 zu erzählen beginnen, als die Abgeordnetenkammer das „Laborgesetz“ verabschiedete. Der DP-Abgeordnete Joseph Eyschen, Berichterstatter zum Gesetz, erklärte, nun werde „Ordnung geschaffen“. Der Zuwachs der Privatlabors entspreche „keineswegs den reellen Notwendigkeiten“. Kleine Labors würden größeren eine „zügellose Konkurrenz“ machen. Die Krankenkassen koste das immer mehr Geld. Damals reichte eine Handelserlaubnis des Mittelstandsministeriums, um ein Labor zu eröffnen. Das von DP-Gesundheitsminister Émile Krieps entworfene Laborgesetz machte die Zulassung vom Gesundheitsminister abhängig. Ein Labor betreiben konnte nur noch, wer Arzt, klinischer Biologe oder Pharmazeut war; eine Arztpraxis und ein Labor gleichzeitig zu führen, war nun jedoch verboten. Dass eine juristische Person ein Labor betrieb, war ebenfalls untersagt. Einzige Ausnahme: die Krankenhäuser und das Rote Kreuz mit seinem Blutspendedienst.
Die Goldgräberstimmung vor diesem Gesetz – manche Ärzte betrieben Mini-Labors und verschrieben Blutanalysen, die sie selber vornahmen und abrechneten – ist aber kaum zu vergleichen mit der Lage heute. Trotz der vielen kleinen Labors wurde in den Achtzigerjahren das Gros der Analysen von den Spitälern und dem Laboratoire national de santé (LNS) erledigt. Auch Patienten, denen der Hausdokter ein Blutbild verschrieben hatte, gingen dazu meist in ein Spital oder ins Staatslabo in Verlorenkost.
Heute dagegen ist der Analyse-Markt mindestens 116 Millionen Euro schwer. Das ergibt sich, wenn man addiert, was der Staat 2015 für das LNS ausgab (27,9 Millionen) und die CNS für „klinische“ Analysen (11,3 Millionen) und für „außerklinische“ (67 Millionen). Unter „Außerklinisch“ fällt, was die Schumann-Gruppe verkauft hat: Die Krankenhäuser hörten nie auf, ambulante Patienten zur Analyse zu empfangen. Sie verloren aber immer mehr an die Privatlabors. Die CNS schätzt den Anteil der Spitäler in dem Bereich auf unter 20, vielleicht 15 Prozent.
Wieso das sein kann, wo doch ab 1984 ein Laborgesetz „Ordnung schuf“, ist der Kern des Problems. Analysen waren auch nach der Jahrtausendwende ein interessantes Geschäftsfeld, weil eine Gebührenordnung nach einem Schweizer Modell sehr hohe Tarife festlegte. Bis Mitte der Neunziger profitierten davon auch die Kliniken: Das Geld von den Kassen für Laborleistungen deckte jedes andere Defizit der Spitäler. 1995 war Schluss damit. Die Spitäler wurden auf eine „Budgetierung“ umgestellt. In dem Jahresbudget, das ihnen die Kasse zuerkennt, ist der Laboraufwand inklusive.
Den Privatlabors blieben die hohen Tarife erhalten. Obendrein verhängte die damalige Krankenkassenunion UCM über die Spitäler ein „Moratorium“ für Investitionen in deren Labors. Was nicht nur dazu führte, dass „industrialisierte“ und oft automatisierte Privatlabors geradezu „manufakturähnlichen“ Kliniklabors gegenüberstanden, wie 2008 eine Studie für den damaligen Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) herausfand. Die Privaten konnten die Investitionen in die Technik durch hohe Volumen rentabel machen. Alle drei Labors – der Wildwuchs der Achtzigerjahre war längst konsolidiert – eröffneten ein Entnahmezentrum nach dem anderen. Nah beim Bürger und bequem für diesen, aber auch passend zum Geschäftsmodell.
Erst 2001 begann die Krankenkassenunion die hohen Tarife zu senken. Es hieß, die Privatlabors erzielten Gewinnmargen von 15 bis 40 Prozent. Doch genau wissen konnte das niemand. Das Laborgesetz von 1984 galt noch und ließ ein Privatlabor nur als Personalgesellschaft zu. Dadurch waren die Labors nicht verpflichtet, ihre Konten offenzulegen, und taten es auch nicht. Erst als das Gesetz 2011 geändert worden war und der damalige Ketterthill-Besitzer Jean-Luc Dourson seine Firma in eine Aktiengesellschaft umwandelte, entstand Transparenz über den Marktführer mit seinen 56 Prozent Marktanteil. Dagegen wurden die Laboratoires Réunis erst vor einem Jahr zur Société anonyme und haben noch keine ausführliche Bilanz publiziert. Das dritte Labor, Les Forges du Sud, ist bis heute eine Personalgesellschaft.
Weil die Krankenkassenunion, die 2009 zur CNS wurde, immer wieder an den Privatlabors zu sparen versuchte, und weil die Spitäler an „außerklinischen“ Analysen festhielten, führte der Privatlaborverband Klage und der Verwaltungsgerichtshof entschied 2007, den Spitälern das „Außerklinische“ per Jahresbudget mitzubezahlen, sei verfassungswidrig. Worauf die Kasse eine Lösung erfand, „klinisch“ und „außerklinisch“ zu trennen. Leicht war das nicht und für die Spitäler potenziell gefährlich: Laborkosten sind vor allem Personalkosten. Im Unterschied zu einem Privatlabor aber muss ein Kliniklabor nicht nur rund um die Uhr in Betrieb sein. Sein Personal unterliegt obendrein dem parastaatlichen Krankenhauskollektivvertrag. Der Grund, weshalb die Spitäler das „Außerklinische“ nie aufgaben, ähnelt dem der Privaten: Diese Analysen sind weniger aufwändig, recht häufig, gut automatisierbar und damit besonders rentabel.
Was erklärt, weshalb die anderen Kliniken so erbost waren über den Verkauf dieser Aktivität durch die Schumann-Gruppe: Seit 2005 steht im Raum, alle Kliniklabors zu „mutualisieren“. Dadurch sollen Kosten gespart und endlich für Ruhe zwischen Klinik- und Privatlabors gesorgt werden. Neben einem großen „Zentrallabor“ für alle soll in jeder Klinik nur ein kleines verbleiben; vor allem für dringende Fälle. Geplant war aber, auch das „Außerklinische“ zu mutualisieren. Dass die Schumann-Gruppe diesen rentablen Zweig abstieß, hätte für die anderen die Mutualisierung wegen relativ höherer Personalkosten verteuert.
Zumal Regierung und CNS 2014 meinten, die Margen der Privaten seien immer noch zu groß, und die Regierung im Zukunftspak alle Labortarife um 20 Prozent kürzte. Aber während bei Marktführer Ketterthill der Umsatz um 17 Prozent auf 29,7 Millionen Euro schrumpfte, ergaben sich dennoch 2,9 Millionen Nettogewinn. Dagegen wurde in allen Spitälern das „Außerklinische“ defizitär, wenngleich vielleicht auch nur leicht: Im CHL lag dieses Minus 2015 bei 200 000 Euro.
Betriebswirtschaftlich leuchtet es ein, dass die Schumann-Gruppe diesen Bereich abstieß. Und dass andere Kliniken das auch tun könnten. So scheint das mittlerweile auch die Ministerin zu sehen: Ihr Entwurf für ein neues Spitalgesetz enthält einen Artikel, der präzisiert, was für ein Kliniklabor „klinisch“ und was „außerklinisch“ ist. So soll, sagte Lydia Mutsch am Dienstag, verhindert werden, die anderen Spitäler gegenüber der Schumann-Gruppe zu „benachteiligen“.
Fragt sich nur, ob die Mutualisierung sich dann noch rechnet, ohne dass die CNS dafür Geld frei macht. Eigentlich soll die Mutualisierung sparen helfen. Und nicht zuletzt soll daran das LNS beteiligt werden. Das in eine öffentliche Einrichtung privaten Rechts umgewandelte Staatslabo hat an den biomedizinischen Analysen nur zwei Prozent Marktanteil. Ihm „Missionen“ zuzuweisen, unterblieb 2012 bei der Änderung des LNS-Gesetzes, um dem LNS „Flexibilität“ zu gewähren. Doch darunter leidet es bis heute. Erst dieses Frühjahr nahm sein Verwaltungsrat eine Strategie an; erst vergangene Woche gab Lydia Mutsch ihr grünes Licht; erst kommenden Montag soll sie öffentlich vorgestellt werden. Der aktuelle LNS-Direktor bemüht sich nicht nur, die organisatorischen Probleme um die Krebsanalysen in seinem Haus zu lösen, sondern auch um eine „Wiederbelebung“ der Mutualisierungs-Idee, an der das LNS teil hätte. Denn um die war es schon 2013 still geworden. Dem Krankenhausverband war in einer Expertise empfohlen worden, das „Zentrallabor“ weder auf der grünen Wiese neu zu bauen, noch es „an der Peripherie“ – im LNS im Düdelinger Frankelach – anzusiedeln, sondern am besten „beim CHL“.
Dass es dazu nicht kam, hat juristische und politische Gründe. Die Spitäler wollten zur Mutualisierung entweder ein Groupement d’intérêt économique gründen oder eine gemeinsame Firma. Worauf die CNS mitteilte, eine solche Struktur könne sie nur behandeln wie ein Privatlabor. Doch dann, fürchteten die Spitäler, ließen sich die Kosten für das parastaatliche Personal nicht decken. Der OGBL, hellhörig geworden, ließ sich von Lydia Mutsch versprechen, Personalabbau durch die Mutualisierung werde es nicht geben. Nach der Tarifsenkung für „außerklinische“ Analysen und dem Deal der Schumann-Stiftung mit den Laboratoires Réunis war die Mutualisierungs-Initiative klinisch tot.
Heute ist die Lage ungefähr die: Jahrelang blieb es den Spitälern überlassen, über die Zukunft „ihres“ Laborsektors zu befinden. Die Politik gabe weder Vision noch Strategie vor. Die CNS wollte Geld sparen. Nur das CHL hat, für sein Labor, so etwas wie eine Strategie. Es wurde modernisiert, so dass es heute technologisch ähnlich gut dasteht wie die Labors der Privaten, und es bietet auch sehr spezielle Analytik an. Zum Teil so spezielle, das sie dem LNS Konkurrenz macht. Den Privatlabors scheint es gut zu gehen. Sie kompensierten die Tarifkürzung durch Volumen: Die Zahl der Abrechungen mit der CNS wuchs 2015 um 3,5 Prozent. Die Laboratoires Réunis konnten offenbar nicht nur den Kauf des „Außerklinischen“ von der Schumann-Gruppe wegstecken. Sie übernahmen auch eine Laborkette in Belgien.
Florierende Privatlabors und eventuell weiteres Outsourcing oder Verkäufe der „außerklinischen“ Analysen der Spitäler: Das macht die Branche attraktiv für Übernahmen. Wie etwa jene, durch die 2011 Ketterthill in dem französischen Laborkonzern Cerba Healthcare aufging. Heute steht Cerba zum Verkauf. Doch der Konzern befindet sich seit 17 Jahren in einem Leveraged Buyout. Seine Aktienmehrheit wird von einem Private Equity Fonds zum nächsten weitergereicht, und dabei ein Schuldenstand, der immer höher wird im Vergleich zur Rentabilität. Für Leveraged Buyouts ist das typisch. Typisch ist aber auch, dass die hochriskanten Investitionen in eigentlich nicht gesunde Firmen hohe Profite abwerfen müssen, wenn der Aktionär nach fünf bis sieben Jahren wieder geht. Cerbas Hauptaktionär, der größte französische Private Equity Fonds PAI Partners, zahlte 2010 für seine Beteiligung 551 Millionen Euro. Heute könnte sie auf bis zu zwei Milliarden bewertet werden, wie laut der französischen Wirtschaftszeitung Les Echos (21.7.2016) Insider schätzen.
Geht das spekulative Spiel mit dem nächsten Investor weiter – was wahrscheinlich ist –, könnte der auf alle Cerba-Töchter Druck ausüben „rentabler“ zu werden. Und auf das bisher sehr rentable Labor Ketterthill, das konzernintern „cash cow“ genannt wird, diese Rolle weiter zu spielen. Das könnte heißen, politisch aktiv zu werden, damit die Tarife bloß nicht sinken. Oder Investitionen zu unterlassen. Ketterthill-Direktor Stéphane Gidenne beteuerte am 1. September gegenüber Paperjam, der Verkauf Cerbas habe „keinen Einfluss“ auf Ketterthill. Doch das kann er nicht wissen, das hängt vom nächsten Großinvestor ab.
Das Mindeste, was die Regierung einleiten müsste, ist eine Laborgesetzänderung, die eine Mehrheit an einem Labor durch eine Finanzgesellschaft untersagt. Denn Beteiligungen wie die an Cerba sind in Europa häufig. Die Biotech-Branche gilt als „konjunkturresistent“ und ist damit interessant für den Finanzkapitalismus. In der Gesundheitsszene heißt es, auch die Laboratoires Réunis stünden in Verhandlungen um eine Übernahme, und bei den Laboratoires Forges du Sud sei das nur eine Frage der Zeit. Klärt die Regierung nicht die Zukunft der Kliniklabors – und damit das Verhältnis zwischen „öffentlich“ und „privat“ – dann könnten spekulative Geschäfte mit den Labors weiter zunehmen. Und zu mehr als 90 Prozent ginge das zu Lasten der Allgemeinheit.