Sind Minister sich ihrer politischen Sache und ihrer Standfestigkeit nicht sicher, greifen sie schon mal zu unorthodoxen Methoden. Zum Beispiel machen sie Gesetzestexte als „Vorentwurf“ publik, den der Regierungsrat nur im Prinzip abgesegnet hat. Die Hoffnung lautet dann, dass Konflikte frühzeitig ausgetragen werden können und nach dem Depot der fertigen Gesetzentwürfe in der Abgeordnetenkammer alle Beteiligten möglichst ruhig bleiben.
Der Text für das neue Krankenhausgesetz ist so einer, der schon als avant-projet unter die Leute gebracht wurde. Doch damit hat Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) die Büchse der Pandora geöffnet: Von allen möglichen Seiten muss sie sich anhören, was im Spitalwesen schon längst hätte getan werden müssen. Die noch verbleibende halbe Legislaturpe-riode dürfte kaum reichen, alle Fragen zu klären.
Dabei will die Ministerin dem Land eigentlich nur zu einem neuen Spidolsplang verhelfen. Ungefähr alle fünf Jahre kommt ein neuer Plan hospitalier heraus, der das Krankenhausangebot anpasst, falls der „sanitäre Bedarf“ in der Bevölkerung sich geändert hat. So steht es im Krankenhausgesetz geschrieben und das klingt ganz plausibel.
Allerdings funktioniert das in der Praxis nicht gerade so. In erster Linie sind die staatlichen Spitalpläne Abwehrinstrumente nach außen: Steht geschrieben, dass es in Luxemburg nur so und so viele Krankenhäuser geben dürfe, und entspricht das der Zahl der bestehenden Kliniken, bleibt die ausländische Konkurrenz vor der Tür. Der Krankenhaus-Kollektivvertrag, der das Pflegepersonal Staatsbeamten gleichstellt, wirkt zusätzlich abschreckend.
Luxemburg-intern dagegen ist es ein offenes Geheimnis, dass die Spitalpläne juristisch schwach sind: Laut Verfassung ist das Gesundheitswesen eine „matière réservée à la loi“. Bisher aber kam jeder Spitalplan als großherzogliche Verordnung heraus, als eine Vorschrift der Regierung also. Sie zu übertreten, fiel deshalb leicht und geschah immer wieder: Die Bohler-Klinik richtete eine Pädiatrie ein, die der damalige Spitalplan für sie nicht vorsah. In der Zithakli-nik werden Operationen am Schädel vorgenommen, obwohl die Neurochirurgie als Service national für das CHL reserviert ist. In der Escher Clinique Sainte-Marie werden rund die Hälfte aller Grauen Stare im Land operiert, obwohl das kleine Spital eigentlich nur noch eine Geriatrie sein soll. Die Liste ließe sich fortsetzen: Geschützt vor der großen Konkurrenz aus dem Ausland gedieh die im Inland umso besser und gerne rüsteten konfessio-nelle „private“ Spitäler gegenüber den Häusern in öffentlicher Trägerschaft auf. Daran viel ändern zu wollen, wäre nicht zuletzt einem Aufstand gegen die CSV gleichgekommen, die schon in den Neunzigerjahren die Förderung der „privaten“ Konkurrenz zu ihrem politischen Anliegen gemacht hatte. So kam es, dass der damalige LSAP-Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo in dem Spitalplan, der 2009 in Kraft trat und noch heute gilt, allen Spitälern genehmigte, alles zu machen – auch das, wofür sie bis Ende 2008 nicht autorisiert waren.
Nun soll damit Schluss sein: Lydia Mutsch hat den neuen Spitalplan in ihren Spitalgesetz-Vorentwurf eingebaut. Acht medizinische Spezialitäten sollen nicht mehr überall angeboten werden: Lungen- und Nierenmedizin und plastische Chirurgie etwa, aber auch Augen- und Kindermedizin. Elf komplexere Spezialisierungen sollen in den schon viel zitierten „Kompetenzzentren“ gebündelt werden. Damit ist aber keine „Konzentration an einem Standort“ gemeint sein, sondern eher eine definierte Behandlungskette für bestimmte Fälle, zum Beispiel Diabetes, Wirbelsäulen-Operationen oder Krebs. „Flexibel“ könnten diese Behandlungen an verschiedenen Spitälern stattfinden. Die koordinierende Zuständigkeit trügen jedoch zwei Kliniken, die gemeinsam einen Antrag auf Zuerkennung eines Kompetenzzentrums gestellt haben müssten. Damit will die Ministerin verhindern, dass der Graben zwischen den öffentlichen CHL und CHdN und dem halb-öffentlichen Chem auf der einen Seite und den selbsternannten „Privatkliniken“ der Robert-Schumann-Stiftung des Bistums auf der anderen noch größer wird. Öffentlich finanziert werden die Krankenhäuser schließlich alle: Staatskasse und CNS bezahlen Investitionen in Bauten und Ausrüstungen, die CNS finanziert den laufenden Betrieb über die Klinikbudgets.
Doch wie die Ministerin derzeit erleben muss, läuft Spitalplanung nicht nur darauf hinaus, das Angebot dort zu straffen, wo es nach Meinung der Beamten des Ministeriums zu groß geworden oder zu wenig koordiniert ist. Seit ein paar Wochen wird hinter den Kulissen über den Vorentwurf diskutiert. Ehe die Debatten begannen, wurden Stellungnahmen geschrieben.
Anscheinend haben die Krankenhäuser gegen die Neuverteilung von Spezialitäten und gegen die Kompetenzzentren, von denen schon 2010 in der Gesundheitsreform die Rede war, nichts einzuwenden. Sie wollen aber wissen, wie der Kuchen aufgeteilt werden soll. Dazu steht in dem Gesetzes-Vorentwurf nicht viel: Lydia Mutsch hatte zwar dem Land in einem Interview erklärt, anhand „der besten internationalen Standards“ werde dafür gesorgt, dass „die nicht-bestmögliche Behandlung nicht länger angeboten“ wird (d’Land, 8.1.2016). Doch Normen pro Krankenhausabteilung festzulegen, soll fakultativ sein. Das ist schon seit 1998 so, wurde aber nie gemacht. Wie entschieden würde, wer was zugesprochen bekommt, falls es mehr Bewerber für Fachabteilungen gibt als geplant sind, klärt der Text nicht.
Der Krankenhausverband fragt sich auch, wie die Kompetenzzentren geführt werden sollen. Immerhin sollen sie an ihren Resultaten „gemessen“ werden. Doch wie das System hierzulande beschaffen ist, sollen die Spitäler lediglich bestmöglich ausgestattete Arbeitsplätze für die Ärzte bieten. Ins Tun und Lassen der Mediziner einmischen darf eine Klinikdirektion sich nicht. Wollte man die Spitäler bewerten, müsste man ihr Verhältnis zu den Ärzten ändern. Das aber das avant-projet nicht.
Lebhaft ist die Diskussion geworden, seit die CNS den Vorentwurf vor zwei Wochen regelrecht verrissen hat. Das von den Gewerkschafts- und den Unternehmerdelegierten im Kassenvorstand verabschiedete Papier, zu dem der Präsident als Unterstellter des Sozialministers sich seiner Stimme enthielt, wirft der Regierung einen Mangel an Courage und Weitblick vor: Die „für das Funktionieren des Gesundheitssystems essenziellen Fragen“ würden nicht berührt, „wahrscheinlich weil sie technisch und juristisch zu komplex und politisch zu sensibel sind“. Die CNS verlangt nicht nur klare und objektive Kriterien für die Zuerkennung von Fachabteilungen und Kompetenzzentren, weil andernfalls die Konkurrenz unter den Spitälern noch wachsen werde. Sie fordert beispielsweise auch ein „Informationsrecht“ für die Patienten über die „Qualität von Ärzten und Spitälern, insbesondere die Publikation von Qualitätsindikatoren“. Was Lydia Mutsch bisher abgelehnt hat. Sie fürchtet, das würde zwischen den Kliniken „Feindseligkeiten schüren“.
Die Idee, spitalübergreifende Kompetenzzentren zu bilden, teilt die CNS nicht unbedingt. Sie würde diese „Zentren“ lieber mit den Services nationaux, die an ein Spital gebunden sind, „fusionieren“, also klare Kompetenzen pro Spital vergeben. Und wenn sie schon am kühnen Denken ist, findet die CNS gleich noch „den Moment gekommen, alle Spitäler in einer einzigen öffentlichen Einrichtung zusammenzufassen“. Nur so könne der „Vorrang für Qualität gegenüber politischen Interessen oder dem Druck diverser Dienstleister-Lobbies“ gewahrt bleiben. „Wirksame Kontrolle und Überwachung“ sowie „geeignete finanzielle Sanktionsmechanismen“ sollten außerdem „den Respekt der Dienstleister gegenüber gesetzlichen Bestimmungen stärken“. Schließlich sei der Spitalsektor, rechne man die Honorare der Ärzte mit ein, über eine Milliarde Euro jährlichen Umsatzes schwer. „Nicht mehr hingenommen“ werden könne in dem Zusammenhang, dass das Engagement der freiberuflichen Belegärzte, die das Gros der Klinikmediziner ausmachen, auf Verträgen mit „minimalistischem“ Inhalt basiere, der nicht verbindlich festgeschrieben ist: Das werde den organisatorischen Zwängen der Spitäler, die ein Jahresbudget von bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung haben, zum Teil mehr als hundert Ärzte beschäftigen und mehr als tausend paramedizinische Angestellte, nicht mehr gerecht.
Dem Vernehmen nach hatte das CNS-Papier schon erste Folgen. Die „transversalen Kompetenzzentren“ stehen nun nicht mehr so fest. Und der Kranken-hausverband FHL, der von sich aus lieber nichts über die Rolle der Ärzte im Spital hatte sagen wollen, schrieb unter dem Eindruck der CNS-Forderungen der Ministerin einen ergänzten Vorentwurfs-Text. Darin stellt er sich vor, das Luxemburger System würde dem belgischen angenähert: In Belgien erhält der Patient eine einzige Rechnung, die sowohl Krankenhaus- als auch Arztleistungen umfasst; die Honorare reichen die Kliniken an ihre Ärzte weiter. Das böte, findet die FHL, interessante Möglichkeiten, um den Ärzten finanzielle Anreize zu setzen.
Theoretisch könnten Gesundheitsministerin und Regierung einiges davon aufgreifen. „Eine einzige Rechnung“ einzuführen, ist im Koalitionsprogramm vorgesehen. Das „Statut der Klinikärzte zu reformieren“ ebenso. Doch die Regierung dürfte sich kaum stark genug einschätzen, im selben Jahr, in dem die Steuerreform diskutiert werden soll und der Sozialminister seine Pflegeversicherungsreform auf den Tisch legen muss, mit der Neuausrichtung der Spitäler eine dritte politische Großbaustelle zu eröffnen, auf der obendrein Krach mit den Ärzten durchgestanden werden müsste. Zumal die Zeit drängt: Im Herbst muss der Regierungsrat das nächste Zweijahres-Globalbudget für die Spitäler beschließen. Da ist es wichtig zu wissen, wohin der Sektor mit seinem Angebot kostenmäßig steuert. Auch wenn er weiterhin nicht gut funktioniert.
Wie verfahren die Lage ist, sieht man daran, dass seit Ende 2008 alle Spitäler ohne Betriebsgenehmigung sind. Zwar erteilte Mars Di Bartolomeo ihnen im Spitalplan 2009 einen Freibrief. Anschließend aber gab das Gesundheitsministerium keine Genehmigungen für Krankenhaus-Abteilungen mehr heraus. Die CNS nennt das „kafkaesk“ und droht, was nicht genehmigt ist, werde sie demnächst nicht mehr bezahlen. Für die Regierung aber dürfte das ein Motiv mehr sein, nicht viel am Status quo zu ändern und irgendwie in ein Gesetz zu quetschen, was bisher immer in einem Règlement grand-ducal untergebracht wurde. Auch Lydia Mutsch hatte vor anderthalb Jahren in einem ersten Anlauf jenes Spitalplan-Update als Verordnung in Kraft setzen wollen, an dem schon unter ihrem Vorgänger gedoktert worden war. Hätte der Staatsrat ihr nicht ausdrücklich geschrieben, eine Verordnung reiche nicht, hätte sie wohl nie ans Krankenhausgesetz gerührt.