Als Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) dem Regierungsrat Anfang Januar einen Vorentwurf für ein neues Krankenhausgesetz unterbreitete, wollte sie damit die Zahl der Akutbetten in den Spitälern senken. Außerdem sollte das medizinische Angebot der Spitäler zum Teil gestrafft, und für elf komplexere Erkrankungen von Krebs über Diabetes bis Rheuma sollten „Kompetenzzentren“ geschaffen werden. Von solchen Einrichtungen war schon vor der Jahrtausendwende die Rede. Am 15. Juli gab der Regierungsrat dem endgültigen Gesetzentwurf grünes Licht. Er reicht wesentlich weiter als der Text vom Januar. Er enthält einen politischen Paukenschlag, er dürfte aber auch dafür sorgen, dass der Kliniksektor teurer wird. Was jedoch wenig damit zu tun hat, dass die Bettenzahl nun zunehmen statt sinken soll.
Wundersame Bettenvermehrung Weniger Betten, der Plan schien kühn. Zwar war bereits in der Vergangenheit „Bettenökonomie“ betrieben worden, aber Lydia Mutsch wollte die Zahl der Akutbetten von aktuell 2 312 auf 2 093 zurückfahren. Trotz allen Bevölkerungszuwachses und obwohl die Regierung schon vor zwei Jahren erklärt hatte, das Land fit für mehr Wachstum und für den berüchtigten 700 000-Einwohnerstaat in vielleicht zehn Jahren zu machen. Auf Nachfragen entgegnete die Ministerin im Januar noch tapfer, „wir senken die Bettenzahl ja nicht um fünfzig, sondern nur um fünf Prozent“ – in Wirklichkeit ging es um 9,4 Prozent –, und dass sie für mehr ambulante Behandlungen und für eine bessere Auslastung der Betten sorgen wolle.
Sechs Monate später ist alles anders. In dem endgültigen Gesetzentwurf, der noch nicht im Parlament deponiert ist, dem Land aber vorliegt, sind 2 350 Akutbetten als Maximum vorgesehen, immerhin 257 mehr als im Januar oder ungefähr so viele, wie das Ettelbrücker Krankenhaus Betten zählt.
Wer sarkastisch sein will, könnte behaupten, der Sparwille des Zukunftspak gelte nicht mehr, die Regierung verteile angesichts der Konjunkturdaten und der bevorstehenden Wahljahre Geschenke und wieso nicht auch Krankenhausbetten. Doch die Realität ist komplizierter: Dem Gesetzentwurf ist eine 50 Seiten lange „Bewertung des sanitären Bedarfs“ beigefügt, die das Gesundheitsamt angefertigt hat. Darin steht, der sanitäre Bedarf lasse sich nicht bewerten, denn es fehle, wie jeder wisse, noch immer an einer „strukturierten, ausführlichen und zuverlässigen Dokumentation“ aller Diagnosen und aller „Prozesse“ in den Kliniken. Deshalb schätzte das Gesundheitsamt mit Hilfe des Luxembourg Institute of Health den Bedarf nur ab und extrapolierte ihn ein wenig. Damit soll, steht nun im Gesetzentwurf, einer „unerwarteten Immigration“ Rechnung getragen werden können.
Was tut das System? Die Bettenfrage ist in dem Gesetzentwurf eher nebensächlich. Dass damit die „Krankenhaus-Dokumentation“ verknüpft wird, ist dagegen alles andere als zweitrangig: Schon Lydia Mutschs Vorgänger Mars Di Bartolomeo (LSAP), der das Luxemburger Gesundheitssystem gern „das beste der Galaxis“ nannte, wusste, dass es den Spitälern an einer Dokumentation mangelt. Weshalb seine Gesundheitsreform 2010 Abhilfe anordnete.
Doch während sich alle Beteiligten, von der Regierung über die CNS bis hin zu Krankenhausverband und Ärzteverband, schnell einig wurden, wie man künftig die Diagnosen dokumentieren würde, war das viel schwieriger mit der Dokumentation der „Prozesse“, also all dessen, was in einer Klinik am Patienten vorgenommen wird: Dafür sollte Luxemburg unter der vorigen Regierung die französische Klassifikation CCAM übernehmen. Doch die dient in Frankreich zugleich als Gebührenordnung der Ärzte. Die Luxemburger Ärzte-Gebührenordnung ist zwar veraltet, hat Lücken und provoziert von Fachrichtung zu Fachrichtung zum Teil enorme Ungerechtigkeiten in der Bezahlung. Woraus aber auch folgt, dass manche Facharztsparten dabei gut wegkommen. Deren Interessenvertreter im Ärzteverband AMMD fürchteten, ihre Honorarsätze könnten mit denen französischer Mediziner verglichen werden. Um das zu verhindern, tat die AMMD was sie konnte, um die CCAM zu verhindern. Dieses Jahre hatte sie endlich Erfolg. Der Krankenhausgesetzentwurf schreibt nun fest, was der Vorentwurf vom Januar noch nicht enthielt: Die Prozesse am Patienten sollen mit der US-amerikanischen ICD-10 PCS dokumentiert werden. Die legt keine Preise fest und international gebräuchlicher ist sie obendrein.
Das ist ein wichtiger Punkt in dem Entwurf. Einerseits weil endlich Konsens über die Dokumentation herrscht und demnächst Transparenz über die Krankenhausbehandlungen. Dann lässt sich in ein paar Jahren der sanitäre Bedarf an Betten und Klinikleistungen tatsächlich ermitteln.
Andererseits ist die Krankenhaus-Dokumentation ein bedeutender Baustein, um die Spitäler mehr als heute zu „Betrieben“ zu machen. Darüber wurde zum Teil erbittert gestritten, nachdem der Gesetzes-Vorentwurf im Januar zur Vorab-Konsultation an Ärzteverband, Krankenhausverband, CNS und Salariatskammer gegangen war. Der Krankenhausverband verlangte, die Spitäler müssten ermächtigt werden, sich selber besser zu führen: Sind sie doch die einzigen Akteure im Gesundheitswesen, für deren Zuwendungen aus der CNS ein gedeckeltes Globalbudget gilt. Doch was ein Spital tut, wie gut es ist und welche Kosten es verursacht, hängt sehr stark ab von den Verschreibungen der Ärzte. Die aber sind nach der momentanen Rechtslage sehr frei: Das Krankenhaus ist die Verlängerung des ärztlichen Cabinet und die Spitaldirektion lediglich dazu da, alles zu unternehmen, damit die Ärzte optimale Arbeitsbedingungen vorfinden.
Arzt im Betrieb Daran etwas zu ändern, steht im Regierungsprogramm unter der vorsichtigen Formulierung, das „Statut“ der Klinikärzte werde „neu definiert“. Im Januar war es Lydia Mutsch noch zu heikel, das schon ins Gesetz zu schreiben. Auf Druck des Krankenhausverbands und der CNS, die sogar so weit ging, der Regierung einen „Mangel an Weitblick und politischer Courage“ vorzuwerfen (d’Land, 1.4.2016), entschied sie schließlich anders. Nun steht in dem Text, obwohl der Arzt in seinen Beziehungen zum Patient autonom und unabhängig bleibe, müsse er sich den Zielen des Betriebs Krankenhaus unterordnen. Dazu definiert der Gesetzentwurf eine Hierarchie von der Klinikdirek-tion über Médecins-coordinateurs für jede Abteilung bis hin zum Arzt, und er erklärt den Krankenhausdirektor zum Chef und zum Patron, der über Zulassung und Abberufung von Ärzten entscheidet. Würde diese Regelung tatsächlich Gesetz, käme das einer kleinen Revolution gleich. Sie wird noch ein Stück größer durch einen Paragrafen, der Kliniken ermöglichen soll, ihre Ärzte an den Krankenhauskosten zu beteiligen.
Ob die Regierung dieses Vorhaben politisch durchsteht, bleibt abzuwarten: Der Ärzteverband könnte es als Kriegserklärung verstehen. Andererseits aber hat die AMMD bereits vor zweieinhalb Monaten weitreichenden Kontrollen der Klinikmediziner zugestimmt: Die Einigung auf die US-amerikanische Dokumentationsmethode anstelle der ungeliebten französischen handelten AMMD und CNS miteinander aus. Ministerin und Krankenhausverband stimmten dem nur zu. Im Juni fand die Einigung Eingang in die Konvention der Ärzteschaft mit der CNS und in die Konvention zwischen Kasse und Krankenhausverband. Demnach wird ab 1. Januar 2017 jegliche Aktivität der Ärzte in den Spitälern über die Dokumentation erfasst und kontrolliert; das Krankenhaus wird über alles informiert, was ein Arzt abgerechnet hat. Klinikintern wird eine neue Abteilung eingeführt, die alle Informationen zusammenfasst und in Berichte sowie in ein „klinisches Resümee“ für den Patienten schreibt. Am Ende könnte die AMMD, die gegen Mars Di Bartolomeos Gesundheitsreform zum Bummelstreik aufgerufen hatte, die geplante große Änderung stärker mittragen als man annehmen mag. Vielleicht, weil nun garantiert ist, dass die Luxemburger Tarife auf keinen Fall eines Tages etwas mit den französischen zu tun haben werden.
Ein großes Problem steckt in dem Gesetzentwurf. Die „Kompetenzzentren“, die im Januar noch so hießen, wurden umbenannt in „Kompetenznetzwerke“. Die Gesundheitsministerin hat klarstellen lassen, es sei nicht etwa vorgesehen, die Zuständigkeiten für bestimmte Pathologien „auf einen Klinikstandort zu konzentrieren“. Stattdessen sollen für 13 und nicht mehr nur elf Erkrankungen „Behandlungspfade“ festgelegt werden, die die Patienten durchlaufen würden und wo ihnen die bestmögliche, auch multidisziplinäre Versorgung zuteil würde. In den Netzwerken könnten mehrere Spitäler, aber auch der außerklinische Bereich mitwirken.
Superstruktur Ob so ein Verbund sich gut organisieren ließe, ist eine Frage. Eine andere, welche Rolle dabei die von Lydia Mutsch geplante Superstruktur spielen wird: Um die Kompetenznetzwerke zu führen, soll ein Direktionskomitee geschaffen werden. Angehören sollen ihm Direktionsvertreter der vier großen Akut-Spitalgruppen CHL, Chem, CHdN und Schuman-Stiftung sowie zwei aus den spezialisierten Kliniken, worunter das Herzchirurgiezentrum, das Strahlentherapiezentrum, das Rehazenter und das Neuropsychiatrische Krankenhaus in Ettelbrück fallen. Hinzukommen soll je ein Vertreter von Gesundheits- und Sozialministerium, der CNS, der Nationalen Konferenz der Ärzteräte und der vom OGBL dominierten Patientevertriedung.
Ein übergreifendes Gremium über alle Spitäler zu schaffen, ist eine plausible Idee. Immerhin sind sämtliche Krankenhäuser öffentlich finanziert, ganz gleich ob ihre Träger eine öffentliche Einrichtung sind oder eine Aktiengesellschaft. Doch wenn das neue Direktionskomitee den Umgang mit Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer managen soll, dann wird seine Bedeutung derart groß, dass das sämtliche Krankenhausdirektionen anreizen dürfte, dort maximalen Einfluss zu gewinnen. Auch weil die vier Akutkrankenhäuser zusammengenommen in dem Gremium nicht in der Mehrheit sein sollen. Und weil die Kompetenznetzwerke noch nicht definiert sind: Sehr wahrscheinlich werden demnächst alle Krankenhäuser versuchen, für jede in die 13 Netzwerke fallenden Erkrankungen maximal viele Fälle nachzuweisen.
Damit dürfte die Konkurrenz unter den Kliniken zunehmen und das Gesundheitswesen teurer werden. Aber tritt das ein, kann das Direktionskomitee dazu dienen, die Schuld daran zwischen den Spitälern hin und her zu schieben und die Patientevertriedung noch mitreden zu lassen. Sind die Krankenhausärzte stärker in den Betrieb Klinik eingebunden, wie das geplant ist, könnten sie überdies mehr als heute unter Druck kommen, wenn das Geld knapper wird und es heißen könnte, sie verschrieben „zu viel“. Die Quintessenz des Gesetzentwurfs scheint daher: Eine wirklich aktive Gesundheitspolitik liegt ihm nicht zugrunde. Da die Regierung nicht so weit zu gehen wagt, jedem Krankenhaus Zuständigkeiten zuzuweisen, greift sie zu einer Zwischenlösung, die sich vielleicht als untauglich erweisen soll, ehe man tatsächlich Kompetenzen pro Spital definiert. Bis dahin werden für die absehbaren Konflikte Schauplätze geschaffen, wo die Konflikte nicht hingehören – weil sie politische sind.