Sie waren die EU-weit zufriedensten mit der Währungsunion gewesen: die Luxemburgerinnen und Luxemburger. 83,4 Prozent von ihnen hatten sich in der vor einer Woche veröffentlichten Eurobarometer-Umfrage Nummer 57.1 für persönlich „sehr“ oder „ziemlich zufrieden“ mit dem Ablauf der Euro-Einführung erklärt. In Belgien waren das 71,1 Prozent der Befragten, in Deutschland nur 55,2 und in Frankreich lediglich 46,6 Prozent.
Doch wenn es ums eigene Geld geht, zeigt auch hier zu Lande der Frohsinn Risse. 60 Prozent der Leute meinen, die Euro-Preise seien allgemein und überall aufgerundet worden – vor allem in Cafés und Restaurants, in Supermärkten und bei Diensleistern, wie etwa in Frisiersalons.
„Euro = Teuro, auch in Luxemburg!“, überschrieb am Mittwoch vor einer Woche der OGB-L eine Pressemitteilung – in Anlehnung an die in Deutschland vor allem in den Medien geführte Diskussion, in der die Bild-Zeitung das Wortspiel Euro-Teuro kreiert hatte.
Einen Tag zuvor war der Vorstand der Gewerkschaft zu dem Schluss gelangt, dass die Indexanpassung, die bereits zum 1. Juni erfolgt ist und nicht erst im Frühherbst, „aufgrund der Preisentwicklung bei der Euro-Einführung“ vorgenommen werde. Beweisen kann der OGB-L diese Behauptung freilich nicht. Sein Präsident John Castegnaro kümmert sich persönlich um die Teuro-Frage. Nachdem in der zweiten Hälfte letzten Jahres die doppelte Ausweisung der Preise in Franken und Euro begann, hatten OGB-L-Mitarbeiter Testeinkäufe gemacht und verschiedene Manipulationen entdeckt. „Das sollten wir vielleicht jetzt wieder machen“, räumt Castegnaro ein. Aber wenn die Indexanpassung früher geschieht als ursprünglich gedacht, müsse man nach einem Teuro-Effekt fragen. Und es müssten Daten auf den Tisch, die klären, inwiefern ungerechtfertigte Preiserhöhungen die Inflation anheizen. Von den zuständigen Stellen bekäme man keine Antwort, klagt der OGB-L-Chef. Mit „Euro = Teuro“ habe man „die Alarmglocke läuten“ wollen. Denn auffällig sei: „Immer mehr unserer Mitglieder rufen uns an und sagen, sie kämen mit ihrem Geld nicht mehr aus.“
Dass die Preise in Einzelhandel und Gastronomiebetrieben systematisch angehoben worden wären, bestreiten die Handelskonföderation CLC und der Verband der Restaurant-, Café- und Hotelbetreiber Horesca energisch. Beide verweisen auf die Euro-Charta, die sie im letzten Jahr gemeinsam mit der Handwerkervereinigung und dem Konsumentenschutzverband unterzeichnet und sich verpflichtet haben, die Umrechnung von Franken in Euro entweder ganz exakt vorzunehmen, oder zum Vorteil der Kunden abzurunden. „Unsere Mitglieder haben sich so lange bemüht, Vertrauen zum Kunden aufzubauen“, heißt es von der CLC, „das setzen die doch nicht so einfach aufs Spiel!“ Die Horesca verweist auf die „riesige Konkurrenz in unserer Branche. Wie schnell könnten die Leute anderswo hingehen, wo es billiger ist.“
Einen Preisanstieg nicht nur in Einzelhandel und Gatronomie offenbart allerdings ein Blick in die Statistik. Nicht unbedingt auf die allgemeine Inflationsrate: die oszillierte im letzten Jahr um 2,7 Prozent, hatte im Mai ihr Maximum von 3,3 Prozentpunkten erreicht, dagegen kurz vor Einführung des Euro im Dezember 2001 ein Minimum von 1,7 Prozent. Wuchs im Januar/ Februar 2002 erneut auf 2,3 Prozent, betrug im März 2,1 und im April 2,15 Prozentpunkte. Auch wenn sich Ende Mai eine Steigerung von 2,5 Prozent über die letzten sechs Monate hinweg eingestellt hat und damit wieder eine Indexanpassung fällig wurde, ist dieses Inflationswachstum eher ein längerfristiges und deutet nicht gerade auf eine Explosion der Preise nach der Währungsunion hin. Bei Redaktionsschluss lagen die neuesten Statec-Daten zur Indexanpassung noch nicht vor; doch selbst wenn die Inflation insgesamt nicht weiter gewachsen sein sollte, reicht der langfristige Effekt zum Fälligwerden der Indextranche aus. Dass auch der Statec „Euro-Effekte“, welche die Verbraucher als „gefühlte Inflation“ verspüren, nicht ausschließen will, liegt daran, dass die allgemeine Inflationsentwicklung wegen der Zusammensetzung des Warenkorbs mit 7 000 unterschiedlich gewichteten Bestandteilen von den Wohnungsmieten über Kinderkrippengebühren bis hin zum Brotpreis so voll ist, dass einzelne Posten darin untergehen können. Gerade die Preise für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke haben sich besonders stark erhöht: Im April dieses Jahres lagen sie um 4,3 Prozent über denen vom Vorjahr, wobei Obst (+ 10,5) und Gemüse (+ 14,5) mit Abstand am stärksten betroffen waren, gefolgt von Milchprodukten (+ 3,6), Fleisch (+ 3,1), Brot (+ 2,7) und Fisch (+ 2,2 Prozent).
Diese Preissteigerungen seien im Vergleich zu den Vorjahren ungewöhnlich, sagt Roland Kerschenmeyer, der beim Statec die Indexentwicklung verfolgt. Noch bis Ende der 90-er Jahre seien gerade die Lebensmittelpreise ein stabilisierender Faktor im Warenkorb gewesen. Der Anstieg ließe sich jedoch bei Obst und Gemüse durch die ungünstige Witterung im Winter erklären, beim Fleisch durch die letzten Produktionskrisen nach BSE und MKS, wodurch auch Engpässe beim Fisch aufgetreten seien. Der Brotpreisanstieg könne zu tun haben mit der völligen Freigabe dieser bis dahin reglementierten Preise durch den Wirtschaftsminister im November letzten Jahres. Einen Teuro-Effekt untersucht der Statec derzeit gemeinsam mit der Zentralbank. Interessant wird dabei sein, inwiefern die sogenannten psychologisch „attraktiven Preise“ in Franken durch solche in Euro ersetzt wurden. Bis Ende 2001 waren aus einer Teilmenge von Posten des täglichen Bedarfs im Warenkorb 28 Prozent der Franken-Preise in Richtung „attraktiver“ Euro-Preise, die sich nach der Währungsumstellung ergeben würden, erhöht worden; Ende Januar waren es 42 Prozent gewesen. Damit aber habe der Euro zumindest damals allenfalls mit 0,1 bis 0,15 Prozentpunkten zum Preisauftrieb beigetragen – ein zuvor vom Statec erstelltes worst case-Szenario war davon ausgegangen, dass der Euro-Effekt das Vier- bis Fünffache betragen hätte, sollten tatsächlich alle Preise systematisch nach oben aufgerundet werden.
Genaue Informationen der Statistiker werden jedoch noch eine Weile auf sich warten lassen: Erste Ergebnisse würden im Juli vorliegen, sagt Roland Kerschenmeyer, komplettiert werde die Analyse aber erst gegen Ende des Jahres sein. Zu schwierig sei die Trennung der Preisentwicklung von saisonalen Einflüssen, und die Tatsache, dass Luxemburg ein Importland für viele Waren des täglichen Bedarfs ist und von ausländischen Lieferanten auch höhere Preise importiert, erschwere die Abschätzung der tatsächlich im Lande selbst erzeugten Teuerung zusätzlich.
Verweise auf das Ausland macht auch das dem Konsumentenschutzverband angeschlossene Euroguichet: Dort will man heimischen Händlern keine Generalschuld an höheren Preisen geben. Zumal Saisonpreise nicht bei der Direction de la concurrence et de la protection des consommateurs (dem früheren Office des prix) im Wirtschaftsministerium notifiziert werden müssen und ebensowenig die für Importprodukte – von denen es in Luxemburg viele gibt. Knapp 1 000 Teuro-Beschwerden sind beim Euroguichet seit Sommer 2001 eingegangen. „Viele“ hätten sich jedoch als gegenstandslos herausgestellt, ebenfalls „viele“ hätten sich um die erhöhten Brotpreise gedreht, bei „vielen“, die Luxusgüter betrafen, sei es „nur um ein paar tausend Franken Differenz“ gegangen.
Konkrete Zahlen will das Euroguichet prinzipiell nicht nennen: Das sei in Luxemburg „zu delikat“: „Wir produzieren keine Schlagzeilen wie im Ausland.“ Im Übrigen stehe man in enger Verbindung zu „vielen“ Verbrauchern, die seit Monaten intensiv die Preise beobachten und gar Excel-Dateien mit Preisvergleichen an die Konsumentenschützer schicken würden: „Es ist ganz erstaunlich, welche Preisstabilität sich daraus ablesen lässt.“ Und im Unterschied zum OGB-L-Chef, der vermehrt Telefonanrufe besorgter Konsumenten erhalten haben will, sei die Zahl der Anrufe bei den Konsumentenschützern rückläufig. Selbst die Brotpreisliberalisierung vom letzten Herbst habe allem Anschein nach keine tiefgreifenden Auswirkungen: Eine Mitte April vom Konsumentenschutzverband vorgenommene Kontrolle in zehn Bäckereien von Diekirch bis Foetz habe Preisunterschiede für ein Kilo Mischbrot lediglich zwischen 1,71 und 1,95 Euro festgestellt.
Da müsse wohl die Psycholgie eine Rolle spielen und die Wahrnehmung der Käufer: „Mittlerweile sind die Obst- und Gemüsepreise um 30 bis 50 Prozent rückläufig. Aber das fällt den Leuten nicht so auf.“ Ähnlicher Meinung ist auch die Horesca: „Hätten die Leute in den letzten fünf Jahren die Preise so genau betrachtet wie derzeit, wären ihnen viel größere Schwankungen aufgefallen.“ Auch die Preiswächter im Wirtschaftsministerium haben seit Einführung der doppelten Preisbezeichnung im letzten Jahr bis heute nur 40 Verstöße festgestellt; überwiegend gegen diese „double affichage“.
Grund zur Entwarnung also? Das nicht, heißt es beim Euroguichet. Grund zur Panik bestehe jedoch ebenfalls nicht. Und immerhin ist man dort bereit, Verständnis für manch Preiserhöhung aufzubringen. Restaurants müssten Preissteigerungen nicht beantragen, und die Leute könnten ja woanders essen gehen. Nicht alle Parkhäuser hätten ihre Gebühren mit dem Euro erhöht, sondern nur manche. Die höheren Kinokartenpriese wurden vom Wirtschaftsminister schon im letzten Jahr genehmigt, und wenn etwa elektromechanische Spielzeuge, wie Schaukelpferde, auf die Kinder sich setzen können, neuerdings 1 Euro anstelle früher 20 Franken kosten, müsse man bedenken, dass der Betreiber Kosten bei der Umstellung des Automaten gehabt habe und den nunmehr höheren Preis „wahrscheinlich in den nächsten Jahren nicht mehr anheben“ werde. Inwiefern gerade letztere Preiserhöhung gerechtfertigt sei, werde zurzeit jedoch untersucht.
Es fällt allerdings auf, dass Preiswächter und Konsumentenschützer nervös reagieren, spricht man sie auf den „Teuro“ an. Gerade so, als könnte eine Debatte der Lebenshaltungskosten dem Luxemburger Konsensprinzip zuwiderlaufen. Da im benachbarten Deutschland die Diskussion ungleich lebhafter geführt wird und hier zu Lande die Bild-Zeitung mehr Leser hat als das Luxemburger Wort, wären verlässliche Aussagen zum Euro/Teuro nötig. Denn: Ob Teuro oder nicht, es sind erwiesenermaßen ganz verschiedene Preise gestiegen.
Das Familienministerium erhöhte zum 1. März die Gebühren für die Unterbringung in den staatlich konventionierten Kindertagestätten um 18 Prozent (siehe d’Land vom 24. Mai 2002); das Unterrichtsministerium vervierfachte schon zum Beginn des neuen Schuljahres im Herbst 2001 die Preise für die Kurse in der Erwachsenenbildung von vorher 1 000 Franken auf 100 Euro. Wenn, wie die Financial Times Deutschland am 15. Mai schrieb, der Auftrieb im Preisindex zwischen März und April in Deutschland nur noch bei 0,1 Prozent, in Frankreich bei 0,5, in den Niderlanden bei 0,7, in Italien bei 0,8 und in Spanien bei 1,4 Prozent lag, liegt Luxemburg mit seinen 0,39 Prozent laut Statec zwar nicht schlecht, seine Abhängigkeit von Importen aber lässt gerade die Einzelhandelspreise von einer gesamteuropäischen „Teuro“-Tendenz abhängig bleiben. Es mag schon sein, dass Käuferinnen und Käufer nach dem Euro unbewusst Fehler machen. Etwa die in einer Analyse der Zentralbank im letzten Jahr angedeuteten: Wenn die neuen Preise gegenüber denen im alten Franken ausgewiesenen im Betrag um den Faktor 40 kleiner sind, könnten die Preise unterschätzt werden – und die Leute mehr Geld ausgeben. Wenn jedoch laut der umfangreichen Statec-Studie von 1998 über die Ausgabenstruktur der Luxemburger Haushalte eine Großverdienerfamilie aus „Directeurs, cadres supérierieurs, professions libérales et intéllectuelles“ 7,4 Prozent ihres Jahresbudgets für Lebensmittel ausgibt, sind es in einer Arbeiterfamilie (10,6 Prozent) auf das Einkommen bezogen anderthalb Mal mehr.
Aus dem Preisauftrieb in der Gastronomie (+ 4,2 Prozent zwischen April 2001 und April 2002), Autoreparaturen (+ 8,1) ist ebenfalls ein Anstieg der Lebenshaltungskosten ablesbar. Dass die Mieten relativ stabil blieben, die Preise für Erdgas und Festbrennstoffe sanken (zwischen April 2001 und 2002 um minus 11,7 bzw. minus sieben Prozent) und der Posten „Logement, eau, électricité et combustibles“ der im Warenkorb am stärksten gewichtete ist, hat den Index beruhigt. Doch gerade für die „kleinen Leute“ wird das Leben dennoch teurer.
Das dürfte die Erklärung sein für die Anrufe, die der OGB-L verstärkt erhalten will. Die Handelskonföderation hat unterdessen schon „das Gefühl“, dass die Leute weniger einkaufen: Repräsentativ seien diese Angaben zwar noch nicht unter den CLC-Mitgliedern erhoben worden, es gebe jedoch Anzeichen dafür, dass die Einkaufslust seit März/April sinkt.
Peter Feist
Kategorien: Klima, Nachhaltige Entwicklung, Wirtschaftspolitik
Ausgabe: 11.04.2002