Es genügte diese Woche, an einem einzigen Tag die Titelseiten der Zentralorgane der Wall Street oder der Londoner City zu lesen, um an den Sommer 2008 erinnert zu werden. In den USA stimmten Parlament und Senat einer Erhöhung der Staatsschuld und einer Senkung der Staatseinnahmen zu, mit denen besagte Schuld beglichen werden soll. Der spanische Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero brach zum zweiten Mal seinen Urlaub ab, um in Krisensitzungen über die immer teureren Zinsen der spanischen Staatschuld zu beraten. Nachdem das italienische Parlament zwecks der in Krisen üblichen Benennung semitischer Sündenböcke ein Burka-Verbot gestimmt hatte, flog Finanzminister Giulio Tremonti zum Vorsitzenden der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, und beriet zwei Stunden darüber, wie Italien bei null Prozent Wachstum sechs Prozent Zinsen auf seiner Staatsschuld zahlen soll. Die Schweizer Nationalbank senkte unterdessen ihren Zinsfuß auf fast null Prozent, um sich, wahrscheinlich erfolglos, der Zuflucht suchenden Kapitalien zu erwehren. In der allgemeinen Ratlosigkeit fragte das gottesfürchtige Luxemburger Wort auf einer ganzen Zeitungsseite sogar den Chef der rotchinesischen Rating-Agentur Dagong um Rat.
Nur vom Gipfel, mit dem die Europäischen Union vor 14 Tagen schon wieder Griechenland beziehungsweise dessen Gläubigerbanken mit Hilfe italienischer, spanischer und anderer hoch verschuldeter Bürgen vor dem Konkurs zu retten versucht hatte, geht noch ungefähr so viel die Rede wie von den Maastrichter Stabilitätskriterien. Denn bis sämtliche natio[-]nale Parlamente die dringlich beschlossene Reparatur des europäischen Rettungsschirms verabschiedet haben werden, dürften noch Monate vergehen – nicht einmal das fleißige Luxemburger Finanzministerium hat den entsprechenden Gesetzentwurf bisher in der Sommerpause vorgelegt.
So ist die vor drei Jahren mit den von Anfang an unbezahlbaren Hypothekenschulden offen ausgebrochene Krise dabei, dem Höhepunkt ihrer nächsten Etappe, der mit Griechenland, Irland, Portugal und wohl auch Zypern noch diskret begonnenen Krise der Staatsschulden, zuzusteuern. Denn um für die Schulden Italiens oder Spaniens aufzukommen, die zusammen fast ein Drittel der gemeinsamen Wirtschaftsleistung ausmachen, hat auch die Europäische Union nicht genug Geld. Dabei haben von dieser Schuld die europäischen und nicht zuletzt die luxemburgischen Banken und Versicherungen so riesige Mengen, dass dem Land das Schicksal Irlands blühen könnte.
Die ökonomischen Widersprüche drohen, sich weiter zuzuspitzen, wenn der Konjunkturaufschwung totgespart werden soll, um das Staatsdefizit zu verringern, ohne die Steuereinnahmen zu erhöhen, damit die Armen die Zeche zahlen. Hinzu kommen die Auswirkungen einer in den USA geplanten dritten Ausweitung der Geldmenge auf ihre Gläubiger und Handelspartner. Womit sich auch die sozialen Widersprüche zuspitzen: In den USA verhindert die Radikalisierung der Republikanischen Partei, in Deutschland ein deutschnationaler Flügel der Regierungsparteien die Suche nach einem vernünftigen Ausweg. Während in Südeuropa Gewerkschaften und Idignados gegen die bald unerträglichen Sparmaßnahmen aufbegehren. Vor diesem Hintergrund stellen Maßnahmen, wie der am Donnerstag wieder begonnene Ankauf von portugiesischen und irischen Staatspapierien durch die Europäische Zentralbank, eher vorübergehende Erleichterungen als eine Lösung dar. Der Sommer vor drei Jahren hatte mit dem Konkurs der Bank Lehman Brothers gezeigt, dass es in einigen Wochen oder einigen Monaten eines einzigen Vorfalls bedarf, um einen erneuten Krach auszulösen.