Der Euro ist gerettet! Ganz sicher bis September. Mindestens für ein halbes Jahr oder ein ganzes, wahrscheinlich für zwei Jahre. Griechenland ist bis 2020 refinanziert, glaubt der griechische Premierminister Gior[-]gos Papandreou, und das, obwohl das beschlossene Hilfspaket nur bis 2013 läuft. Wie knapp die Eurozone an der großen Krise vorbeigeschrammt ist, zeigt das Griechenlandrating von Moody’s vom letzten Montag punktgenau an. Da wurde es auf Ca herabgestuft, die letzte Wertung vor dem Zahlungsausfall. Mit 109 Milliarden Euro an neuen Krediten wurde die Staats[-]pleite der Griechen abgewendet. Europas Staatsführer hoffen nun, dass die Attacken auf überschuldete Mitglieder der Eurozone aufhören und Portugal, Irland, Italien, Spa[-]nien und Belgien erst gar nicht in den Fokus von Spekulationsfantasien über ihre Zahlungsfähigkeit geraten.
Griechenland erhält nicht nur neue Kredite, sondern solche, die von den anderen Eurostaaten garantiert sind. Das bringt Griechenland über die Jahre eine Zinsersparnis von 30 Milliarden Euro und der Eurozone die Einführung von Eurobonds durch die Hintertür. Laut Frankfurter Allgemeiner Zeitung sprach der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, davon, man sei „nicht meilenweit“ von Eurobonds entfernt, „Man darf es nur nicht so nennen, weil das an einigen Orten in Europa zu Pickeln im Gesicht führt.“ Juncker hat damit nicht nur bei Eurobonds, sondern auch in der Bewertung der Gipfelergebnisse insgesamt ein Bild gewählt, das vor allem klarmacht: Eine Schönheit ist dieser Kompromiss keineswegs. Und potenziell schmerzhaft obendrein.
Am Stichwort Eurobonds kann man auch die größte Kritik am euro[-]päischen Krisenmanagement festmachen. Hätten die Deutschen den Eurobonds schon 2010 zugestimmt, dann hätte sich die Krise rund um die Verschuldung Griechenlands und des Zusammenhalts der euro[-]päischen Währungsgemeinschaft nie so dramatisch entwickeln können. Gescheitert ist das bisher vor allem an der sturen Angela Merkel, die 2010, als Griechenland zum ersten Mal pleite zu gehen drohte, so gar nicht damit einverstanden war, dass die in der Eurozone mitgefangenen Mitgliedstaaten auch zugleich mit Griechenland mitgehangen werden sollten.
Hätte, wäre, könnte. Nur selten gibt es ein Ereignis, das erst drei Tage in den Zeitungen durchgekaut werden muss, damit es, endlich, verdaut werden kann. Wer hätte am letzten Wochenende Politiker sein wollen in Brüssel und Entscheidungen treffen müssen über Millionen Euro, aber auch über das Schicksal von Millionen Menschen, ohne wirklich die Gewissheit zu haben, das Richtige zu tun? Der klugen Ratschläge von Ökonomen gab und gibt es genug und nicht wenige davon widersprechen sich diametral. Es galt, die Übel gegeneinander abzuwägen und so wenig Unheil anzurichten wie möglich.
Das Rettungspaket von Brüssel ist typisch europäisch: Es löst das griechische Problem nicht, aber es gibt Griechenland die Möglichkeit, durchzuatmen und wieder Hoffnung zu gewinnen. Je nach Rechnung vermindern sich die potentiellen Schulden des Landes um knappe 60 Milliarden Euro, das sind immerhin ein Sechstel des Gesamtbetrages. Das Land kann seine Strukturen nun in einem mehrjährigen Prozess verändern und nach einem neuen Geschäftsmodell suchen. Manche sehen das lediglich in einem Schrumpfen der Löhne, um Griechenland eine bessere Wettbewerbsposition im Kampf um die Touristen zu verschaffen, andere wollen in neue Technologien, zum Beispiel in der Energieerzeugung investieren. Mit den Beschlüssen von Brüssel ist in Athen der Startschuss für das große Aufräumen und Ärmelaufkrempeln gefallen. Nun ist es an den Griechen, den Becher, der ihnen noch bleibt, zu leeren und allen zu zeigen, dass sie wieder selber Meister ihres Schicksales werden können.
Typisch europäisch ist auch, dass man die Lasten gemeinsam trägt. Der Eurorettungsschirm vergibt Kredite, die Griechenland beinahe beste Zinsen bieten. Er kann dies tun, weil seine Anleihen von allen Eurostaaten garantiert sind. Das gleiche gilt beim Umtausch von kurzfristigen in längerfristige Kredite bei gleichzeitigem 20-prozentigen Abschlag durch Banken und Versicherungen, auch hier garantieren die Eurostaaten die neuen Titel. Typisch europäisch ist aber auch, dass Deutschlands Anteil mit 25 Prozent der größte ist. Deshalb gilt, was viele Europapolitiker seit 2010 wissen: Über die Zukunft des Euro wird in Berlin entschieden.
Le Monde spricht in seinem Kommen[-]tar zum Gipfel von der europäischen Supermacht Deutschland. Nach dessen wirtschaftspolitischer Decke werden sich Frankreich und Europa zukünftig noch mehr strecken müssen. Was das heißt, belegen jüngste statistische Daten, nach denen die Reallöhne seit dem Jahr 2000 in Deutschland gesunken sind, in den unteren Lohngruppen sogar überdurchschnittlich. Deutschland muss[-]te erst eine harte Kur durchlaufen, bevor es in der Währungsunion seine Wettbewerbsfähigkeit sichern und ausbauen konnte. Die anderen müssen nun nachziehen. Was das bedeutet, lässt sich in Portugal, Spanien, Irland schon und bald auch in Italien und Belgien besichtigen. In Frankreich versucht Sarkozy, weitere strukturelle Anpassungen bis nach den Präsidentschaftswahlen zu verschieben. Denn wenn der Satz gilt, dass über die Zukunft des Euro in Berlin entschieden wird, dann gilt auch der Satz, dass die Eurozone deutscher werden muss, wenn sie als Währungsraum überleben will.
Noch ist nicht klar, ob die Bevölkerungen, allen voran die griechische, die ihnen aufzuerlegenden Lasten zu tragen bereit sind. Was wäre, wenn die Griechen morgen ihre Regierung durch Proteste zum Rücktritt zwingen würden? Denn auch darin sind die Brüsseler Beschlüsse europäisch, sie lösen das Problem nicht grundsätzlich. Griechenland wird von seiner Schuldenlast nur gerade um so viel erleichtert, dass es wieder atmen kann. Für einen echten Neuanfang mit einem 50-, ja 70-prozentigen Schuldenschnitt hat die Kraft nicht gereicht. Aber doch dafür, dass gleichzeitig mit der „Umschuldung“ auch die Möglichkeit geschaffen wurde, dass der Euro-Rettungsfonds zukünftig wie ein Europäischer Währungsfonds Kredite schon dann bereit stellen kann, wenn eine Refinanzierungskrise für ein Land absehbar wird. Damit soll der Spekulation dauerhaft Einhalt geboten werden.
Um eines aber kommt niemand herum. Ähnlich wie die Zentralbanken in der Finanzkrise immer noch mehr billiges Geld zur Verfügung gestellt haben, obwohl eben dies im Vorfeld zum Entstehen dieser Finanzkrise erheblich beigetragen hatte, stellen die Euroländer nun Kredite zu besseren als Marktbedingungen zur Verfügung, obwohl gerade die verbilligten Kredite unter dem Dach der Währungsunion Griechenland und andere Eurostaaten dazu verführt haben, sich so leichtsinnig zu verschulden. Die Krankheit selbst wird so zum Heilmittel. Was sich wie Homöopathie oder Zauberei anhört, kann nur erfolgreich sein, wenn der Patient dem Doktor glaubt und sich an die Einnahmevorschriften hält. Nur dann kann diese Rettungsaktion das bleiben, was man uns seit einem Jahr alle paar Monate aufs Neue verspricht: einmalig.