„Was passiert, wenn das griechische Parlament einem neuen Spar- und Privatisierungsprogramm nicht zustimmt?“, fragten am Montag nach dem Treffen der EU-Finanzminister in Luxemburg Journalisten den Vorsitzenden der Eurogruppe Jean-Claude Juncker. „Wenn nicht, wenn nicht...“; ihm fehlten die Worte. Nach den langen Nachtsitzungen vom Wochenende hatte Juncker die Stimme verloren.
Der Druck auf Griechenland ist enorm. Mit der Haushaltskonsolidierung geht es nicht so voran, wie letztes Jahr beim Beschluss der Hilfspakete geplant. Unter anderem, weil die Steuereinnahmen sich nicht entwickeln wie gehofft. Die Hellenen müssen nachlegen, damit ihnen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Euroländer eine weitere Tranche des laufenden Hilfsprogramms auszahlen. Und ein zusätzliches Hilfspaket gewähren. Bis zum 3. Juli, wenn eine Sondersitzung der Eurogruppe stattfindet, sollen die Details dieser Maßnahmen geklärt sein, damit neues Geld nach Athen überwiesen werden kann. Der Preis für die neuen Milliardenhilfen ist hoch. Auch wenn die griechischen Abgeordneten Ende Juni neuen Sparmaßnahmen zustimmen sollten, wächst der Widerstand in der Bevölkerung; immer mehr Griechen gehen als Zeichen des Protests auf die Straße, wo es mehr oder weniger friedlich zugeht. Doch ohne neue Hilfen droht Griechenland noch kommenden Monat die Insolvenz.
Darüber, wie realistisch oder effi-zient die Maßnahmen sind, die von der Troika aus IWF, EU und Europäischer Zentralbank im Gegenzug für weitere Unterstützung gefordert werden, gehen die Meinungen auseinander. Der Luxemburger Zentralbankchef Yves Mersch erklärte Ende vergangener Woche in Hamburg: „Die Verhandlungen darüber basieren wie bislang auf der berechtigten Überzeugung, dass Griechenland solvent ist. Das bedeutet, dass es sowohl auf einen nachhaltigen Wachstumspfad als auf ein tragbares Schuldenniveau finden kann, sofern die Reform und Sparauflagen der Troika umgesetzt werden.“
Doch viele Ökonomen kommen seit langem zum Schluss, dass dies nicht mehr der Fall ist, und neue Hilfsgelder zuzüglich der Zinsen, die Griechenland zurückzahlen muss, das Land immer tiefer in den Schuldensumpf drücken und es seinen Verpflichtungen nicht wird nachkommen können. Deswegen fordern sie eine Umschuldung, einen teilweisen Erlass der Schulden. Die Arbeitnehmervertreter, die unter Führung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB)am Dienstag zum Protest in Luxemburg mobilisiert hatten, sehen ihrerseits keine Alternative zu den Hilfszahlungen. Sie kritisieren, dass sich die europäischen Entscheidungsträger bei der Suche nach Lösungsansätzen ausschließlich auf Sparmaßnahmen konzentrieren. Sie verlangen die Einführung einer Finanztransak-tionssteuer als neue Einnahmequelle, die Abschaffung der Kofinanzierungsklausel durch die Mitgliedstaaten bei der Vergabe von EU-Strukturfondsgeldern, Investitionen in Infrastruktur und Wirtschaft und die Einführung von gemeinsamen europäischen Anleihen – die berüchtigten Eurobonds –, damit sich gefährdete Länder wieder zu niedrigeren Zinssätzen an den Finanzmärkten Geld leihen können. Nur dann könne sich die griechische Wirtschaft wieder erholen, die Beschäftigung auch in Spanien wieder steigen, so der EGB
Die aktuelle EU-Krisenpolitik gehe vor allem auf die Kosten der Bürger mit niedrigen Gehältern und kleinen Renten. Die EU-Kommission und der Ministerrat mischten sich ohne Mandat in Dinge ein, die sie nichts angingen, kritisierte Bernadette Ségol, Generalsekretärin des EGB, am Dienstag vor der Presse in Luxemburg. Beispielsweise in die Tarifautonomie der Sozialpartner.
Tags zuvor hatten die EU-Finanzminister im Rahmen des Europäischen Semesters das Stabilitäts- und Wachstums-, sowie das Nationale Reformprogramm Luxemburgs bewertet und der Regierung neben der Reform der Rentenversicherung ans Herz gelegt, der Haushalt der öffentlichen Hand müsse schon 2012 wieder einen Überschuss ausweisen. Die Löhne dürften nicht schneller steigen als die Produktivität der Lohnempfänger, das Lohnindexierungssystem müsse entsprechend umgebaut werden. Diesen Empfehlungen werde man bei der Aufstellung des Haushalts für das kommende Jahr Rechnung tragen, so Finanzminister Luc Frieden (CSV).
Dass aber die von außen diktierte drakonische Sparpolitik schlecht für die griechische Wirtschaft sei, stritt auch Frieden am Montag nicht ab. Dennoch hält er sie für „absolut notwendig“. Wie das Privatisierungsprogramm, das darauf abzielt, griechische Staatsunternehmen zu verkaufen – wie die Griechen meinen, Denkmäler und Inseln inklusive. „Sie müssen innerhalb eines Jahres fünf bis sechs Milliarden Euro einnehmen“, so Frieden. Wie das gehen soll, wenn sie dazu, wie ein Journalist vorrechnete, alle zehn Tage ein großes Unternehmen, wie Flug- oder Seehafenbetreiber verkaufen müssen, und ob das machbar ist, wenn die Käufer nicht unbedingt Schlange stehen, war dabei nebensächlich. „Sie werden es einfach tun müssen“, so ein heiserer Jean-Claude Juncker am Montag.
Warum die politischen Spitzen an dieser umstrittenen Politik festhalten, auch in dieser Frage gehen die Meinungen auseinander. Der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn vom Wirtschaftsinstitut Ifo hatte Jean-Claude Juncker Anfang Juni beschuldigt, er verfolge als Vorsitzender der Eurogruppe nationale Interessen. Er wolle unbedingt eine Insolvenz Griechenlands vermeiden, um den Luxemburger Bankenstandort vor Wertabschreibungen und damit einhergehenden Bankinsolvenzen zu schützen, welche die Finanzierungsmöglichkeiten des Staats überschritten.
Zwischen sieben und acht Milliarden Euro haben Luxemburger Banken dem griechischen Staat, aber vor allem über die Filiale einer griechischen Bank der hellenischen Privatwirtschaft geliehen. „Relativ wenig“ im Vergleich zur Bilanzsumme der Banken (von 776,42 Milliarden Euro 2010), so Frieden am Montag; ein Hinweis, dass die Banken eventuelle Wertverluste ohne ein Eingreifen des Staates verkraften würden.
Geht man davon aus, dass Griechenland im Falle einer Insolvenz vielleicht 80 Prozent seiner Schulden zurückzahlen kann, müssten die Banken auf Anleihen über 2,035 Milliarden Euro etwas mehr als 400 Millionen abschreiben. Die Investmentfonds, die über seit Ende 2008 griechische Staatsanleihen im Wert von 6,4 Milliarden Euro abgestoßen haben und noch griechische Staatstitel im Wert von 2,2 Milliarden Euro halten, müssten in diesem Fall Wertverluste von etwa 440 Millionen Euro hinnehmen.
Dabei sitzen eigentlich alle, die Forderungen an Griechenland in den Büchern haben, im selben Boot. Die Auslandsforderungen der deutschen Banken betragen laut Bundesbank-Statistik rund zehn Milliarden Euro. In der ersten Reihe stehen die verstaatlichte Hypo Real Estate, die Landesbanken und die teilverstaatlichte Commerzbank. Die Ratingagentur Moodys drohte vergangene Woche einer Reihe französischer Großbanken ihre Kreditwürdigkeit wegen ihrer Griechenland-Risiken herabzustufen. Darunter BNP Paribas, die fünf Milliarden griechische Anleihen in den Büchern haben soll. Müsste BNP Paribas Wertberichtigungen vornehmen, dürften auch die Dividenden an die Aktionäre nicht mehr so großzügig ausfallen. Dazu gehört auch der Luxemburger Staat, der die Beteiligung am Mutterhaus für die Mehrheit an der im Herbst 2008 mit Steuergeldern geretteten BGL BNP Paribas eintauschte.
„Ganz gering“, sagt Victor Rod, Leiter des Commissariat aux Assurances, sei hingegen das Risiko das von Griechenland-Anleihen auf die Luxemburger Versicherungen ausgehe. Der Kompensationsfonds der Luxemburger Rentenversicherung hält keinen einzigen griechischen Schuldtitel.
Für Luc Frieden geht es also darum, „die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum zu begrenzen“, um zu verhindern, dass die Krise auf Spanien und Italien übergreift, ihnen die Geldmärkte, wie Griechenland, Kredite verweigern und sie in die Insolvenz rutschen. Denn die Luxemburger Forderungen an diese Länder sind, entsprechend der Größe ihrer Ökonomien und der Präsenz ihrer Bankenfilialen in Luxemburg, um einiges höher (siehe Kasten).
Deshalb ist die Luxemburger Regierung auch gegen eine erzwungene Beteiligung der privaten Kreditgeber an einer Umschuldung, wie sie Deutschland durchsetzen will. Durch ein Roll-over, bei dem sich die Kreditgeber verpflichten, neue Anleihen zu kaufen, wenn die Laufzeit der alten zu Ende geht, soll der Druck auf den Schuldnerstaat reduziert werden.
Doch die Rating-Agenturen haben bereits angekündigt, dass sie eine solche Maßnahme als Kreditausfall einstufen würden. Dadurch würde auch Griechenlands auf „zahlungsunfähig“ herabgestuft – eine Re-finanzierung an den Geldmärkten würde vollkommen unmöglich. Die anderen Problemstaaten, warnte der Luxemburger Zentralbankchef Yves Mersch, könnten „in Sippenhaft“ genommen werden und in akutere Refinanzierungsschwierigkeiten geraten, als sie es jetzt schon sind. Dabei werfen Kritiker der Europäischen Zentralbank vor, durch ihre Haltung versuche sie nur, sich selbst zu schützen. die EZB fordert von den Banken, die sich bei ihr Geld leihen, Garantien. Aber, warnte Mersch vor einer Abwertung in Folge einer freiwilligen Umschuldung, „die Annahme, die EZB würde derartige Wertpapiere als Pfand bei der Refinanzierung der Banken annehmen, ist inakzeptabel“.
Wichtiger ist: Als sich die Schuldenkrise vergangenen Frühling zuspitzte, entschied die EZB zudem, selbst europäische Staatsanleihen aufzukaufen, um die Kurse zu stabili-sieren. Wie groß genau ihr Portfolio ist, darüber redet die EZB nicht gern, doch Analysten schätzen, dass sie griechische und irische Anleihen im Wert von 40 Milliarden Euro hält, und im EZB-Portfolio Anleihen gefährdeter Euroländer im Wert von 77 Milliarden Euro insgesamt schlummern. Müsste sie darauf Wertberichtigungen vornehmen, warnen Ökonomen, könnte es schnell kritisch werden. Bei Berichtigungen von 20 Prozent wären um die 15 Milliarden Euro abzuschreiben. Das Kapital der Europäischen Zentralbank hingegen beträgt 10,76 Milliarden Euro. Damit sind faktisch alle Bürger der Euroländer in Sippenhaft genommen.