„Erst wenn der letzte Fisch…“ In Europa ist es beinahe so weit. Wenn die europäische Fischereipolitik so weitergeht wie in der Vergangenheit, dann ist das Zusammenbrechen der Fischbestände absehbar. Derzeit gelten nach Angaben der Europäischen Kommission drei Viertel aller Bestände als überfischt, 82 Prozent im Mittelmeer und 63 Prozent im Atlantik. Ohne Veränderungen würden nur acht von 136 Fischarten bis 2022 noch einen Bestand aufweisen, der als nachhaltig bezeichnet werden könnte. Mit den Fischbeständen steht die europäische Fischerei vor dem Zusammenbruch.
Beides kann und darf sich Europa nicht leisten. Bis zum 1. Januar 2013 will die Kommission unter der Federführung von Maria Damanaki, EU-Kommissarin für maritime Angelegenheiten und Fischerei, die Abwärtsspirale durchbrechen. Die europäi-schen Fischbestände sollen gerettet und wieder aufgebaut, Fischern und Flottenbesitzern soll das tägliche Brot gesichert, die regionalen Fischereihäfen sollen in blühende Küstenlandschaften zurückverwandelt und den Verbrauchern soll ausreichend gesunder Fisch zu bekömmlichen Preisen und mit transparenten Fangmethoden serviert werden. Ein veritables Maria-hilf-Programm also. Die Kommission verspricht sich von ihrer neuen Politik eine Vergrößerung der Bestände um 70 Prozent, eine Steigerung der Fangerträge um 17 Prozent, drei Mal höhere Gewinnspannen und sechs Mal höhere Renditen sowie eine Steigerung der Bruttowertschöpfung der Fangindustrie um 90 Prozent.
Maria Damanakis hat ihre Reformvorschläge am 13. Juli vorgelegt. Sie beinhalten eine so genannte Mitteilung der Kommission, in der diese ihre Prinzipien und Vorschläge benennt und erläutert; einen Vorschlag für eine neue Verordnung zur Fischereipolitik und einen Vorschlag für eine neue Verordnung über die Marktordnung. Ergänzt wird das Paket durch eine Mitteilung über die externe, sprich globale, Dimension europäischer Fischereipolitik und einen Bericht über die „Berichterstattungspflichten des Rates über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der Fischereiressourcen im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik“, ein Bericht, den die Kommission spätestens bis zum Jahresende vorlegen musste.
Damanakis nannte ihr Paket bei der Vorstellung historisch, weil zum ersten Mal in der Geschichte der europäischen Fischereipolitik nicht der Rat alleine, sondern Europäisches Parlament und Rat gemeinsam im normalen Gesetzgebungsverfahren über die neue Fischereipolitik entscheiden werden. Ein weiteres Mal zeigt sich damit, dass der Lissabon-Vertrag langsam, aber stetig, seine Wirkung entfaltet. Der Rat muss sich ankreiden lassen, dass er in der Vergangenheit die Überfischung möglich gemacht beziehungsweise nicht gestoppt hat, dass die Mitgliedstaaten allzu oft nur unzureichende Kontrollen über Fangquoten vorgenommen haben und dass die EU allein zwischen 2002 und 2006 fast eine Milliarde Euro für die Stilllegung von Fangschiffen ausgegeben hat – mit dem denkwürdigen Resultat, dass die gesamte Fangkapazität der europäischen Schiffe im selben Zeitraum um satte drei Prozent gestiegen ist.
Historisch ist die neue Fischereipolitik, sollte sie in den nächsten 18 Monaten von Parlament und Rat auch tatsächlich wie vorgelegt beschlossen werden, aber auch noch in einer viel größeren Dimension. Was die EU sich jetzt vornimmt, ist nichts weniger als die nachhaltige Bewirtschaftung ganzer Meere und die Umstellung von der Jagdfischerei auf die Zuchtfischerei. Dabei ist es eher nebensächlich, ob dies in industriellen Aquakulturen oder in der Bestandspflege von Arten und der Aufzucht von Jungfischen für die offenen Meere geschieht. Entscheidend ist, dass der Mensch versucht, die Meere seiner ordnenden Hand zu unterwerfen. Er tut dies nicht aus Größenwahn, sondern weil es anders nicht mehr geht.
Das Wissen für die neue Fischereipolitik ist vorhanden, scheitern kann sie nur am kurzfristigen Eigeninteresse von Staaten, Firmen und Personen und an der Fähigkeit oder Unfähigkeit der Europäischen Union, ihre Fischereipolitik auch effektiv kontrollieren zu können. Letzteres sieht die Kommission genauso und will künftig Zuschüsse explizit an die strikte Einhaltung der Vorschriften binden. Echte Kontrolle würde auch voraussetzen, dass eine entsprechende Behörde jederzeit wüsste, wo sich ein Schiff gerade aufhält. Im Flugverkehr gilt eine solche Kontrolle als selbstverständlich. Auf dem Meer sieht das anders aus. Ende 2009 hat die Kommission Überlegungen für ein gemeinsames europäisches Überwachungssystem für die Meere vorgelegt. Bis es verwirklicht wird, dürften noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vergehen.
Die Grundzüge der neuen Fischereipolitik können sich sehen lassen. Nicht mehr der Rat soll jährlich wie die Fischweiber über die Fangquoten streiten, sondern die Kommission soll Mehrjahrespläne unter strikter Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse verabschieden und kontrollieren. Unterhalb der EU-Ebene, aber unter strenger Kommissionsaufsicht, soll ein lokales und regionales Management in der Verantwortung der Mitgliedstaaten möglich sein, um das Wissen der Fischer und Behörden vor Ort besser nutzen zu können. Spätestens ab 2015 soll nur noch nachhaltig gefischt werden, und zwar sowohl innerhalb als auch außerhalb von EU-Gewässern. Der Rückwurf von – zumeist toten – Fischen, die man entweder gar nicht erst fangen wollte oder die zu klein waren, soll ab 2016 verboten werden. Eine ausdrückliche Verpflichtung, den ganzen Fang anzulanden, wird zur Pflicht; der Beifang soll auf Quoten angerechnet werden.
Die Mitgliedstaaten sollen verpflichtet werden, detaillierte Pläne für Aquakulturen auszuarbeiten. Die Kommission soll das Recht bekommen, in ökologischen Gefahrenfällen unmittelbar eingreifen zu können. Die so genannte handwerkliche Fischerei soll weiter gefördert werden; die Zusammenschlüsse von Fischern sollen, ähnlich wie landwirtschaftliche Genossenschaften, Mitspracherechte bei der Politikplanung bekommen. Zuschüsse gibt es in Zukunft nur noch für eine nachhaltige Fischerei. Einen neuen Finanzierungsrahmen will die Kommission noch in diesem Jahr vorlegen.
So revolutionär sich die Vorschläge auch anhören und von so viel gutem Willen sie auch durchtränkt sein mögen, ohne Kritik kommt in der Politik niemand davon. Die Grünen bemängeln, dass ökologische, ökonomische und soziale Ziele gleichberechtig nebeneinander stehen und zweifeln daran, dass nachhaltige Fischerei wirklich die Grundlage der neuen EU-Politik wird. Sie bemängeln gemeinsam mit Umweltschutzorganisationen, dass die Kommis-sion Fangquoten handelbar machen will, was zu einer quasi natürlichen Reduktion der Fangkapazitäten führen soll.
Dieser Punkt bietet in der Tat mehr Hoffnung als Gewissheit. Viele fürchten, dass die Handelbarkeit von Fangquoten zu einer Konzentration der Fangrechte in den Händen weniger, kapitalstarker Unternehmen führen wird. Hier wird sich das Parlament noch Gedanken machen müssen. Eine starke Lobby um den englischen Abgeordneten Chris Davies setzt sich dort schon länger für eine neue, nachhaltige Fischereipolitik und eine Zukunft für die handwerkliche Fischerei ein.