Die Bühne liegt im Dunkeln. Nur das Gejaule eines Hundes und ein paar schräge Töne sind zu hören. „Wie kann man über etwas sprechen, das schlimmer ist, als etwas, das schlimmer ist als schlimm?“ Nicolas Stemann, Experte in Jelinek-Inszenierungen, setzt auf schrille Effekte und arbeitet die provokanten Textbausteine, die die Autorin nach der Fukushima-Katastrophe verfasst hat, konsequent heraus. Ein Orchester bietet den Sound zum Untergang. Schnell wird klar, dass die Zuschauer an einem Experiment teilnehmen, das der Komponist Philippe Manoury als „Thinkspiel“ bezeichnet: „ein gemeinsames Wirken der Experimentalforschung, des abstrakten Denkens und der Sprache der Kunst“, so drückt er es aus. Gesprochene und gesungene Sprache verschmelzen in Kein Licht. Manoury lotet die Grenzen der Musik aus und sucht nach einer adäquaten Form, das Chaos zu illustrieren und daraus Neues zu schaffen. Das Luxemburger Ensemble United Instruments of Lucilin liefert dazu eine eindrucksvolle Live-Performance. Es wird gesungen und gespielt, und dazwischen fliegen Wortfetzen umher, werden Reflexionen in den Raum geworfen, die hängenbleiben. Neongelbe Röhren und brodelnde Kästen, ergänzt durch Videoprojektionen der Nuklearkatastrophe in Fukushima, schaffen eine geisterhafte Atmosphäre. Es sind beklemmende Klangspiele an einem Ort, der nie genannt wird.
Am 11. März 2011 kam es im Kernkraftwerk Fukushima nach einem Erdbeben in mehreren Reaktoren zur Kernschmelze und zum Gau (Größter anzunehmender Unfall). Prophetisch mutet es an, wenn in dem Stück ein Orchester über die Katastrophe spielt und sich zeitgleich die Katastrophe ereignet. Zwei Schauspieler treten an das Mikro und diskutieren darüber, ob ein Ausstieg je möglich sein könnte. Wenn die Frage nach dem Stand des Geigerzählers auf die Frage trifft, wer die erste Geige spielt, sorgen die Wortspiele dafür, dass man trotz des Grauens lachen muss. – Auch dies ein Stilmittel Stemanns, das sich durch das Stück zieht. Vor allem aber wird schon im ersten Teil die lähmende Machtlosigkeit deutlich, der sich die Schauspieler wie das Publikum gleichermaßen ausgesetzt fühlen. Die Ereignisse überstürzen sich, „Was geschehen ist, wird man uns schon sagen...“, die Rechtfertigungsmechanismen setzen ein. Was soll man schon tun? Weitermachen wie bisher! „Wir werden nur noch strahlen. Wir werden selber das Licht sein!“ Zugleich trägt Kein Licht immer wieder Züge des epischen Theaters, etwa, wenn die Schauspieler vors Publikum treten und fordern: „Ein Urteil. Ihr Urteil bitte!“ Und wie sie schelmisch aus dem Chaos heraus fragen: „Verstehen Sie irgendwas?“
Neongelb, schwarz, metallisch sind die dominierenden Elemente. Neongelbe Leuchten werden am Publikum vorbeigetragen, die Schauspieler werden irgendwann auf einem Klotz heranschweben, der mit radioaktiven Material gefüllt ist. Nach dem ersten Akt tritt Manoury dann vors Publikum, um seinen Ansatz zu erläutern. Er erklärt, dass eine Maschine im Zentrum steht und es in dem Stück keinerlei Identifikationsfigur gibt. (Man hört das Publikum förmlich aufatmen.) Deutschlands CO2-Ausstoß sei doppelt so hoch wie der in Frankreich, liest man, und dass Deutschland zwar die Energiewende vollzogen habe, aber Atomstrom aus Frankreich einkaufe. Ein sauberer Deal?
Im zweiten Teil flirren einem die Folgen um den Kopf. „Rund 170 000 Menschen mussten vor der Atomkatastrophe in Fukushima fliehen“, liest man auf den Bildschirmen, dazu Impressionen des verseuchten Mülls. Allein die Hunde blieben dort, wo nichts mehr ist. Ihr herzzerreißendes Gejaule geht einem durch Mark und Bein und legt sich über den Gesang. Die beiden Schauspieler treten als bunte Harlekins auf und flachsen herum. Sie begraben die Atomkraft und stecken ihre iPhones zum Aufladen in die Steckdose. Ist es genial oder geschmacklos, wenn ein Mini-Sarg auf die Bühne getragen wird und daraus ein Plüsch-Alien entspringt? Die Dialoge sind jedenfalls klamaukig: „Atomi, noch ein Wort, sonst ist super-Gau!“
Das ohnehin zerfaserte Geschehen gerät irgendwann vollends aus dem Ruder: die Bühne wird überschwemmt, indes die Schauspieler Selfies machen. Nach dem zweiten Teil wäre ein guter Zeitpunkt gekommen, um das Stück pointiert ausklingen zu lassen, aber es folgt noch ein dritter Teil, ein Blick in die Zukunft. Die Welt wird 2017 aus den USA willkürlich regiert, denn König Trump darf alle angreifen. Er twittert, dass die Erderwärmung eine Erfindung der Chinesen oder Nordkoreaner ist. Der Triumph Trumps als Sieg der Dummheit! In den Videoprojektionen sieht man eine Weltkugel, über die der König brabbelnd hinwegfegt; Atomkraftwerke und Missiles ragen bedrohlich aus dem Planeten, bis sie einem entgegenfliegen. „Was haben wir gelernt?“ brüllen die Schauspieler das Publikum an. „Irgendwas werden wir doch gelernt haben!“ Das Konzert geht zu Ende. The party is over. Nur das Jaulen des Hundes bleibt.
Die vor allem musikalisch eindrucksvolle Inszenierung als Licht- und Soundspektakel lebt ironischerweise von Elektrizität. Sie verstört und beklemmt und macht einmal mehr klar, dass wir alle betroffen sind (von den Folgen wie als Verursacher) und trotzdem ist Stemanns schräg-überdrehte Jelinek-Inszenierung schlicht und einfach zu überfrachtet.