Die Butter auf dem Tisch ist das erste, das Tom (Konstantin Rommelfangen) im Haus bemerkt, als er es alleine durchstreift, es entdeckt als die Kulisse in dem Er, seine große Liebe, die zu beerdigen er aufs Land gekommen ist, aufwuchs. Als die Mutter Agathe (Christiane Motter) nach Hause kommt und ihn sieht, schreit sie nicht, auch wenn sie es eigentlich hätte tun müssen: eine Frau, alleine mir einem Fremden. „Er hat mir nie von dir erzählt...“, wundert sich Agathe, glaubt, ihr Sohn und Tom seien „Kumpels“ gewesen. Tom kam, um Abschied von seinem Freund zu nehmen, er hatte sich vorgenommen, allen zu sagen, dass mit ihm ein Teil seiner Selbst gestorben ist. Aber er muss feststellen, dass sein Geliebter seiner Familie seine Homosexualität verschwiegen hat. Wie er ihm verschwieg, dass er einen großen Bruder, Francis (Pitt Simon), hatte. Ab da entwickelt sich eine Tragödie antiken Ausmaßes um Liebe, Verrat und Familie.
Der kanadische Schriftsteller Michel Marc Bouchard schrieb Tom auf dem Lande 2011, 2014 verfilmte Jungtalent Xavier Dolan den Text und feierte damit erste Triumphe; das Stück tourt mittlerweile durch die halbe Welt. Bouchard und Dolan erzählen beide vor allem eine Geschichte des Schwulseins, der Schwierigkeit vieler Junger, sich in einem ländlichen Milieu zu outen und trotzdem noch von ihrer Familie geliebt zu werden. Bouchards Dialoge sind spritzig, schnell, frech und manchmal sogar witzig. Max Claessen, der als letztes Luc Spadas Pura Vida in Luxemburg inszeniert hatte, setzt alles auf die Enge der Verhältnisse auf dem Land, indem er mit Bühnenbildnerin Mirjam Benkner den schon kleinen Bühnenraum noch verengt und eine perspektivische Guckkastenbühne hineinsetzt (die dann doch sehr an Jean Flammangs Arbeit für L’heure grise, vor zweieinhalb Jahren am gleichen Ort, erinnert). Die Musik von Christoph Coburger unterstreicht die Dissonanzen in der Familie, eine E-Gitarre, die von Anfang an der Verzerrung in dieser Gesellschaft eine Form gibt.
Alles das, um anzudeuten, dass sich etwas verschoben hat in Toms Leben und im Leben der Familie. „Der plötzliche Verlust eines Menschen ist ein abgerissenes Band“, schreibt der Autor im Vorwort zum Stück. „(...) Die zerfransten Lebensfasern – von Tom, der Mutter und dem Bruder des Toten – wollen sich aus Überlebensinstinkt neu verbinden, mit einem anderen zerfransten Strang.“ Und so sucht ihn Tom in diesem, ihm unbekannten Umfeld, den anderen Strang. Wie Francis auch in Tom einen Ersatz für seinen Bruder sucht, der in Wirklichkeit schon lange mit seiner Familie gebrochen hatte, weil er sich erdrückt, eingesperrt, belogen fühlte.
Der schöne, schwule, in Konstantin Rommelfangens Interpretation sehr oberflächliche Tom will so gar nicht zu diesen grobschlächtigen, armen Bauern passen. Er, der Spezialist für Synonyme in einer Marketingfirma in der Großstadt ist, hasst die Fliegen, den Geruch, den Glauben dieser Familie. Besonders dank dem sehr würdigen, zurückhaltenden Spiel von Christiane Motter als vom Leid gezeichnete Mutter offenbart Claessens Inszenierung auch ein Element, das Dolan zum Beispiel kaum in Betracht zieht: der unausstehliche Sozialrassimus des Typen aus der Werbeklitsche gegenüber der Armen, die sich jeden Tag den Buckel krumm schuften und trotzdem den Hof kaum halten können. Francis, den Pitt Simon sehr brutal anlegt, hasst die Kojoten, die Maisfelder und die verlassenen Höfe der Nachbarschaft genauso wie es sein Bruder tat. Doch aus Liebe und Solidarität zur alleinstehenden Mutter ist er geblieben, eine Ausflucht findet er nur bei den Rumbaklängen, mit denen er die Kühe beim Melken beschallt. Und so ist Claessens Inszenierung, die getrost um eine halbe Stunde Hiebe und Triebe gekürzt hätte werden können, sehr politisch. Und zwar nicht unbedingt dort, wo man es erwartet hätte.