Das Plakat hat es in sich: „Make empathy great again! Make democracy great again! Visit your local theatre!“ wurde in rot-schwarzen Lettern für Fake! geworben. Angesichts einer solchen auf Effekt angelegten Werbung verwundert es nicht, dass die Reihen in dem kleinen Saal im Kasemattentheater bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Fake! hat auch ein junges – politisch interessiertes – Publikum angezogen, ob nun aus Wut oder aus Hilflosigkeit in Zeiten eines allgemeinen Rechtsrucks. Die Lesung lockt verheißungsvoll ... und hält ihr Versprechen. (Wenn uns schon zum Heulen ist, so können wir doch noch immer lachen!)
Auf das Einspielen von Trumps kollektiver Medienschelte über „fake news“ folgen Zitate seiner europäischen Gesinnungsgenossen. Auch Frauke Petry oder Marine Le Pen schieben „den Medien“ kollektiv die Schuld für ihre Dämonisierung in die Schuhe. „Die könnten ja auch mal damit aufhören!“, ertönt Petrys mäkelnde Stimme aus dem Off.
Die fünf Schauspieler (Eugénie Anselin, Véronique Fauconnet, Claude Frisoni, Marc Limpach und Jules Werner) stehen an einem Podest und spielen sich die Textbausteine zu wie Bälle. Jules Werner liest Max Frisch. Claude Frisoni philosophiert über die Wahrheit, doch welcher Wahrheit soll man heute glauben?
Es sind Fragmente aus klugen, teils amüsanten Texten: Wie Dostojewskis Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Frisoni liest aus einem Text Flauberts’ über die Revolution von 1848 und referiert Forderungen, die in dem Aufruf „Le peuple français!“ münden. Nationalismus zieht sich seit den Anfängen durch die Geschichte der Republik. Jules Werner streift die Dreyfus-Affäre und spielt wieder Frisoni den Ball zu, der aus La mosquée liest und die Vorurteile über Araber in der Frage münden lässt: „C’est qui, qui colonise? Eux, ou nous?“
Mitunter sind die Übergänge zwischen den Texten sowie sprachlich sehr abrupt. Da werden Auszüge aus Mussolinis Reden verlesen bis hin zu den Rassentheorien Oswald Spenglers und seiner Vision vom „Untergang des Abendlandes“. Dann wieder liest Limpach aus Tucholsky und räsoniert: „Die Nation – ein Abfalleimer der Gefühle!“ Schwermütige Violinen-Klänge (Eugénie Anselin) untermalen die bisweilen unheimliche Stimmung. Der Antisemitismus der 30-er Jahre, der Hass auf das „Weltjudentum“, liegt förmlich in der Luft und wird durchbrochen durch den eingespielten Gesang Marlene Dietrichs, der wiederum in martialische Marschklänge übergeht.
Auf Luxemburgisch wird darüber philosophiert, ob ein Katholik Antisemit sein kann und anschließend aus einem Tageblatt-Artikel von Frantz Clément: „Nationalismus als Alibi“ gelesen. Ständig hängt die Frage in der Luft: Was treibt die Menschen in den Nationalismus? In einigen Texten werden antisemitische oder rassistische Töne angeschlagen, andere Texte suchen nach Erklärungen. Und die Populisten von heute drehen den Spieß einfach um, indem sie die Toleranz der „Gutmenschen“ als Ursache für die „Flüchtlingskrise“ ausmachen. Bewusst wird so der Antisemitismus der 1930-er Jahre der Xenophobie gegen Flüchtlinge und dem heutigen Hass-Diskurs von Populisten gegenübergestellt. Schreiend komisch persifliert Jules Werner den Duktus von Donald Trump, seine zögernde Art zu sprechen, Wörter zu wiederholen und zu überbetonen, und mimt Limpach den Rechtspopulisten Strache in süffigem Österreichisch.
Meistens sprechen die Zitate für sich. Nur selten wird gewarnt, wie vor der Tragweite, die Falschnachrichten auf Facebook haben können, wenn etwa von der Mär über Flüchtlinge, die eine Supermarktkette gestürmt haben sollen, die Rede ist: Fake news, die sich auf Facebook verbreiteten wie Zunder! Klar wird: Einfache Erklärungen sind im Zeitalter von Twitter und Facebook beliebt. Was tun gegen die Erderwärmung? „Verklagen wir doch die Sonne!“ Trumps Antrittsrede, interpretiert durch Jules Werner, geht unter die Haut. Bevor er Bob Dylans The times, they’re a-changin’ trällern wird und sich die anderen Schauspieler mit einklinken und schmunzelnd mitsummen: Ein Moment, in dem die fünf auf der Bühne fast mehr Spaß zu haben scheinen als das Publikum.
Dann wieder der rechtspopulistische Diskurs von heute: Auf einem AFD-Parteitag wird Björn Höcke den Geburtenrückgang der Deutschen als Ursache für das „Desaster“, der Flüchtlingspolitik Angela Merkels, ausmachen. „Höcke! Höcke!“ skandieren seine Kameraden begeistert. Und wir hier? Durch das Verlesen von Kommentaren auf RTL.lu und aus dem Blog Fernand Kartheisers wird klar, dass sich das Stammtischniveau auch hierzulande längst ins Internet verlagert hat: Eine populistische Schlammschlacht!
Selbst, wenn Fake! etwas wohlfeil daherkommt, so ist der Abend weit mehr als ein reines Bestätigungs-Event für linke Bildungsbürger. Es sind die Machtlosigkeit und das Bedürfnis, gegen den allerorten aufkommenden Rechtspopulismus etwas zu tun, und sei es mit einem Gang ins Theater, die sich hier manifestieren. In diesem Sinne tut Fake! seine Wirkung. Denn durch eine Textauswahl, in der die Gedanken kluger Vordenker populistischen Plattitüden entgegengestellt werden, dürfte sich bei vielen Zuschauern der Verstand einschalten. Fake! wirkt damit wie Balsam. Es ist ein Aufschrei, nachzudenken, zu lesen und zu differenzieren. Zwar kein Aufruf zum Ungehorsam, aber doch der Schrei nach kritischem Geist.