In der Euphorie ihres Wahlsiegs und ihres liberalen Reformwillens hatten die schwungvollen jungen Männer von DP, LSAP und Grünen 2013 Änderungen an der Verfassung vorgesehen, die nicht die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament fände. Deshalb hatten sie das Referendum von 2015 beschlossen, um das Erzbistum zum Verzicht auf einen Teil seiner Zuschüsse und die CSV zu einer Zweidrittelmehrheit zu nötigen.
Aber die schwungvollen jungen Männer hatte sich gründlich verrechnet, das zum Plebiszit aufgerufene Wählervolk verweigerte ihnen massiv die Gefolgschaft. Der vom Parlament finanzierte Lehrstuhl für Parlamentarismusforschung an der Universität untersuchte das Ergebnis dieses Referendums und aus seiner Studie Voxlex können auch Lehren gezogen werden, wie das nächste Referendum, mit dem die geplante Verfassungsrevision ratifiziert werden soll, scheitern könnte.
Kernstück des Referendums vom 7. Juni 2015 war das legislative Ausländerwahlrecht. 2013 hatten sich in Meinungsumfragen noch zwei Drittel der Befragten für das Ausländerwahlrecht ausgesprochen. Auch die CSV hatte es am 13. März 2013 im parlamentarischen Ausschuss der Institutionen und Verfassungsrevision unterstützt – zumindest bis ihr Premierminister Jean-Claude Juncker stürzte. Doch zwischen Februar und März 2015 kehrten sich in den Meinungsumfragen die Mehrheiten um, als die Regierung die Leute enttäuscht hatte, die Referendumsfragen bekannt wurden und die Regierungsmehrheit zögerte, sich in den aussichtslosen Kampf zu stürzen. Die CSV-Kampagne machte dann das lange mit dem Tabu des Rassismusvorwurfs behaftete Nein salonfähig: Im April war erst die Hälfte der Befragten dagegen, zwei Monate später waren es drei Viertel.
Die Autoren der Wahlanalyse hatten in Meinungsumfragen eine Art F-Frage stellen lassen. Sie ergab, dass sich 71 Prozent der Befragten für eine Bevorzugung der Luxemburger bei Einstellungen aussprachen, davon 74 Prozent im Südbezirk, 75 Prozent der Rentner, 80 Prozent der wenig Gebildeten, 81 Prozent der Niedrigverdiener, 82 Prozent der Arbeitslosen und 85 Prozent der Hausfrauen und -männer. Im Fall eines Rückgangs der Zahl der Arbeitsplätze befürwortete die Mehrheit der Befragten aller Parteien die Bevorzugung der Luxemburger auf dem Arbeitsmarkt: von 56,8 Prozent bei déi Lénk über 72,4 Prozent bei der LSAP und 74,1 Prozent bei der CSV bis 81,3 Prozent bei der ADR. Das weitgehend reibungslose Auskommen der Nationalitäten miteinander scheint nur so lange gewährleistet zu sein, wie das Wirtschaftswachstum bei drei oder vier Prozent liegt.
Das Ergebnis des Referendums kam durch eine Koalition von Leuten zustande, die sich von einer Globalisierung genannten Entfesselung der Märkte bedroht fühlen, und von Verteidigern der nationalen Souveränität: Laut Voxlex lehnten 85 Prozent der Leute mit der niedrigsten Schulbildung und 83 Prozent der Staats- und Gemeindebeamten das Ausländerwahlrecht ab. So wurde eine stille Mehrheit über Land und in den Arbeiterstädten hörbar, die sonst stets vom Lärm einer globalisierten, liberalen Minderheit in der Hauptstadt übertönt wird.
Wobei es selbstverständlich wieder um ein „subjektives Unsicherheitsgefühl“ geht: Die geografische Aufschlüsselung des Referendumsergebnisses zeigte, dass die mit Abstand stärkste Korrelation zwischen dem Nein zum Ausländerwahlrecht und dem Ausländeranteil der Gemeinden bestand: Das Ausländerwahlrecht wurde dort am massivsten abgelehnt, wo die wenigsten Ausländer wohnen. Diese Variable erklärt alleine fast 40 Prozent der Ergebnisunterschiede. Im Zentrum war diese Korrelation noch stärker. Eine schwächere negative Korrelation bestand mit der Größe der Gemeinde: In den kleineren Landgemeinden wurden öfters mit Nein gestimmt. Dagegen ist keine Korrelation zwischen dem Nein und der Arbeitslosenrate in den Gemeinden festzustellen.
In den Meinungsumfragen begann das Nein zum Ausländerwahlrecht im März 2015 massiv zuzunehmen, im April begannen mehr Befragte die Befristung der Ministermandate abzulehnen als zu befürworten, zur selben Zeit stieg auch die nie populäre Ablehnung einer Senkung des Wahlalters. Zwei Drittel der Wähler hatten schon zwei Monate vor dem Referendum beschlossen, wie sie abstimmen würden, 80 Prozent waren es ein Monat im Voraus.
Aber bei Volksbefragungen nutzt das Volk die Gelegenheit, um auch über die Regierung abzustimmen. Zum Resultat des Referendums von 2015 trug deshalb maßgeblich bei, dass es zu einem Zeitpunkt stattfand, als die Regierung sich bereits massiv unbeliebt gemacht hatte. Die Ablehnung der Regierungspolitik war laut Meinungsumfragen besonders stark im Süden, wo 67 Prozent der Befragten die Regierungspolitik von DP, LSAP und Grünen missbilligten. In den Arbeiterstädten des Minette-Reviers schien man besonders wenig Verständnis für die moderne Sparpolitik des Zukunftspak, die Mehrwertsteuererhöhung und Kindergeldkürzungen gehabt zu haben. Dafür spricht auch, dass die Ablehnung der Regierungspolitik bei den Wählerkategorien mit der niedrigsten Bildung, was heißt: mit dem niedrigsten Einkommen, am größten war. Am häufigsten wurde die liberale Regierungspolitik, von Familien mit Einkommen über 5 000 Euro, zwischen 6 000 und 8 000 Euro und mit einem oder zwei Kindern abgelehnt.
Dass rechte Wähler von CSV und ADR die Regierungspolitik ablehnten, war nicht weiter überraschend. Bemerkenswerterweise lehnten aber auch 51,7 Prozent der LSAP-Wähler die Regierungspolitik ab, was angesichts des Wählerprofils dieser Partei vor allem mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun haben dürfte. Vielleicht noch überraschender war, dass auch 45,1 Prozent der erstmals seit 34 Jahren wieder den Premierminister stellenden DP-Wähler enttäuscht waren.
Wie beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag ein Jahrzehnt zuvor hatten die LSAP-Wähler massiv ihrer Partei die Gefolgschaft aufgekündigt und stimmten zu 62,5 Prozent mit Nein zum Ausländerwahlrecht. Noch massiver wurde die DP desavouiert: 70,6 Prozent ihrer Wähler stimmten, entgegen dem Aufruf der Partei, gegen das Ausländerwahlrecht. Als Antwort auf eine weitere F-Frage befürworteten gegenüber Meinungsforschern 61 Prozent der Befragten eine Regierung von Technokraten und Spezialisten, davon sogar 70 Prozent der jugendlichen Wähler. rh.