Serien

Nihilismus im Serienformat

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2019

Zwei Folgen seiner neuen Serie hatte Regisseur Nicolas Winding Refn (Drive, 2012, The Neon Demon, 2016) bereits während der diesjährigen Filmfestspiele in Cannes gezeigt. Alle zehn Folgen mit einer Gesamtlaufzeit von 13 Stunden sind nun auf Amazon Prime Video verfügbar.

Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn ist längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. Auch in seinem jüngsten Projekt werden seine stilistischen Werkkonstanten aufgegriffen: tiefschwarze Nacht, düstere Neonlicht-Ästhetik, kalte Elek-tromusik. Sein pessimistisches, ja nihilistisches Welt- und Menschenbild geht sicherlich auf die Noir-Tradition zurück, die er in Drive noch evozierte. In dieser Welt lebt der Polizist Martin, gespielt von Miles Teller (Whiplash, 2014). Dieser muss miterleben, wie sein Partner von Jesus (Augusto Aguilera) erschossen wird. Die Suche nach dem Mörder führt Martin in eine kriminelle Unterwelt in der er schon bald die Rolle eines eiskalten Racheengels übernimmt, dem jede Grenzüberschreitung recht ist...

Mit Valhalla Rising (2009) oder Only God Forgives hat Refn bereits gezeigt, dass er sich gerne vom klassischen Erzählkino distanziert. So kann es vorkommen, dass auch in Too Old To Die Young über weite Strecken nicht gesprochen wird und die Handlung beinahe zum Stillstand kommt. Was sich in solchen Momenten narrativer Leerstellen zuweilen stärker in den Vordergrund schiebt, sind die ästhetisch sehr gelungenen Bilder. Mithin dürfte es kaum verwundern, wenn die Serie dem Vorwurf des Stilüberschusses anheimfallen wird, Form über Inhalt – eine weit verbreitete Kritik, die in den Achtzigern noch stark vorherrschte, man denke nur an Miami Vice (1984-1989).

Überhaupt wird in der Serie zuvorderst das Kino der Achtziger Jahre wieder ins Bewusstsein gehoben – ein Kino des Oberflächenglanzes. In Too Old To Die Young aber liegt auf dieser Oberfläche die eigentliche Substanz: Die Gangsterwelt, die uns da gezeigt wird, gründet auf prunkvoller Fassade. Schein ist Sein in dieser Verbrecherwelt, in der das Materielle und das Körperliche jede zwischenmenschliche Beziehung zu überwiegen scheinen. Sorgfältige Bildkompositionen, die Personen in verlassenen Räumen zeigen, machen die innere Existenzleere visuell erfahrbar. Die Kamera hält dabei gerne eine Distanz zum Geschehen, fängt die Figuren in weiten Einstellungen ein. Daneben rückt ein fast schon an Brechts Verfremdungsstil angelehntes Schauspiel, das eine Einfühlung, ja eine Identifikation mit den Figuren unmöglich macht.

Dass die Geschichte simpel ist und sich in die Länge zieht, hat hier freilich konzeptuellen Charakter. Was da häufig ein Problem zeitgenössischer Serien ist (etwa das Auserzählen einer Geschichte bis ins kleinste Detail, eine über-explizite Dialoglastigkeit oder das Durchdeklinieren aller Figuren, ihrer Motivationen, Vorgeschichten und so weiter), wird in Too Old To Die Young schlichtweg umgangen, um aus dieser Absenz einen Kommentar über die moderne Gesellschaft zu machen. Momente, in denen Figuren zu kommunizieren versuchen, dann aber schweigend verharren, machen das eigentliche Augenmerk dieser Serie aus. Es sind stille Momente, in denen Menschen versuchen, ein Gefühl zu äußern, es angesichts der Komplexität nicht in Worte fassen können oder ob ihrer emotionalen Kälte überhaupt verlernt haben, zu sprechen.

Indem er die gängigen Merkmale der Serie ignoriert, sogar explizit dagegen inszeniert, nutzt Refn die erzählerischen Möglichkeiten auf unkonventionelle Weise, um daraus ein äußerst düsteres Porträt einer kalten, entfremdeten Welt zu zeichnen, in der Menschen keinen Anschluss mehr an die Gesellschaft finden, in der Kommunikation scheitern muss, wenn sie denn überhaupt noch stattfindet.

Marc Trappendreher
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