Kino

It’s so obvious, it’s sad

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2019

Frances (Chloë Grace Moretz), eine junge Kellnerin, die ihre Mutter kürzlich verloren hat, findet in der New Yorker U-Bahn eine Handtasche und gibt sie an Greta (Isabelle Huppert) zurück, eine französische Klavierlehrerin und einsame Witwe. Die beiden schließen bald Freundschaft, aber Gretas Verhalten wird immer fragwürdiger, bis sie sich als krankhafte Psychopatin entpuppt...

Subtilität scheint in diesem Film nicht gerade Neil Jordans größte Stärke gewesen zu sein, so sehr unterliegt die Handlung einer banalen Vorhersehbarkeit. Dies mag verwundern, war Jordan doch für The Crying Game (1992) verantwortlich, einen ungewöhnlichen Neo-Noir-Thriller, der aufgrund seiner geschickten Verschachtelung von mehreren Erzählsträngen und subversiven Themenkomplexen für eine Independent-Produktion überaus großen kommerziellen Erfolg generieren konnte.

Kurzum: Die Attraktion dieses Films liegt weniger in der erzählten Geschichte als vielmehr in der exzentrischen Darstellung von Isabelle Huppert. Sie gibt diese Figur so gezielt verstörend, dass sie zweifelsohne die Kraft dieses Films ausmacht. Das muss auch Regisseur Neil Jordan so geplant haben, denn der Film eilt geradezu rastlos zu ihr hin, so als versuche er sich der Last der filmischen Exposition schnellstmöglich zu entledigen. So wird uns in den ersten Filmminuten das Leben der jungen Francis gezeigt, die in behüteten Verhältnissen aufwächst und gerade nach New York gezogen ist. Und ja, diese Frances ist ein naives, gutgläubiges Mädchen und Moretz gibt sich sichtlich Mühe uns dies mit ihren übergroßen Rehaugen verständlich zu machen, bevor der Film sich dann allmählich als Psycho-Thriller zu erkennen gibt.

Als solcher funktioniert Greta aber nur mäßig; das liegt wohl an einer besonders langatmigen ersten Hälfte, deren Dialoglastigkeit und flache Charakterzeichnung nur schwer spannende und ergreifende Momente erzeugen können. Dabei werden alle denkbaren Klischees und Stereotype des Genres durchgespielt: Natürlich ist die Polizei nutzlos und interpretiert Gretas Verhalten falsch. Natürlich finden Frances’ Hilfesuche in ihrem Umfeld wenig Aufmerksamkeit. Natürlich wurden in Bezug auf Greta nie nähere Untersuchungen durchgeführt, obwohl es sich doch offensichtlich um eine Wiederholungstäterin zu handeln scheint.

Diese Vorhersehbarkeit auf der Handlungsebene schmälert das Filmerlebnis, da sich so kein wirklicher Nervenkitzel einstellen will. Wenn Erica (Maika Monroe), Frances’ Mitbewohnerin, ihrer Freundin vorhält, ihr Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Greta, in der sie eine Ersatzmutter suche, sei „so obvious, it’s sad“, dann lässt sich der Vorwurf unschwer auf die Machart dieses Thrillers übertragen. Diese Schwäche wird insofern noch gesteigert, als Gretas Psychopathologie überexplizit dargelegt und bis ins kleinste Detail auserzählt wird, ohne dabei wesentliche Auswirkung auf den Spannungsfaktor zu haben. Dass das Ganze dann auch noch obendrein zunehmend widersprüchlicher, unlogischer oder gar unglaubwürdig wird, lässt sogar das Moment der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit ins Wanken geraten. Ferner sind noch nicht einmal die Schockmomente wirklich furchterregend, ja die übertrieben klingende Orchestermusik muss diese unnötiger Weise auch noch laut ankündigen, was den Film zuweilen ungewollt ins Parodistische gleiten lässt.

Mit The Crying Game war Jordan noch ein komplexer und gewagter Film gelungen, der eine Diskus-
sionsgrundlage für Themen wie Rasse, Sexualität und Geschlechterdifferenz bot. Von Komplexität oder gar Diskussionsöffnung kann in Bezug auf Greta leider nicht die Rede sein. Da kann auch die sonst so großartige Isabelle Huppert nicht darüber hinweg helfen. Filmfreunde, die sich spannendem Nervenkitzel aussetzen möchten, sollten vielleicht besser auf What Ever Happened to Baby Jane? (1962) zurückgreifen.

Marc Trappendreher
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