Kino

Pain is art

d'Lëtzebuerger Land vom 31.05.2019

Die Kamera bewegt sich in tiefer Nacht durch die regendurchnässten Straßen der Großstadt und sofort befinden wir uns in der Gangster-Welt von John Wick: Mit Parabellum ist nun die Fortsetzung der Reihe in die Kinos gekommen. Der Film knüpft unmittelbar an den zweiten Teil an: Der ehemalige Auftragskiller John Wick (Keanu Reeves) ist auf der Flucht, nachdem er Santino D’Antonio im Continental-Hotel getötet hat. Ein Kopfgeld in der Höhe von 14 Millionen Dollar wurde auf ihn ausgesetzt. Da ihm durch den Mord an D’Antonio sämtliche Privilegien, die ihm als Killer-Mitglied des Continentals gewährt wurden, nun entsagt sind, muss er versuchen, New York zu verlassen, doch seine einstigen Kollegen sind ihm bereits auf der Spur...

Das ist unmissverständlich das Neo-Noir-Setting, das hier evoziert wird, aber so wie man es von ­Michael Mann (z.B. Thief, 1981) oder Nicolas Wynding Refn (Drive, 2012; Only God Forgives, 2013) kennt. In dieser Gangster-Unterwelt schlägt sich John Wick durch und ja, das ist wie im vorherigen Teil auch unglaublich brutale und blutige Gewalt, die uns da gezeigt wird, und zwar so ostentativ, dass sie die eigentliche Attraktion des Films ist. Action bedeutet per se nichts anderes als Handlung. So dünn diese im Film auch ist, dieser Streifen drängt in seiner narrativen Bewegung nach vorne – hier findet man das von Gilles Deleuze identifizierte Aktions-Bild mit seinen Reiz-Reaktionsschemata auf die Spitze getrieben. Und das in äußerst arrangierten Bildern: Von den flimmernden Neon-Leuchtreklamen zu den präzise choreographierten Kampfszenen, die zu einem Vergleich mit den Tanzeinlagen der großen Musicals einladen – nahezu alles in diesem Film zielt unmittelbar auf pure Stilisierung: Lange Einstellungen, ruhige Kamerafahrten, die das Auge schweifen lassen, machen aus diesem Actionspektakel kurzweilige Unterhaltung. „Art is pain“ heißt es da an einer Stelle; in Bezug auf John Wick möchte man mit einer kleinen Inversion sagen: „Pain is art“.

Obschon die postmoderne Bewegung im Kino spätestens seit Ende der 90-er an Wirkungsmacht eingebüßt hat, ist mit John Wick ein Actionthriller auf die Leinwand eingekehrt, der diese in seiner inhaltlichen Konzeption zumindest partiell wieder aufleben lässt. Wie einst Gene Hackman als Jimmy ­Doyle in The French Connection (R: William Friedkin, 1971) in seinem braunen Pontillac die 86th Street Brooklyn entlang raste, tut John Wick es ihm gleich, allerdings auf einem Pferd reitend, das ist ein bisschen John Wayne und ein bisschen Indiana Jones. John Wick kombiniert diese Versatzstücke fröhlich miteinander. Und darin liegt die ganze Kongenialität – was die John Wick-Reihe nämlich über den Anspruch des unterhaltsamen, reinen Actionkinos hinaus so sehenswert macht, klingt an der hier skizzierten Handlung bereits an, und zwar der unverhohlen selbstironische Gestus der Reihe: Da gibt es Schuldmünzen, die eingefordert werden, Brandmarkierungen als Passierschein, Hotels in denen die Killer sich nicht angreifen dürfen...

Hier wird humorvoll mit den Codes und Konventionen des klassischen Actionkinos gespielt, lustvoll aufgedeckt und überdeutlich ironisch gebrochen. So evident diese Anspielungen auf konventionelle Handlungsmuster erzählter Filmwelten sind, so unmissverständlich stellt der Film seinen Status als Film aus. Ebendies unterscheidet die John-Wick-Reihe von anderen zeitgenössischen Actionthrillern, weil sie dem Zuschauer unentwegt ins Bewusstsein hebt, dass er im Begriff ist, einen Film zu sehen. Einen derart verspielten Umgang mit den festen Mustern des Actionthriller-Genres hat man vielleicht zuletzt in Timur Bekmambetows Wanted (2007) gesehen. Äußerst amüsant und raffiniert wird zudem im Film immer wieder betont, welch einer strengen Doktrin diese Killergilde doch folgt. Von „Exkommunika­tion“ und „Desakralisierung“ ist da etwa die Rede und so eröffnet der Film, recht oberflächlich, die Themen wie Glaubensordnung, Anpassung und Umsturz der Verhältnisse in einem starren, religiösen System.

John Wick 3 – Parabellum schließt die Erzählung um den Super-Killer nicht ab und lässt Raum für mögliche Fortsetzungen. Das ist nichtsdestotrotz hochwertiges amerikanisches Actionkino, das dem Erfolgsmuster der Reihe folgt und das neben anderen Thrillern, wie der Taken-Reihe mit Liam Neeson, durchaus höhere künstlerische Fertigkeit anstrebt.

Marc Trappendreher
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