Kino

Rückkehr zum Ursprünglichen

d'Lëtzebuerger Land vom 24.05.2019

Ein Mann, in embryonaler Stellung, schwebt unter Wasser in einem Schwimmbad: Symbolgeladener kann Pedro Almodóvar seinen neuen Film Dolor y gloria, der auf den diesjährigen Filmfestspiele in Cannes international präsentiert wird und zeitgleich in den Kinos angelaufen ist, nicht eröffnen. Es ist zweifelsohne sein autobiografischster Film, und darin geht es in einer Regressbewegung zurück zum Ursprung: Salvador Mallo ist ein bekannter, aber zurzeit uninspirierter Filmemacher um die sechzig, den die zahlreichen Gesundheitsprobleme in seinem Leben depressiv gemacht haben. Als die Cinémathèque ihn mit der restaurierten Version des ersten Films, der ihn berühmt machte, ehren will, beschließt Salva, sich wieder mit dem Hauptdarsteller des Films in Verbindung zu setzen, mit dem er sich dreißig Jahre zuvor überworfen hatte. Bei dem Wiedersehen wird er, nicht zuletzt durch erheblichen Heroinkonsum, mit der Vergangenheit konfrontiert, der er sich stellen muss ...

Dieser Salvador Mallo, zurückhaltend und subtil von Antonio Banderas verkörpert, sieht zwar aus wie Banderas, spricht und bewegt sich wie Banderas, aber wir wissen natürlich, wer gemeint ist. Wie einst Marcello Mastroianni in Otto e mezzo von Federico Fellini (1963) spielt Antonio Banderas nun Almodóvars Alter Ego. Um Dolor y gloria nicht nur als Filmdrama um einen umtreibenden Künstler, sondern auch als implizite, zumindest partiell autobiografische Reflexion, vollumfänglich fassen zu können, muss man sich immerhin die Filmografie des spanischen Kultregisseurs vor Augen führen: Besonders Almodóvars Frühwerk ist das eines postmodernen enfant terrible, das sich von Bildern inspiriert hat und sie in Geschichten neu arrangiert, die Altes und Modernes fröhlich verbinden. Die Achtzigerjahre freilich, das war die Zeit eines postfrankistischen Spaniens, das eine derartige Bilderflut, die an damaligen Tabubrüchen kaum zu überbieten war, noch nie gesehen hatte. Seiner Zeit voraus, entzog sich Almodóvar schon immer einer genauen Kategorisierung, irritierte seine Anhänger wie auch seine Kritiker. Fest stand allerdings von Anfang an, dass sein Werk eine derartige Kohärenz bietet, ein eigenes Universum ausbildet, das so persönlich ist, dass man seine Handschrift in fast jeder Einstellung findet.

Dolor y gloria ist nun gewissermaßen die Rückschau auf den biografischen Hintergrund dieses Werks, das leider nur durch einzelne fiktionale Filmplakate im Stile Almodóvars aufgerufen wird. Pedro Almodóvars Filme fokussieren Einzelschicksale, die um die Themenkomplexe Liebe – Sex – Katholizismus – Tod kreisen. Das ist auch bei diesem Film nicht anders. Und wie so oft bei Almodóvar: die Mutter. Dabei werden die prägenden biografischen Stationen abgerufen, etwa die bewegte Kindheit, die strenge Erziehung in der Klosterschule, die seit jeher Almodóvars Aversion gegen den Katholizismus nährte, dann in seine Filme einfloss und mit Entre tinieblas (1983) wohl ihren deutlichsten Ausdruck fand. Auf dieser metareflexiven Ebene vermischt er Faktisches und Fiktionales so gekonnt, dass man sich der Frage nicht entziehen kann, was denn nun stimmt in diesem melancholischen Porträt eines alternden Filmemachers. Und das hat zur Folge, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann – und da ist der programmatische Filmtitel bereits vielsagend –, Almodóvar feiere und bemitleide sich mit diesem Film gleichermaßen.

All dies wird angereichert, wie so oft in Almodóvars Welt, mit den literarischen, bildnerischen, musikalischen und tänzerischen Vorlieben, die den Autor damals inspirierten. Und das in einer luxuriös ausgestatteten, farbenprächtigen Kulisse. Wie so oft bei Almodóvar. Wer mit seinen Filmen und dem expressiven Stil allerdings nicht vertraut ist, der kann auch die kunstvolle mise-en-abyme nicht erkennen.

Dolor y gloria ist gleichwohl ein sehr persönlicher Film, der sich nach Julieta (2016) in die Reihe von Almodóvars späteren, ausgereifteren Werke einreiht. Aber derart irritieren und provozieren wie Almodóvars frühe Filme kann er nicht. So ist er eher eine wehmütige Aufarbeitung von bekannten biografischen Anekdoten, die den Zuschauer zwar auf Distanz hält, sich aber gut in Almodóvars Gesamtwerk einfügt.

Marc Trappendreher
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